Sichtbeton und die Verbindung zur TGA

Die Betonsuisse Marketing AG, Bern, veranstaltete zusammen mit dem Institut für Geschichte und Theorie der Architektur (gta) und den Fakultäten für Architektur und Konstruktion sowie für Bau, Umwelt und Geomatik der ETH Zürich am 21. April 2008 eine Fachtagung über „Sichtbeton – ästhetisch und funktionell“ [1] in Zürich-Hönggerberg mit über 250 Architekten und Bauingenieuren sowie Bauherrenvertretern. Hier interessieren die Beiträge über Nachhaltigkeit und Nutzungsmöglichkeiten, insbesondere der technischen Gebäudeausrüstung und Energieeinsparung.

Die Funktionen ästhetisch und funktionell sind für Sichtbeton kein Widerspruch, denn es gibt zahlreiche Zusammenhänge zwischen Sichtbeton und der Technischen Gebäudeausrüstung sowie anderen bautechnischen Anforderungen.

Sichtbeton und Nachhaltigkeit – ein Imageproblem?

Nach Andrea Deplazes, Professor für Architektur und Konstruktion an der ETH Zürich, gelten für den Sichtbeton hinsichtlich Nach­haltigkeit die vier E: Economy, Ecology, Equity und Esthetics – besonders was die Funktionen als Oberfläche und auch als Raum­­­werk/Tragwerk angeht. In die­sem Zusammenhang interessieren Herstellung und Bauarten, Nutzung und Umnutzung, Entsorgung oder Recycling also die die gesamte Lebensdauer sowie Nutzungsflexibilität und -widerstand. Für den Rohbauentwurf seinen einige Beispiele genannt; so die

Gebäudeschale als Sichtbetonfassade mit Sichtdämmbeton,

Stützen-Platten-Lösung und die Fassade nur als Ergänzung, wodurch die Nutzungsflexibilität ge­steigert wird, und

Raumwerke mit Erschließung durch Treppen, Rampen, Aufzügen und Lufträumen.

Jeder Beton zeigt eine Sicht, die zeit-, kultur- und herstellungsbedingt ist. Nachhaltig ist Sichtbeton, wenn er langfristig Bestand hat. Damit kommt man wieder zu den vier E!

Multifunktioneller Beton: tragen, kühlen, speichern, wärmen, schützen

Zu unterscheiden sind multifunktionelle Anwendungen als

Tragkonstruktion und Gebäudeabschluss (Wetterschutz) sowie Gestaltung durch Architekten,

Recycling-Material statt Kies und Sand (Baubiologie, Festigkeiten, Aussehen usw.) für Eco Bau,

Verbundwerkstoff (Holz-Beton, Stahl-Beton usw.),

Wärme- und Kältespeicher und -verteiler (Betonböden und Geschossdecken; sommerlicher Wär­me­schutz und Nachtlüftung/aus­kühlung; Doppelhaut-Fassade) sowie

Dämmschicht, zum Beispiel als wärmedämmender Sichtbeton teils mit/ohne Dämmung (leich­ter als Normalbeton, aber Verlust an Tragfähigkeit; Wandstärken von 50 cm).

Näher eingegangen wurde auf den Bau von Minergiegebäuden in wärmedämmendem Beton und auf das unterschiedliche Ver­halten von Leichtbeton- und Massiv­bauten bezüglich Energiehaushalt, denn heute fordert der Gesetzgeber Nachweise des Energieverbrauchs und -bedarfs von Gebäuden (Energieausweis nach EnEV [2]).

Zur multifunktionellen Anwendung für Beton gehört nach Dr. Hans-Jürg Leibundgut, Professor für Gebäudetechnik an der ETH Zürich, auch die Nutzung von Hohl­räumen (u.a. zur Gewichtsver­ringerung) in den Geschossdecken aus Ortbeton (Bild 1) oder Betonfertigteilen [3] für

die Luftverteilung (Außenluftzufuhr, Zuluftverteilung in der Nutzfläche und Abluft; Klimatisierung),

Elektro- und Kommunikationskabel und

Versorgungsleitungen und Sprink­leranlage.

Eingebaute Nischen ermöglichen den Zugang im Bedarfsfall. Es soll eine Konstruktionsart für massive Geschossdecken entwickelt werden, in die bei minimal größerer Bauhöhe die Zuluft- und Elektroversorgung der Nutzfläche integriert werden kann. Ein Beispiel für die multifunktionelle Nutzung ist das Schulhaus Leutschenbach in Zürich mit weit auskragenden Geschossdecken (Bild 2), die alle haustechnischen Installationen beinhalten; die Innovation bestand in einem Leichtbeton mit Recycling-Gesteinskörnung und der Ausführung als Sichtbeton.

Maßgebende Einflussfaktoren auf die Qualität von Sichtbeton

In der Sichtbetonbauweise wird großer Wert auf qualitativ hochwertige Sichtflächen gelegt. Sedimentiert oder blutet der Beton während des Einbaus, kann die Qualität der Sichtflächen durch Fleckenbildung, Blutungskanäle, Wasserporen oder Risse vermindert werden. Deshalb wurden in der Eidgenössischen Materialprüfanstalt (EMPA) in Dübendorf entsprechende Untersuchungen durchgeführt (Bild 3), und zwar über

Sedimentation und Bluten von Beton sowie

Wechselwirkungen zwischen Beton, Trennmittel, Schalung, Verarbeitung und Umgebungsbedingung.

Danach nimmt die Sedimentation von zementären Baustoffen mit dem Ausbreitmaß bzw. der Verarbeitbarkeit zu. Außerdem können übermäßiges Verdichten und die Verwendung eines Luftporenmittels die Sedimentation verstärken. Die Gefahr einer Beeinträchtigung der Sichtbetonqualität durch das Bluten kann durch die Wahl eines Betons mit geeigneter Konsistenz verringert werden; außerdem sollten Sichtflächen nicht bei niedrigen Temperaturen betoniert werden.

Empfehlungen zur

Sicht­betonbauweise

Als Ergebnis zweier Forschungsvorhaben der Cemsuisse über Sicht­beton sind diese Empfehlungen eine Anleitung, in der Erkenntnisse und optimale Abläufe praxistauglich festgehalten sind. Die Dokumentation ist chronologisch dem Planungs- und Bauprozess entsprechend in fünf Modulen aufgebaut:

Modul 1 „Vorabklärungen“ dient Bauherrn, Architekten und Bauingenieuren als Grundlage zur frühen Entscheidungsfindung (vgl. Bild 3) und

Modul 2 „Ausschreibung“ dient dem Bauunternehmer, um Leistungen auch mit Hilfe von Referenzen und Mustern anzubieten (Tabelle 1 und Bild 4),

Modul 3 „Bauausführung“ gibt Empfehlungen und Checklisten für alle am Bau Beteiligten zum Erreichen einer hohen Ausführungsqualität (PQM Sichtbeton) und

Modul 4 „Mängel“ gibt einen Überblick, wie mögliche Mängel zu beurteilen, zu bewerten und allenfalls zu beseitigen sind,

Modul 5 „Wissenstransfer“ dient dazu, Erfahrungen und Wissen zu dokumentieren und allen zugänglich zu machen.

Damit wird das Wissen und die Erfahrung aus der Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft, Praxis und Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt.

Dipl.-Ing. G. Brux,
60596 Frankfurt/Main
Literatur
[1] Sichtbeton – ästhetisch und funktionell; 2. Schwei- zer Betonforum, 2008. Betoinsuisse Marketing AG, Bern, www.betonsuisse.ch
[2] Hegner, H.-D.: Energieaus- weise für die Praxis. Fraun hofer IRB-Verlag, Stuttgart, 2008
[3] Brux, G.: Integrierte Planung am Bau, TAB 2/2008, S. 26 bis 28
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