Im Gespräch mit Prof. Dr.-Ing. Bernd Boiting
tab: Herr Prof. Boiting, Gebäude- und Raumströmungssimulationen sind aus der Lüftungs- und Klimatechnik nicht mehr wegzudenken. Welches sind Ihre aktuellen Forschungsgebiete an der FH Münster?
Prof. Boiting: An unserem Fachbereich gibt es eine Vielzahl von Fragestellungen, die wir mittels Computational Fluid Dynamics (CFD), also mittels der numerischen Strömungssimulation, untersuchen. Neben Schadstoff-Erfassungshauben nach Aaberg befassen wir uns gerade beispielsweise mit der Frage, ob und wie sich Effekte, wie sie sich bei instationären Raumluftströmungen ergeben, nachempfinden oder aufzeigen lassen.
tab: Die Digitalisierung erfasst das Bauwesen und damit auch die TGA immer deutlicher. Welches sind die nächsten Entwicklungen, auf die sich Ingenieurbüros und der Anlagenbau im Bereich der TGA einrichten müssen?
Prof. Boiting: ERP-Systeme, wie z.B. SAP, haben das Arbeiten in allen Bereichen der Unternehmensprozesse standardisiert und somit sicherer, effizienter und interdisziplinär gemacht. Gleiches gilt für das Thema Building Information Modeling (BIM) in den Bereichen Planung und Ausführung sowie Betrieb und Management von Gebäuden. Ingenieurbüros und ausführende Unternehmen müssen sich darauf vorbereiten, an diesem Standardisierungsprozess teilzunehmen. Da wir in diesen Fällen immer von Systemen – also beispielsweise von kompletten Trinkwassersystemen oder Heizungsanlagen – und in keinem Fall nur über einen Wasserhahn oder eine Heizungspumpe sprechen, geschieht dies über die einschlägigen Planungsprogramme. Diese werden z.B. unter www.vdi3805-portal.de/Partners.aspxaufgeführt. Die Programme unterstützen bei der Planung aller relevanten Trinkwasser-, Warm- und Kaltwassersysteme, bei Heizungs- und Kälteanlagen sowie bei raumlufttechnischen Anlagen. Außerdem ermöglichen sie den anschließenden Daten-Im- und -Export in die digitalen Datenbanken bzw. BIM-Modelle. Allerdings sind für die erfolgreiche Teilnahme am BIM-Prozess weitere Kompetenzen und Kenntnisse erforderlich und sinnvoll, wie sie z.B. in der VDI 2552 beschrieben werden.
tab: Wie passen Simulationen und BIM zusammen?
Prof. Boiting: Simulationen in der TGA bedienen sich immer der digitalen Abbildung eines Systems, eines Gebäudes oder eines Raumes – sprich in allen diesen Fällen an den ordinären Daten des BIM-Modells. Wenn das BIM-Modell korrekt gepflegt ist – z.B. mithilfe der zuvor genannten Planungstools –, dann ist z.B. eine Raumströmungssimulation mittels CFD nur noch ein paar Klicks entfernt. Für eine Strömungssimulation müssen beispielsweise korrekte Raumumschließungsflächentemperaturen, Wärmestromdichten und Luftvolumenströme angegeben sein, die als Ausgabeparameter der zuvor erwähnten Planungstools im BIM-Modell vorliegen. Interessante Aspekte ergeben sich aber auch durch Anwendung der VDI 6007 bzw. VDI 2078 auf valide BIM-Modelle. In diesen Fällen werden nicht Raumströmungen, sondern Raumlasten und Raumtemperaturen dynamisch berechnet. Es lassen sich dann Fragen bezüglich des Einflusses eines außenliegenden Sonnenschutzes, der Nachtauskühlung und des sommerlichen Wärmeschutzes, aber auch eine schwerere Bauweise bereits in der Planungsphase diskutieren. Auch energetische und damit Kosten- und Umweltfragen lassen sich vorab am BIM-Modell beantworten.
tab: Wir haben es mit immer komplexeren Aufgabenstellung zu tun. Wie kann dann BIM vereinfachend wirken?
Prof. Boiting: BIM standardisiert, synchronisiert und sichert alle relevanten Daten und Informationen im gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes. Das allein wird genügend Optimierungspotential besitzen, um Planungs-, Erstellungs- und Betriebsprozesse zu vereinfachen und damit natürlich Zeit und Kosten einzusparen.
tab: Die bestehende und im weiteren Aufbau befindliche VDI-Richtlinienreihe VDI 3805 stellt für alle Systeme und Produkte der TGA die Regeln für den Datenaustausch mit den zuvor genannten Planungsprogrammen auf. Wie ist die VDI 3805 im Zusammenhang mit BIM zu bewerten?
Prof. Boiting: Die VDI 3805 ist in Bezug auf die TGA-Komponenten und BIM das aus meiner Sicht zurzeit wichtigste Richtlinienprojekt. Es gibt nach meinem Kenntnisstand weltweit kein Datensatzformat, dass parametrisierte 3D-Konstruktionsdaten, variable Berechnungsverfahren zur Bestimmung aller technisch relevanten Parameter sowie Produkt- und Bestellinformationen ganzer Produktgruppen in einer vergleichsweisen Art abbilden kann. Damit gelingt zum einen der komplette Ersatz der technischen Katalogunterlagen und einfacher proprietärer Auslegungsprogramme und, noch bedeutender, der Import der Daten in die zuvor genannten Auslegungsprogramme. Wichtig hierbei ist die Erkenntnis, dass die VDI 3805 nicht eigentlich den Datenaustausch im BIM-Prozess regelt, sondern den Datenimport aller Produkte eines beliebigen Herstellers in die Auslegungsprogramme. Die Softwarehersteller haben bereits die Fähigkeiten dieses Datenformats erkannt und entwickeln darauf aufbauend Assistenzsysteme, die die TGA-Planung einfacher und sicherer machen. Wer als Hersteller hier schläft, wird sich mittelfristig seltener in den Planungen und langfristig nicht mehr in den BIM-Modellen und damit auch den daraus ausgekoppelten Ausschreibungen wiederfinden. Die aktuelle Roadmap plant, soweit sie mir bekannt ist, mittelfristig die Integration der VDI 3805 über die europäische Normungsebene schlussendlich in den IFC-Standard.
tab: Inwieweit kann künftig ein Gewerk wie die Heizungs- oder Raumlufttechnik noch separat geplant werden bzw. wann müssen die Gewerke der TGA in einem Gebäudemodell zusammengeführt werden?
Prof. Boiting: Das BIM-Gebäudemodell erlaubt, z.B. über die VDI 2078, die Dimensionierung der kälte- und raumlufttechnischen Anlage (im Übrigen auch über die darin gesteuerte VDI 6007 die Auslegung der Heizungsanlage) und damit die Planung u.a. von zentralen Klimaanlagen oder dezentralen Lüftungsanlagen. Diese werden wiederum durch die Planungstools an das Kalt- und Warmwassernetz angeschlossen. Das bedeutet, dass integrales Planen nicht erst in Zukunft passieren wird, sondern bereits jetzt in den TGA-Planungsprogrammen so gehandhabt wird, die anschließend alle Systeme als einen kompletten IFC-Datensatz in das BIM-Modell importieren. So werden diese Systeme Teil des BIM-Prozesses.
tab: Sehr geehrter Herr Prof. Boiting, vielen Dank für das Gespräch.