Vom Ingenieurmangel im Baugewerbe

Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Ingenieurmangel im Bauwesen in Kürze behoben sein wird. Auch wenn mit dem 1. Mai 2011 die vollständige EU-Freizügigkeit in Kraft getreten ist und sich damit Arbeitskräfte aus fast allen osteuropäischen EU-Ländern können sich dann für freie Stellen in Deutschland bewerben können, ist mit einer Entspannung nicht zu rechnen. Vom Fachkräftemangel betroffenen Ingenieurbüros erhoffen sich allerdings qualifizierte Bauingenieure vor allem aus Polen und Tschechien. „Wir rechnen allerdings nicht mit einem Ansturm, denn auch in den osteuropäischen Staaten entwickelt sich die Wirtschaft dynamisch“, so Dr.-Ing. Heinrich Schroeter, Präsident der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau. Honorar- und Lohndumping durch osteuropäische Arbeitskräfte wird deshalb auch nicht bei den kleinen Ingenieurbüros befürchtet, wie eine stichprobenartige Umfrage der Kammer zeigt.

In den vergangenen Jahren konnten in der Bauwirtschaft zahlreiche offene Ingenieurstellen nicht besetzt werden. Der Bedarf ist groß, aber Ingenieurbüros können nicht genügend Leute finden. Auf absehbare Zeit kann der jährliche Einstellungsbedarf von allein rund 4500 Bauingenieuren nicht gedeckt werden. Tatsächlich fehlen jedes Jahr etwa 1000 Hochschulabsolventen.

Im Bereich der TGA ist die Lage nicht besser. So erklärt Dipl.-Ing. (FH) Alexander Lyssoudis, vom Ingenieurbüro Haff/Lyssoudis in München und Vorstandsmitglied der Bayerische Ingenieurekammer – Bau: „Im Bereich der technischen Gebäudeausrüstung ist der Mangel an qualifizierten Fachkräften schon seit einigen Jahren spürbar. Wenn man als kleines bis mittleres Büro heute einen Ingenieur für technische Gebäudeausrüstung sucht, kommen manches Mal nicht mehr als ein bis zwei Bewerbungen zurück. Es gibt dann auch schon einmal Annoncen die keine einzige Bewerbung generieren. Da muss man schon das ein oder andere Mal auf eine alternative Ingenieurausbildung (z.B. Umweltschutz) ausweichen. Es ist aber dennoch eher unwahrscheinlich, dass sich der Fachkräftemangel durch Ingenieure aus Osteuropa decken lässt. In der technischen Gebäudeausrüstung liegt sehr viel Know-how in den regionalen Gepflogenheiten für Werkstoffe und hat in den letzten Jahren auch sehr viel mit regenerativen Energien zu tun, wo man in Deutschland eher voraus ist. Hier haben aus dem Ausland kommende Ingenieure oft Nachholbedarf. Ganz deutlich ist dieser Zusammenhang bei der Nutzung oberflächennaher Geothermie im Zusammenhang mit Wärmepumpen. Hier ist Deutschland mitunter im europäischen Vergleich zwar nicht Spitzenreiter, generiert aber deutlich höhere Umsatzzahlen, als die osteuropäischen Länder. Für ein kleines bis mittleres Büro ist auch die Sprachbarriere das größte Hemmnis für eine Festanstellung eines osteuropäischen Ingenieurs. Da der Ingenieur der technischen Gebäudeausrüstung systembedingt viel Endkundenkontakt hat, spielt deshalb die sprachliche Gewandtheit des Ingenieurs eine wichtige Rolle.“

 „Früher haben wir auf eine Stellenanzeige in der Regel mehr als 40 Antworten bekommen, heute meldet sich mitunter kein einziger Bewerber, der die Anforderungen der Stellenausschreibungen erfüllt.“ berichtet auch Dipl.-Ing. Univ. Dietrich Oehmke. Der geschäftsführende Gesellschafter des Nürnberger Ingenieurbüros Rieger + Brandt mit rund 40 Angestellten hat unterschiedliche Erfahrungen mit im Ausland ausgebildeten Bauingenieuren gemacht. So sei der Versuch „ins Auge gegangen“, einen Ingenieur aus dem arabischen Raum zu beschäftigen, so Dietrich Oehmke. Das Können des Ingenieurs und die Anforderungen hätten nicht zusammengepasst. Den neuen Möglichkeiten, die durch die osteuropäischen Kollegen eröffnet werden, steht Oehmke offen gegenüber. Grundsätzlich entspreche die Qualität der Ausbildung in vielen Ländern der deutscher Universitäten und Hochschulen.

International geht es ebenfalls bei der WTM Engineers München GmbH zu, die zur WTM Engineers Unternehmensgruppe mit insgesamt 160 Mitarbeitern gehört. Am Standort München arbeiten unter anderem Ingenieure aus China, aus Russland, aus der Türkei und aus Serbien. Geschäftsführer Dr.-Ing. Otto Wurzer erhofft sich nun vor allem eine Erleichterung bei der Anstellung neuer Mitarbeiter: „Eine gültige Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis zu beschaffen war bisher ein fürchterlich mühseliger Prozess, der mindestens zwei Monate dauerte“, so seine Erfahrung mit Behörden, Konsulaten und Botschaften. In Osteuropa gebe es viele gut ausgebildete Kollegen. Da bei vielen Aufträgen die Projektsprache Englisch sei, erwartet Wurzer nach eigenen Angaben keine großen Verständigungsprobleme.

Von Schwierigkeiten osteuropäische Bauingenieure in Deutschland anzustellen, berichtet auch Dipl.-Ing. Dieter Stumpf, Geschäftsführer der SSF Ingenieure AG. Das Unternehmen mit insgesamt 220 Angestellten unterhält mehrere Büros im Ausland. „Bisher konnten wir fertig ausgebildete Diplom-Ingenieure aus Osteuropa in Deutschland nicht halten“, so Stumpf. Nicht etwa, weil in Deutschland kein Bedarf da gewesen wäre, sondern weil die Mitarbeiter laut Stumpf aus rechtlichen Gründen nach drei Monaten in ihr Heimatland zurück mussten. „Wir rechnen nun schon damit, dass wir für unser Ingenieurbüro Mitarbeiter aus Osteuropa einstellen werden.“ In Deutschland könnten die Ingenieure deutlich mehr Geld als in ihrem Heimatland verdienen. Allerdings seien die Lebenshaltungskosten hierzulande auch deutlich höher, relativiert Dieter Stumpf. 

 

 

 

Die deutsche Bauwirtschaft und die Planungsbüros bieten gut ausgebildeten Ingenieuren sehr gute Karrieremöglichkeiten. Auch in der öffentlichen Verwaltung sind Ingenieure sehr gefragt. Berufseinsteiger starten mit einem Durchschnittseinkommen in Höhe von 39000 € (brutto), erfahrene Ingenieure verdienen durchschnittlich 55000 € (brutto) pro Jahr.

 

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