Ein unterschätzter Faktor

Lüftungskonzepte im Objektgeschäft

Lüftungskonzepte sind zentraler Bestandteil in der Betrachtung, wie der Gebäudesektor in der Wärmeversorgung deutlich energieeffizienter und damit klimafreundlicher werden kann. Das als Säule zu begreifen wird häufig noch sehr halbherzig gesehen. Das Objektgeschäft verlangt außerdem andere Lösungen als der klassische Wohnungsbau. Dennoch ist eine fixe, also standardisierte Zuordnung von Lüftungskonzepten zu einzelnen Gebäudetypen praxisfremd.

Einer der häufigsten Planungsfehler besteht darin, dass immer noch allzu oft gänzlich auf lüftungstechnische Lösungen verzichtet wird, was für Wohn- und Nichtwohngebäude gleichermaßen gilt. Trotz der Faktenlage gehören Lüftungsanlagen leider immer noch nicht zum Standard in der Gebäudeplanung bei Neubau und Sanierung, obwohl die Vorteile auf der Hand liegen: bessere Luftqualität, Schutz vor Außenlärm sowie gesteigertes Wohlbefinden. Dazu kommt der technische Nutzen, vor allem Erhalt der Bausubstanz und Energieeffizienz durch Wärmerückgewinnung. Selbst die gesundheitlichen Erkenntnisse aus der zurückliegenden Pandemie haben daran leider wenig geändert. Effizientes Heizen hängt außerdem nicht allein von der Wärmeerzeugung und der Gebäudedämmung ab, sondern auch davon, dass Heizwärme beim Lüften nicht unnötig entweicht.

Problematiken von Fenster und Fuge

Die Fensterlüftung ist energetisch gesehen kontraproduktiv. In einem internen Strategiepapier des Instituts für Technische Gebäudeausrüstung Dresden (iTG), das im Auftrag für die Pluggit GmbH erstellt wurde, kommen die Autoren zu folgendem Ergebnis: Die Lüftungswärmeverluste in modernen, energieeffizienten Gebäuden können eine Größenordnung von 50 % und mehr erreichen, bezogen auf die gesamten Wärmeverluste eines Gebäudes. Man wirft die Wärme buchstäblich zum Fenster hinaus. Die klassische „Fugen- und Fensterlüftung“ ist auch planungs- und erfassungstechnisch ein grundsätzliches Problem, denn bei einer Fugen- und Fensterlüftung ist die tatsächlich ausgetauschte Luftmenge nur sehr schwer zu bestimmen.

Die Vielzahl der Öffnungsmöglichkeiten über Fenster, also Kipp-, Quer- oder Stoßlüftung machen das Thema auch nicht übersichtlicher. In der Praxis muss der Nutzer das bzw. die Fenster selbst öffnen, was für einen 0,5-fachen Luftwechsel ein Handlungsintervall von 2 Stunden bedeuten würde, auch nachts. Selbst wenn dies gelingen sollte, bleibt bei den zu erwartenden Luftwechselraten immer noch eine Abhängigkeit von Temperaturdifferenzen (Innen/Außen) und Windlasten, vorrangig basierend auf Über- (Luv) und Unterdruck (Lee).

Die baurechtlich eingeführte Normenreihe DIN 4108 fordert den Luftwechsel zum Feuchteschutz in den Teilen 2 & 8 ganz klar ein. Zusätzlich werden deutlich höhere Luftmengenanforderungen an die Gebäudenutzung selbst, dem Wohnen oder Arbeiten, gestellt. Dem Gesetzgeber war das wohl schon viel früher, zur Einführung des Referenzgebäudemodels in der Energieeinsparverordnung (EnEV) klar, denn hier ist seit Jahren ein geregeltes Abluftsystem lüftungstechnischer Mindeststandard.

Objektgeschäft ist komplexer

In Zeiten der KfW-Effizienz-Förderung sind Lüftungskonzepte mit Wärmerückgewinnung im Wohnungsneubau üblich. Im Objektgeschäft gibt es aber recht häufig Gebäude mit Mischnutzung, d. h. hier überschneiden sich mitunter Regelwerke zur Lüftungsauslegung und energetischen Bilanzierung. In diesen Fällen ist daher ein besonderes Augenmerk auf die zonale Verteilung der unterschiedlichen Nutzungssituationen zu legen. Auch die Bewertung der hygienischen Rahmenbedingungen lüftungstechnischer Maßnahmen sind nicht immer einfach. Die DIN EN 16798-3 regelt die Anforderungen an raumlufttechnische Anlagen (RLT) auf Basis der Eingangsparameter für die Raumluftqualität nach DIN EN 16798-1. Sie berücksichtigt aufgrund der deutlich vielfältigeren Nutzungssituationen in Nichtwohngebäuden viel mehr Randbedingungen als die DIN 1946-6 bei Wohngebäuden. So deckt die DIN 1946-6 hygienische Aspekte nur dann gänzlich ab, wenn keine aktive Kühlung oder aktive Be- bzw. Entfeuchtung eingesetzt wird. Gleiches gilt, wenn das Lüftungssystem mehr als eine Wohnung versorgen soll. In beiden Fällen unterliegt das Thema Ausführung und Reinigung dann auch den Rahmenbedingungen der VDI 6022. Das zieht unter anderem einen deutlich höheren Wartungsaufwand nach sich, etwa mit Abklatschproben der Filter.

Lüftungskonzepte sind individuell

Eine fixe Zuordnung von Lüftungskonzepten nach Gebäudetypen wäre grundsätzlich zwar denkbar, ist aber in der Praxis oft weniger zielführend. Bspw. gibt es für Hochhäuser spezielle Anforderungen an die Lüftungsanlage, die den Brandschutz, thermischen Auftrieb sowie die Windlasten an der Fassade berücksichtigen. Hinzu kommen verschiedene Interessen der Beteiligten.

Während im Mietsektor für die Bestandshalter neben den qualitativen Eigenschaften und der Investition vordergründig die Lebenszykluskosten für Wartung und Instandhaltung den Ausschlag geben können, liegen die Prioritäten bei Eigentümergemeinschaften eher bei Effizienz und Betriebskosten. Der Immobilieninvestor mit reinen Verkaufsambitionen hat wiederum ganz andere Aufgabenstellungen im Fokus. So reduziert z. B. der Platzbedarf für Schächte und Verkleidungen von Lüftungsleitungen ggf. den Verkaufserlös über die erzielbare Wohnfläche. Ebenso werden die Anforderungen an den Ausstattungsgrad von lüftungstechnischen Maßnahmen im Sozialwohnungsbau anders definiert als im Luxussegment. Bei letzterem können nur die Ansprüche an Design und Komfort zu eher aufwändigen und damit kostspieligeren lüftungstechnischen Lösungen führen.

Ebenso spielen reine Standortbedingungen wie Luftqualität oder Außenlärm eine entscheidende Rolle bei der planungstechnischen Herangehensweise. Für Außenlärm z. B. definiert die Musterbauordnung einen klaren Rahmen und verweist über die bauaufsichtliche Richtlinie zur Einhaltung der Normenreihe DIN 4109. Da heißt es im Teil 1, dass ein Schutz gegen Außenlärm nur wirksam ist, wenn Fenster und Türen geschlossen bleiben. Das alles für Wohngebäude planerisch haftungssicher zu berücksichtigen ist erst mit Erscheinen der DIN 1946-6 deutlich einfacher geworden. Sie definiert greifbare Randbedingungen und stellt einen einfach umsetzbaren Rechenansatz bereit. Das findet dann im Lüftungskonzept unter Zuhilfenahme der Gebäudedichtigkeit und der zu erwartenden Personenzahlen Berücksichtigung, wobei die Fenster hier systembedingt ausscheiden.

Fehler in der Planungspraxis

Bei geplanten lüftungstechnischen Lösungen sind die Fehler in der Regel überschaubar. Mitunter geht es um fehlerhafte Ermittlungen der erforderlichen Volumenströme schon für den ersten Schritt zur Erstellung eines Lüftungskonzeptes, also dem Vergleich zwischen Infiltrationsleistung und Bedarf zum Feuchteschutz. Diese basieren wiederum auf Missverständnissen zu Basiswerten, die dann das Ergebnis in der Form verfälschen, dass auf lüftungstechnische Maßnahmen vermeintlich verzichtet werden kann. In der Praxis reicht das von falschen Annahmen zum örtlichen Windgebiet (Windlasten), über die anzunehmende Personenzahl bis hin zur vermeintlich realistischen Einschätzung der Gebäudedichtheit.

Viel seltener sind dagegen Fehler in der Anwendung der zahlreichen Softwarelösungen zu beobachten. Auch bei der Beachtung von Schallanforderungen kommt es immer wieder zu Fehlinterpretationen. So kann es beim Thema Außenlärm an einer Gebäudefront durchaus andere Anforderungen geben als auf der Gebäuderückseite. Auch lassen nicht alle lüftungstechnischen Lösungsansätze die Einhaltung erhöhter Schallschutzanforderungen nach DIN 4109-5 zu.

Bei Push/Pull-Geräten kommt es immer mal wieder zu planerischen und technischen Verständnisproblemen beim Platzbedarf und der Fehl-Einschätzung vorhandener Windlasten: Hierbei geht es z. B. um Mindestwandstärken der Außenwände, die Integrierbarkeit dieser Geräte und um den Fassadenaufbau bei Laibungslösungen. Mittlerweile seltener bei diesem Gerätetyp sind Fehlinterpretationen der örtlichen mittleren Windlasten. Die überwiegende Mehrheit der am Markt befindlichen Geräte ist nicht für windexponierte Lagen (mittlere Windgeschwindigkeit ≥ 5 m/s) geeignet. Die genauen Grenzwerte lassen sich in der jeweiligen Bauartzulassung finden.

Auch bei der notwendigen Brandschutzanforderung bei Lüftungsanlagen gibt es immer wieder Irritationen. Das reicht von der Einsetzbarkeit geeigneter Brandschutztechnik, d. h. Schott oder Klappe bzw. Kaltrauchsperre ja oder nein, bis hin zum Geltungsbereich der Lüftungsanlagenrichtlinie (LüAR). Dazu gibt es häufig Gesprächsbedarf bei Projektbeteiligten und Ämtern. Letzteres kann in der Fachliteratur, genauer der 2. Auflage des Kommentars von Lippe/Czepuk/Esser/Vogelsang zur M-LüAR nachgeschlagen werden.

Bei Anlagenkonzepten mit gemeinsamen Lüftungsleitungen für mehrere Nutzungseinheiten kommt es mittlerweile eher selten vor, dass bei der Verwendung motorischer Brandschutzklappen die luftseitigen Rückschlagklappen an den Wohnungsabgängen vergessen werden.

„Luft“ unter ferner liefen

Zusammengefasst gibt es bei Nichtwohngebäuden ein deutlich höheres Anforderungsniveau an die Planung und Ausführung von RLT-Anlagen. Daraus resultiert im Planungsgewerbe ein üblicher Spezialisierungsgrad und in der technischen Ausführung und Umsetzung mit dem RLT-Anlagenbauer ein spezialisiertes Berufsbild.

Schlussendlich sind Lüftungskonzepte auch im Rahmen des Klimaschutzes im Gebäudesektor von essentieller Bedeutung. Einer Studie des Bundesverband für Wohnungslüftung (VfW) zufolge könnten Wohnraumlüftungen mit Wärmerückgewinnung eine Einsparung von 2 Mio. t/a an Treibhausgas-Emissionen leisten, sobald nur 10 % aller Wohnungen in Deutschland bis 2030 mit ihnen ausgerüstet würden. Laut Klimaschutzgesetz ist bis 2030 eine Reduzierung der Treibhausgas-Emissionen um 35 Mio. t/a vorgesehen.

Die ernüchternde Realität ist aber, dass derzeit lediglich ca. 100.000 Wohnungen, also weniger als 0,3 % aller Wohnungen in Deutschland, jährlich eine Wohnraumlüftung erhalten – Tendenz 2023 sinkend. Der Grund dafür liegt in der mangelhaften Förderlage. Luft ist immer noch ein Thema „unter ferner liefen“. Zukünftige Novellen des GEG sollten das Thema Lüftung dringend stärker berücksichtigen und die Förderlandschaft sollte bessere Anreize schaffen. Das wäre gleichermaßen für den klassischen Wohnungsbau sowie für das Objektgeschäft zu wünschen.

tab fragt nach

Bernhard Schneider ist Leiter Nachfrageförderung bei der Pluggit GmbH. Mit ihm sprachen wir über die aktuellen Markt- und Rahmenbedingungen für Lüftungssysteme im Objektgeschäft.

tab: Wie schätzen Sie die Marktsituation heute für kontrollierte Wohnungslüftung im Objektgeschäft ein?

Bernhard Schneider: Die aktuelle Situation im Objektgeschäft wird durch die Faktoren Bauzinsen, Materialverfügbarkeit sowie Fachhandwerkermangel gelenkt. Durch diesen Kostendruck werden nach wie vor zum größten Teil reine Abluftsysteme eingesetzt, die sich im Vergleich zu Systemen mit Wärmerückgewinnung kostengünstiger und technisch einfacher umsetzen lassen.

tab: Wie stellt sich die Situation bzgl. der gesetzlichen und technischen Rahmenbedingungen dar?

Bernhard Schneider: Nach wie vor herrscht keine Klarheit seitens der Politik bzgl. der Förderlandschaft, d. h. es gibt keine klaren Rahmenbedingungen und somit keine Planungssicherheit für Investoren und die Baubranche. Dringend benötigte Investitionen für den Wohnungsmarkt werden gestoppt, es herrscht eine allgemein abwartende Stimmung. Leider hat die Wärmerückgewinnung nicht den Stellenwert in der öffentlichen Debatte und die Wahrnehmung, die ihr gebührt: Hierdurch lässt sich im Neubau der Energiebedarf um bis zu 20 % und im Neubau sogar um bis zu 69 % reduzieren (Quelle: Kurzstudie-Wohnungslüftung-Klimaschutz-und-Nachhaltigkeit-2023-05-ITG-für-VfW). Somit leistet die Wohnungslüftung mit Wärmerückgewinnung einen wichtigen Beitrag als nachhaltige Schlüsseltechnologie zur Umsetzung der Klimaziele.

tab: Welche Entwicklungen sind hier weiter zu erwarten und welche Marktentwicklung prognostizieren Sie, a) im Neubau und b) in der Gebäudesanierung?

Bernhard Schneider: Der Einfamilienhaussektor ist im Vergleich zu den Vorjahren um über 30 % eingebrochen, hier geht der Trend zu Mehrfamilienwohnhäusern mit 5 bis 10 Wohneinheiten, bei tendenziell kleiner werdender Wohnungsfläche. Zukünftig werden Sanierung und Modernisierung eine größere Rolle spielen. Innerstädtisch besteht seit der Pandemie die Aufgabe, die „überflüssigen“ Büros in Wohnungen umzuwandeln. Studien belegen, dass zukünftig in den Großstädten dauerhaft 15 bis 20 % weniger Bürofläche benötigt wird (Quelle: CBRE Immobilienberatung). Langfristig ist in Deutschland davon auszugehen, dass bis zu 40 % der heute genutzten Bürofläche umgenutzt werden könnte (Quelle: Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen e.V., Arge). Die Herausforderung für die Industrie liegt darin, kostengünstige, effiziente Lüftungssysteme zu entwickeln, die sich minimalinvasiv in den Wohnraum integrieren lassen.

x

Thematisch passende Artikel:

Ausgabe 02/2016

Wohnungslüftungsplanung

Frischluft nach Programm

Energieeffiziente Gebäude stellen erhöhte Anforderungen an die Luftdichtigkeit von Gebäuden. Eine dichte Gebäude­hülle verhindert jedoch einen ausreichenden Luftaustausch, was zu mangelnder...

mehr
Ausgabe 04/2020

Lüftungskonzept mit Fensterlüftung

Planen mit der DIN SPEC 4108-8 – Teil 2
Vergleich der Volumenstr?me f?r die Feuchteschutzl?ftung nach DIN SPEC 4108-8 mit der L?ftung zum Feuchteschutz nach DIN 1946-6

Zur Wahl des Außenklimazustandes Der Zuluftzustand ist frei wählbar, wodurch auch die Wärme- und Feuchterückgewinnung berücksichtigt werden kann. Für die Lüftung direkt mit Außenluft ist der...

mehr
Ausgabe 03/2020

Lüftungskonzept mit Fensterlüftung

Planen mit der DIN SPEC 4108-8 – Teil 1
Feuchteabgabe von Beton nach Fertigstellung

Einleitung Die EnEV 2016 §6 Absatz (2) stellt die Forderung: „Zu errichtende Gebäude sind so auszuführen, dass der zum Zwecke der Gesundheit und Beheizung erforderliche Mindestluftwechsel...

mehr
Ausgabe 7-8/2011

Bemessung lüftungstechnischer Komponenten

Wohnungslüftung nach DIN 1946-6
Wohnungsl?ftung nach DIN 1946-6

Das Programm „Wohnungslüftung nach DIN 1946-6“ von C.A.T.S. erstellt gemäß der Forderung der DIN 1946-6 ein Lüftungskonzept, welches überprüft, ob eine lüftungstechnische Maßnahme notwendig...

mehr
Ausgabe 02/2017

Planung einer Wohnraumlüftung

Inwieweit helfen Normen bei der Orientierung?

Deutschlandweit werden aktuell nur wenige Mehrfamilienhäuser mit Zu- und Abluftanlagen gemäß DIN 1946-6 – Lüftung von Wohnungen – gebaut. Systeme mit Wärmerückgewinnung finden sich noch...

mehr