Effizienzhäuser Plus im Altbau

Im Gespräch mit Prof. Sobek

Gefördert mit Forschungsmitteln des Bundesbauministeriums modernisierte die Wohnungsgesellschaft der Stadt Neu-Ulm GmbH (NUWOG) zwei Zeilenbauten aus den 1930er Jahren im Effizienzhaus Plus Standard. Am 2. Mai 2016 fand die offizielle Einweihungsfeier dieser Modellvorhaben im sanierten mehrgeschossigen Wohnungsbau statt. Prof. Werner Sobek war an dem Projekt als Planer beteiligt und stellte sich den Fragen der tab-Redaktion.

Einen Film zum Projekt gibt es unter https://www.youtube.com/watch?v=SkAhtllFVow.

tab: Herr Prof. Sobek, Sie haben schon einige Neubauten im „Effizienzhaus Plus“-Ansatz realisiert. Die Pfuhler Straße 4 & 6 im bayerischen Neu-UIm ist Ihr erstes Effizienzhaus Plus im Bestand. Was waren die besonderen Herausforderungen bei der Modernisierung eines Altbaus zu einem Effizienzhaus Plus?

Prof. Sobek: Technisch gesehen war es kein allzu großes Problem, die Gebäude CO2-neutral zu sanieren. Was deutlich mehr Zeit und Anstrengung erforderte, war die Koordination und fachliche Einbindung aller Beteiligten. Hier gibt es sicher noch viel Optimierungspoten­tial. Wir benötigen zudem einen höheren Vorfertigungsgrad und höhere Stückzahlen ebenso wie den gezielten Einsatz von spezia­lisierten Bauunternehmen, um baulich schneller und preislich attraktiver zu werden. Letztlich ist das Projekt in Neu-Ulm eine prototypische Anwendung, die nun eine Umsetzung in der breiten Masse erfahren kann und sollte.

tab: Haben Sie Erfahrungswerte sammeln können, die Sie an andere Architekten und Planer weitergeben können?

Prof. Sobek: Die Planung von energetisch hocheffizienten Gebäuden muss immer auch den menschlichen Faktor berücksichtigen. Wenn man die Nutzer nicht einbindet und ihnen das Konzept nicht erläutert, dann können die Erwartungen aus der Planungsphase schnell verfehlt werden. Ein unachtsamer Bewohner kann den berechneten Verbrauch verdoppeln – ein sparsamer Bewohner kann ihn hingegen unterschreiten.

tab: Wie hat sich die Planung eines Effizienzhaus Plus im Altbau von der Planung eines Neubaus unterschieden?

Prof. Sobek: Die Ausgangspositionen sind sehr unterschiedlich. Bei einem Neubau kann von einer relativ großen Präzision der Herstellung ausgegangen werden. Beim Bauvorhaben in Neu-Ulm mussten während Planung und Umsetzung immer wieder zahlreiche Anpassungen vorgenommen werden, da die Qualität der vorgefundenen Bausubstanz wesentlich schlechter war als ursprünglich angenommen. Wände, Böden und Decken hatten z. B. in alle drei Richtungen Toleranzen von ± 5 cm. Dies wirkte sich extrem ungünstig auf die Möglichkeiten der Vorfertigung von einzubauenden Bauteilen aus. Die Geschosshöhen waren zu klein, um in den Räumen eine Fußbodenheizung oder gar Lüftungskanäle integrieren zu können. Und das Mauerwerk im Keller war so brüchig, dass es verstärkt werden musste. Aufgrund der schwierigen räumlichen Randbedingungen war es leider auch nicht möglich, den Trittschallschutz der bestehenden Holzbalkendecken zu verbessern.

tab: Worauf lag Ihr Fokus? Ging es Ihnen primär darum, so wenig Energie wie möglich zu verbrauchen, um den Restbedarf mit erneuerbaren Energien vor Ort zu generie­ren?

Prof. Sobek: Unser Energiekonzept baut auf drei eng miteinander verknüpften Ansätzen auf. Wir haben zunächst die Energieverluste durch eine Optimierung der Wärmedämmung und der Haustechnik so weit wie möglich reduziert. In einem zweiten Schritt haben wir die passiven solaren Gewinne maximiert. Anschließend haben wir durch ein selbstlernendes, prädiktives Energiemanagement für eine optimale Nutzung der am Gebäude gewonnenen Energie gesorgt. Dieses Energiemanagement bietet den Bewohnern zudem die Möglichkeit, die Temperatur selbst in umfassender Weise zu regeln.

tab: Bitte erläutern Sie kurz die Kernpunkte des Energiekonzepts.

Prof. Sobek: Die Gebäudehülle hat jetzt einen U-Wert von 0,1. Wärmebrücken wurden entschärft, die Luftdichtigkeit wurde erhöht. Die Fenster bestehen aus gedämmten Rahmen und einer dreifachen Wärmeschutzverglasung. Die Wärmebereitstellung für Heizung und Warmwasser erfolgt über eine ­Erdsonde in Kombination mit einer Sole-/Wasser-Wärmepumpe und einem 1.000-l-Kombispeicher. Durch den geringen Heizbedarf ist eine einzige Erdsonde im Garten ausreichend. Die Verteilung der Heizwärme erfolgt über Röhrenradiatoren mit sehr geringer Vorlauftemperatur. Jede Wohnung verfügt über eine Frischwasserstation. Die Gebäudetechnik wurde zentral im Untergeschoss angeordnet. Von dort sind nur kurze vertikale Steigleitungen zu den einzelnen Wohnungen erforderlich. Eine hocheffiziente Lüftungsanlage mit einem Wärmerückgewinnungsgrad von 80 % versorgt die Wohnungen mit Frischluft und sorgt für den erforderlichen Luftaustausch. Die Außenluft wird auf der Gartenseite angesaugt und zentral über den Keller verteilt. Von dort gelangt sie über vertikale Kanäle in den neuen, vorgehängten Fassaden direkt zu den jeweiligen Räumen. Auf diese Weise konnten wir eine Kanalführung in den Wohnungen selbst vermeiden – durch die niedrige Raumhöhe wäre der Wohnkomfort sonst unnötig eingeschränkt worden. Jede Wohnung wird über ein eigenes Kanalsystem versorgt, um Telefonie- und Brandschutzprobleme zu vermeiden. Wohn- und Schlafräume werden mit 30 m3 Zuluft pro Person versorgt. In Küche, Bad und WC wird die Abluft angesaugt. Die mechanische Belüftung kann in allen Räumen durch individuelle Fensterlüftung ergänzt werden.

Auf dem Dach sind insgesamt 214 m2 monokristalline Photovoltaikmodule verlegt. Diese Anlage hat eine Leistung von 33,5 kWp. Der prognostizierte Energieüberschuss liegt bei 8.000 kWh/a. Die Energiebilanz weicht von der bisherigen EnEV-Berechnung ab, da der Stromertrag aus der Photovoltaikanlage zu 100 % angerechnet werden darf (allerdings muss auch der Haushaltsstrom vollständig mit eingerechnet werden). Durch diese neue Bilanzierungsregel können wir den tatsächlichen Strombedarf realistischer abbilden als dies mit den bisherigen Regelungen der Fall war.

tab: Wie oft musste das Ener­giekonzept „nachjustiert“ werden?

Prof. Sobek: Das oben beschriebene Energiekonzept ist robust und gut steuerbar. Wir haben über viele Jahre gute Erfahrungen damit gesammelt. Auf diesen Erfahrungen konnten wir aufbauen. Grundlegende Umplanungen waren daher nicht erforderlich. Selbstverständlich erspart uns das keine begleitende technische Assistenz und ein kritisches Überprüfen der Funktionalität – insbesondere im ersten Betriebsjahr: Oft können Kleinigkeiten, die bei der Montage von den ausführenden Firmen übersehen wurden oder falsche Einstellungen an den Geräten erhebliche Auswirkungen auf das energetische Verhalten der Gebäude haben.

tab: Funktioniert die Haustechnik wie geplant? Welche der eingebauten Techniken ist nützlich, welche überflüssig, was sollte anders/besser laufen?

Prof. Sobek: Die ersten Mieter sind im März 2016 eingezogen. Seitdem läuft das Monitoring, das von der RWTH Aachen durchgeführt wird. Momentan ist es noch zu früh, um erste Bewertungen abzugeben – hierzu sollten wir mindestens einen Jahreszyklus abwarten.

tab: Ist ein Effizienzhaus Plus im Altbau teurer als ein Gebäude, das nach aktuellen gesetzlichen energetischen Anforderungen modernisiert wurde?

Prof. Sobek: Die In­ves­ti­tions­kos­ten für ein Effizienzhaus Plus im Altbau sind höher als die für ein Gebäude, das lediglich nach den aktuellen gesetzlichen Anforderungen modernisiert wird. Wenn man aber eine Wirtschaftlichkeitsberechnung über die Lebenszykluskosten aufstellt, ändert sich der Betrachtungshorizont. Je nach Randbedingungen werden die Mehrkosten für ein Effizienzhaus Plus in fünf bis maximal zwanzig Jahren wieder eingespielt (und das trotz des aktuell sehr niedrigen Ölpreises). Unter diesem Blickwinkel lohnt es sicher zu fragen, ob man bei einer anstehenden Modernisierung nicht gleich den Effizienzhaus-Plus-Standard wählen will.

tab: Kann jedes Bestandsgebäude in ein Effizienzhaus Plus modernisiert werden? Welche Parameter müssen gegeben sein, damit das funktioniert?

Prof. Sobek: Prinzipiell kann die Mehrheit der Bestandsgebäude in ein Effizienzhaus Plus umgewandelt werden – das Neu-Ulmer Projekt mit seinen denkbar schwierigen Randbedingungen demonstriert dies eindrücklich. Man sollte allerdings immer hinterfragen, ob sich ein solcher Schritt im speziellen Fall wirtschaftlich lohnt - oder ob stattdessen nicht ein Bündel von anderen Maßnahmen sinnvoller (d.h. effizienter, kostengünstiger und schneller umsetzbar) sein könnte. Der Weg zu einer CO2-neutralen gebauten Umwelt muss schnell beschritten werden – und gesellschaftlich und finanziell tragbar sein. Das geht mit einer bezahlbaren Reduktion der Wärmeverluste durch Dämmmaßnahmen an besonders kritischen Stellen, das Einsetzen von neuen Fenstern oder einer neuen Heizung etc. Daneben benötigen wir eine Gebäudeautomation, die eine optimale Regelung der Energieströme im Haus, zwischen einzelnen Häusern sowie zwischen Häusern und Fahrzeugen regelt. Ein solches Energiemanagementsystem spart bei Bestandbauten nach unseren Messungen im Mittel mindestens 20 % Heizenergie bei einer Investition von ca.12 € pro Quadratmeter ein – amortisiert sich also nach spätestens vier Jahren. Ergänzend dazu könnten und sollten wir in den Ausbau erneuerbarer Energiequellen investieren, die den Mehrverbrauch von nicht sanierten Gebäuden kompensieren können.

tab: Herr Prof. Sobek, vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führten Karla Müller und Britt Keßling, Informationsstelle Effizienzhaus Plus/Zebau GmbH.

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