Forschungsprojekt zu BIPV
21.02.2024
Die Gebäudehülle als Minikraftwerk: Beim Drees & Sommer-Neubau OWP 12 in Stuttgart wurden auf knapp 700 m2 Fassadenfläche bauwerkintegrierte PV-Elemente umgesetzt. Das Potenzial von fassadenintegrierter PV ist derzeit praktisch noch ungenutzt. Auch, weil es sich meist um Sonderlösungen handelt.
Bild: Jürgen Pollak
Das PV-Potenzial von Fassaden ist aktuell noch wenig genutzt. Das vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz geförderte Verbundforschungsprojekt „SolarEnvelopeCenter“ soll dies ändern: Unter Führung des Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) arbeiten derzeit diverse Industrieunternehmen und Forschungszentren an standardisierten Lösungen, wie sich PV-Anlagen technisch einfach, schnell und kostengünstig an den Gebäudehüllen umsetzen lassen.
„Während sich fast jedes Dach mit relativ geringem Aufwand mit Photovoltaik ausstatten lässt, sind herkömmliche PV-Module für Fassaden in der Regel ungeeignet. Integrieren lassen sie sich nur mit einem unverhältnismäßig großen technischen und finanziellen Aufwand“, sagt Christian Luft, Experte für Energiemanagement beim Beratungsunternehmen Drees & Sommer. Mit Blick auf die Zahlen ergänzt er: „Um das Ziel von 200 GW Solarenergie bis 2030 zu erreichen, müssen wir die installierte PV-Kapazität vervielfachen. Ohne Photovoltaikanlagen an Gebäudefassaden ist das nicht zu schaffen. Der Knackpunkt ist dabei: Derzeit fehlen uns die standardisierten Planungsinstrumente, um Photovoltaik sowohl technisch, aber auch wirtschaftlich an den Fassaden anzubringen.“
Kooperation aus diversen Marktsegmenten
Das möchte ein Netzwerk aus Industrie- und Forschungspartnern mit dem Forschungsprojekt „SolarEnvelopeCenter“ ändern und entwickelt Normallösungen für PV-Integration an den Gebäudehüllen. Dr. Helen Rose Wilson, Projektleiterin des Fraunhofer ISE, spricht über die Ziele des Forschungsvorhabens: „Bisher handelt es sich bei PV-Anlagen an den Fassaden überwiegend um Speziallösungen, die Beteiligte sehr mühsam erarbeiten müssen. Unsere Forschung soll konkrete, zum Teil standardisierte Lösungen aufzeigen, die Anwender dann je nach Projektanforderungen kombinieren und weiter ausarbeiten können.“
Wissenschaftlich begleitet wird das Projekt durch das Fraunhofer ISE und das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz GmbH (DFKI). Solarfachkräfte und Hersteller sind durch die Deutsche Gesellschaft für Solarenergie e.V. (DGS) und dem Photovoltaik-Systemanbieter IBC Solar vertreten. Für Praxistauglichkeit der erarbeiteten Standards in der Baubranche sind das Architekturbüro Wulf Architekten und das Bauberatungsunternehmen Drees & Sommer verantwortlich.
Zukünftige Gebäude-Praxis
Wie sich Photovoltaikmodule erfolgreich in die Gebäudefassaden integrieren lassen, zeigen Projekte wie das Rathaus Freiburg und das Bürogebäude OWP 12 in Stuttgart. Rund 800 Photovoltaikmodule an der Fassade und auf dem Dach des 2017 fertiggestellten Freiburger Rathauses sorgen dafür, dass das Gebäude mehr Energie erzeugt als es verbraucht. Auch der Drees & Sommer-Büroneubau OWP 12 in Stuttgart ist ähnlich konzipiert. Neben Solaranlagen auf dem Dach sorgt die Fassade mit PV-Elementen an der Süd- und Westseite für grünen Strom und deckt etwa ein Drittel des Gebäude-Strombedarfs ab. Insgesamt wird auf knapp 700 m2 Fassadenfläche ein Ertrag von rund 70 MWh im Jahr gewonnen. Aufgrund der Fassadenkonstruktion, die hohen Anforderungen an Schallschutz und Wärmedämmung standhalten soll, ist die Fassade in Kombination mit den PV-Elementen 210 mm dick.
„Auch wenn Solaranlagen auf den Dächern ertragreicher sind, lohnt es sich auch in die Photovoltaikanlagen an den Fassaden zu investieren. Wer klimaneutral und damit zukunftsfähig bauen will, muss wortwörtlich über den Dachrand hinausdenken“, sagt Kai Babetzki, Experte für Energiemanagement bei Drees & Sommer. Sein Kollege Valentin Balog sagt zu weitere Vorteile von Photovoltaik-Anlagen an Gebäudehüllen: „Richtig eingesetzt können sie nicht nur Strom erzeugen, sondern reduzieren Lärmeintrag, schützen vor extremen Witterungen und regulieren das Klima innerhalb der Gebäude“. In zwei Jahren soll das Forschungsprojekt abgeschlossen werden. Geplant ist zudem, Teilergebnisse der Forschung als VDI-Richtlinie zu veröffentlichen, um die breite Anwendung zu fördern und damit die Solarisierung der Gebäudehülle beschleunigen zu können.