Real planen in virtuellen Räumen

Virtuell Reality, Augmented Reality und Mixed Reality

Virtuelle Realitäten machen nicht nur Präsentationen spektakulärer. Im Zusammenhang mit BIM werden Virtual, Augmented und Mixed Reality-Technologien (VR, AR, MR) zunehmend auch als Planungs-, Kontroll- und Kooperationswerkzeuge interessant.

Glaubt man der Werbung diverser Anbieter wie Autodesk, Daqri oder Trimble, wird der Datenhelm den Baustellenhelm bald ablösen. Im Kontext der BIM-Planungsmethode können Datenhelme oder VR-Brillen für die Kollisionskontrolle, den Abgleich von Soll- und Ist-Daten oder für virtuelle Baustellenbesprechungen eingesetzt werden. Mit VR-Brillen lassen sich Räume und Gebäude virtuell begehen, sodass Bauherren und Investoren ein besseres Verständnis für die Planung bekommen. Projekte können optimiert, die Ausführung, Montage und spätere Wartung im Vorfeld auf mögliche Probleme überprüft werden. Bauherren können Bauvorhaben „real“ erleben, was Missverständnisse vermeiden und Entscheidungsprozesse beschleunigen hilft. TGA-Planer können die Gebäudetechnik im realen Rohbau vorab betrachten und Konfliktpunkte im Vorfeld erkennen. Hat VR tatsächlich das Potential, in der TGA Fuß zu fassen – oder ist es nur ein momentaner Hype?

Mobile Technik macht VR populär

Basis der Virtual Reality (VR) ist eine computergenerierte, in erster Linie visuell, mit entsprechender Hardware aber auch akustisch oder haptisch wahrnehmbare künstliche Umgebung, in die Benutzer eintauchen und mit ihr interagieren können. Dieses Gefühl, mitten im Geschehen zu stehen, eine virtuelle Umwelt als scheinbare Realität wahrzunehmen, ermöglichen immersive Visualisierungsverfahren. Dabei wird entsprechend der vom Betrachter eingenommenen Position und Blickrichtung das Gesehene vom System in der passenden Perspektive entweder im Voraus oder in Echtzeit parallel berechnet und angezeigt. Echtzeit-Systeme registrieren kontinuierlich, wohin der Betrachter schaut und wohin er sich bewegt. Alle erfassten Daten werden von der Software berücksichtigt und die dazu passenden stereoskopischen Bilder kontinuierlich berechnet. Kann der Nutzer zudem mit der künstlichen Umgebung, etwa über einen Datenhandschuh, interagieren und beispielsweise eine Tür öffnen, erhält er den Eindruck, Teil einer virtuellen Welt zu sein. Bis vor wenigen Jahren konnte man nur mit teuren 3D-Bildschirmen, Datenprojektoren, Datenhelmen (Head-Mounted Displays) oder so genannten Cave-Projektionssystemen in virtuelle Welten abtauchen.

Smartphones und preiswerte mobile VR-Brillen haben Virtuelle Realitäten mittlerweile erschwinglich gemacht. Als Display nutzen sie ein Android- oder iOS-Smartphone, das in die VR-Brille eingeschoben oder eingelegt wird. Zwei in der VR-Brille integrierte Linsen vergrößern das Bild und verbreitern das Sehfeld. Eine VR-App sorgt für die stereoskopische Anzeige von 360°-Panoramen, im Smartphone integrierte Lagesensoren synchronisieren die Bildanzeige mit den Kopfbewegungen des Anwenders. In der einfachsten Form sind VR-Brillen als Karton-Bausatz bereits ab 5 € erhältlich. „Echte“ VR-Brillen, wie die „Samsung Gear VR“, die „Oculus Quest 2“ oder die „HTC Vive Pro“ kosten zwischen 50 und 1.500 € und mehr. Sie haben ein eigenes Display und Sensoren, die auch Standortänderungen des Benutzers erfassen. Sie müssen allerdings per Datenkabel an einen Hochleistungs-Rechner angeschlossen werden, der räumliche Bilder in höherer, fotorealistischer Qualität in Echtzeit berechnet. Je nach Modell, unterscheiden sich VR-Brillen in der Displayauflösung, dem Sichtfeld, der Bild- und Tonqualität, der Tracking-Funktion, dem benötigten Zubehör und im Preis.

Welche Möglichkeiten bietet VR?

Neben der Möglichkeit, Kunden, Bauherren und Investoren „mitzunehmen“, das Projektverständnis zu steigern, Begeisterung zu wecken und dadurch Entscheidungsprozesse zu beschleunigen, bietet die Vorwegnahme des Gebauten weitere Vorteile. So kann die Vermeidung von Missverständnissen und Fehlern viel Geld sparen. Auch wenn man ein gutes räumliches Vorstellungsvermögen hat – die gebaute Realität hat schon so manchen Kunden, Bauherren – manchmal aber auch den Planer selbst – überrascht. Kann man sich Gebäude und Räume anhand von Planzeichnungen nicht oder nur unzureichend räumlich vorstellen, sind Missverständnisse und Enttäuschungen vorprogrammiert. Spätere Änderungen verursachen Mehraufwand, kosten Zeit und Geld. Virtuelle Objektbegehungen versprechen Abhilfe: Steht man unmittelbar im Gebäude oder Raum, fallen Fehler und Unzulänglichkeiten eher auf, als auf dem Plan. Alle Objekte sind zum Greifen nah und können – bei entsprechender Programmierung – sogar in Ihrer Funktion überprüft werden (z.B. das Öffnen und Schließen von Bauteilen etc.). Sogar Funktionsabfolgen, etwa in einem behindertengerechten Bad, können unmittelbar am VR-Modell simuliert, „ausprobiert“ und optimiert werden. Die Wahrnehmung virtueller Objekte ist dabei so unmittelbar, dass beispielsweise Stolperfallen oder zu geringe Kopfhöhen körperlich „spürbar“ werden: Man hebt automatisch den Fuß oder zieht den Kopf ein, obwohl die Objekte nicht real sind. Neben Fragen zur Geometrie, Funktion und Ergonomie können auch bau- oder montagetechnische Aspekte überprüft werden: Kommen alle, auch die größten Bauteile an den Montageort oder muss man sie teilen? Reicht der Platz, um das letzte Element nicht nur montieren, sondern die Anlage später auch warten zu können? Diese und weitere wichtige Aspekte lassen sich schon im Vorfeld zuverlässig klären.

Wie läuft eine VR-Präsentation ab?

Ohne 3D-Geometriedaten keine VR. Grundlage jeder VR-Präsentation ist ein konsistentes 3D-CAD-Modell, inklusive Farb- und Textur-, Oberflächen- und Lichtdefinition. Erstellt wird es mit Architektur- oder TGA-CAD-Programmen, teilweise auch mit Modellier-Programmen wie „SketchUp“, „3D Studio“ oder „Cinema 4D“, die über die webfähigen VR-Exportformate VRML, WebVR oder X3D verfügen. Unterschieden werden zwei Arten von VR-Präsentationen: 360°-Kugelpanoramen werden im Voraus berechnet und ermöglichen dem Anwender einer mobilen VR-Brille per Kopfdrehung die räumliche Betrachtung von Objekten in einem Raum und das Heranzoomen von Details. Werden mehrere 360°-Panoramen verknüpft, lassen sich auch komplette Etagen und Gebäude interaktiv erkunden. Die Panoramen können auf einem USB-Stick gespeichert oder per Web-Link heruntergeladen werden, so das der Kunde zuhause die Präsentation öffnen und auf einem Tablet oder Smartphone anschauen kann. Schaltet er auf dem Smartphone in den VR-Modus, kann er sich das Objekt mit einer preiswerten VR-Brille im virtuellen Raum betrachten. „Echte“ VR-Präsentationen werden dagegen in Echtzeit von leistungsfähigen PCs berechnet und auf „echten“ VR-Brillen (s.o.) angezeigt. Die Echtzeit-Berechnung ermöglicht eine völlig freie Bewegung im Raum sowie Interaktionen – etwa das Öffnen von Wartungsklappen, das Ändern von Materialien oder das Konfigurieren von Bauteilen. Das setzt allerdings eine entsprechende Programmierung und eine leistungsfähige Hardware-Ausstattung voraus. Die Kosten für eine VR-Hardware liegen bei 5.000 bis 20.000 € und mehr. Die Kosten für VR-Dienstleistungen sind von der Objektgröße und ‑komplexität, von eventuell gewünschten Interaktionen, der Qualität der 3D-Daten und dem Aufbereitungsaufwand abhängig. Einfache VR-Präsentationen für einen Raum erhält man schon ab 1.000 €, für ein Raumensemb-le oder Gebäude ab 5.000 €, eine zusätzlich eingeblendete TGA-Leitungsführung ab 8.000 € und mehr.

Welche Möglichkeiten bieten AR und MR?

Noch sind Planungsbüros, die VR-Techniken einsetzen, überschaubar. Das wird sich mit der zunehmenden Verbreitung der BIM-Planungsmethode ändern. Dann reduziert sich der Aufwand für VR-Präsentationen, weil 3D-Gebäude- und Raumdaten inklusive Materialdefinition ohnehin generiert werden. In der Sanitärbranche sind VR-Techniken in Form von VR-Showrooms schon seit vielen Jahren als Marketing- und Akquiseinstrument etabliert. Per VR-Brille lassen sich Sanitärprodukte vor dem Kauf im individuellen Umfeld begutachten, Möbel in Echtzeit konfigurieren, verschiedene Boden- oder Wandbeläge ausprobieren, Einrichtungen in unterschiedlicher Ausstattung vergleichen und anderes mehr. Auch Produkthersteller und Dienstleister haben immersive Präsentationsmethoden für sich entdeckt – in den letzten Jahren zunehmend in Form von Augmented Reality (AR)-Anwendungen. Bei dieser Technik kommen spezielle, transparente AR-Brillen zum Einsatz, über die in das Realbild der Umgebung zusätzliche digitale Informationen projiziert werden. Einfacher und preiswerter sind Tablets, die in das von der integrierten Kamera aufgenommene Umfeld Informationen oder passgenau virtuelle Objekte einfügen. Auf diese Weise kann man beispielsweise dem in seiner Wohnung stehenden Kunden ein neues Sanitärobjekt oder gleich den kompletten Umbau eines Badezimmers auf dem Display einblenden. So erhält er vorab einen realistischen Eindruck in seiner individuellen Umgebung und kann Positionen, Größen, Farben oder Materialien wunschgemäß verändern. Im Gebäudebestand lässt sich beispielsweise die Lüftungstechnik hinter der abgehängten Decke visualisieren. Auch die Wartung gebäudetechnischer Anlagen kann mit im Display kontextbezogen eingeblendeten Wartungshinweisen vereinfacht und beschleunigt werden. Einen Schritt weiter geht die Mixed Reality (MR), die einige Anbieter als „erweiterte“ Augmented Reality definieren. Diese Technik erkennt zusätzlich die jeweilige reale Umgebung und ermöglicht eine Interaktion mit den eingeblendeten digitalen Inhalten sowie zwischen mehreren Teilnehmern einer MR-Präsentation. Eingesetzt werden MR-Techniken vor allem bei großen Projekten, um sich etwa an einem virtuellen Modell unter allen Projektbeteiligten abzustimmen die sie sich an unterschiedlichen Standorten befinden. Das kann Planungs- und Koordinationsprozesse beschleunigen und die globale Kommunikation mit Projektbeteiligten vereinfachen.

Wann lohnt sich der Aufwand?

Der VR-Einsatz ist unabhängig von der Projektgröße. Auch für ein Wohnhaus-Projekt kann eine VR-Präsentation sinnvoll sein. Werden dabei Missverständnisse oder Fehler im Vorfeld ausgeräumt und so teuere Korrekturen am realen Objekt vermieden, amortisiert sich das VR-Equipment bereits nach wenigen Projekten. Dass die VR-/AR-/MR-Nutzung bei anspruchsvollen Projekten oder öffentlichen Bauvorhaben im Zusammenhang mit BIM mittel- bis langfristig zum Standard wird, ist abzusehen. Allerdings müssen vorher noch Schwächen ausgeräumt werden. Dazu gehört beispielsweise, dass während VR-Präsentationen besprochene Änderungen nicht automatisch in die CAD-Software einfließen. Die CAD-Konstruktion muss erst manuell geändert und das komplette Projekt erneut exportiert werden, bevor man die Änderungen erneut durch die VR-Brille betrachten kann. Das ist bei mehrfachen Änderungen und komplexen Projekten umständlich. Außerdem sollte man stets beachten, dass VR-Brillen zwar mehr oder weniger perfekte 3D-Illusionen ermöglichen – Farben, Oberflächen, Materialien oder Lichtverhältnisse lassen sich dennoch nicht hundertprozentig realitätsgetreu wiedergeben. Außerdem isolieren VR-Brillen den Benutzer von der realen Außenwelt. Stimmen deren Aktivitäten mit den Sinneseindrücken in der Simulation nicht überein – etwa wenn die projizierten Bilder den Kopfbewegung hinterherlaufen, was bei einfachen VR-Brillen oder zu wenig Rechenleistung vorkommt – kann das beim Betrachter Schwindel und Übelkeit hervorrufen. Schlechte Bildqualitäten mindern den VR-Effekt, niedrige Bildwiederholfrequenzen ermüden das Auge und können Kopfschmerzen verursachen. Deshalb sollten VR-Präsentationen alternativ auch am Tablet oder PC-Monitor möglich sein.

Fazit: VR, AR und MR stehen erst am Anfang

Virtuelle Techniken erweitern die Möglichkeiten planerischer Leistungen und machen sie attraktiver vermittelbar. Bis auf weiteres werden sie eher der Präsentation und Planungskontrolle dienen, denn der eigentliche Entwurfs-, Planungs- und Konstruktionsprozess findet vorher statt: im Kopf, auf dem Skizzenpapier oder am CAD-Arbeitsplatz des Planers. Ein echtes, interaktives Planen im Team am VR-Modell, wie etwa in der Automobilindustrie, ist (noch) die Ausnahme – auch wegen des Mangels an 3D-Projektdaten, des technischen Aufwands und des notwendigen Know-hows. Zudem ist der Workflow von CAD zur VR und zurück noch holprig. Dennoch ist abzusehen, dass sich VR-, AR- und MR-Techniken parallel mit der BIM-Planungsmethode entwickeln und mit ihr etablieren werden.

Weitere Infos und Anbieter*

https://fieldtech.trimble.com/de Menü Products, Mixed Reality
www.bloculus.de Virtual Reality-Blog
www.formitas.de AR-Lösungen im Bauwesen
www.iao.fraunhofer.de Fraunhofer IAO (VR-Forschung)
www.imsys-vr.com Immersive Planungsmethoden
www.inreal-tech.com VR im Bau- und Immobilienbereich
www.virtual-reality-magazin.de VR-Magazin
www.vrbrillen.net VR-Brillen-Vergleich
www.vrodo.de Mixed Reality-Magazin
www.wikipedia.de Suche: Virtual Reality etc.
www.youtube.com Suche: Daqri, Trimble Hololens etc.

Schranz Ch., Gerger A., Urban H.: Augmented Reality im Bauwesen, Teil 1 – Anwendungs- und Anforderungsanalyse, aus: Bauingenieur, 10/2020
Gießmann, S, Börner, F.: Bewertung von virtuellen und erweiterten Realitäten für Unternehmen, Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH), Berlin, 2020
* Ohne Anspruch auf Vollständigkeit!

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