Simulation von TGA-Parametern bei großflächigem Gebäudekomplex

Energetische Sanierung eines Mehrfamilienhauses per Softwareunterstützung

Für die Energiewende müssen künftig immer mehr Bestandsgebäude energetisch saniert werden. Wenn zusätzlich die Vorgabe besteht, die vorhandene Infrastruktur möglichst unverändert zu lassen, sind entsprechende Hilfsmittel gefragt, um eine Sanierung zuverlässig planen und ausführen zu können. Mittels einer Simulationssoftware lassen sich solche Modernisierungsvorhaben effizient umsetzen – wie das Beispiel eines großen Bestandsgebäudes in Berlin zeigt.

Ganzheitliches Denken, Planen, Finanzieren und Umsetzen – vom städtebaulichen Großprojekt bis zum Wärmebrückendetail. Das ist das Leitbild des Planungsbüros eZeit Ingenieure. Das Berliner Unternehmen für Architektur, Gebäude- und Energietechnik hat sich auf energieoptimiertes, nachhaltiges Bauen fokussiert. Das Leistungsspektrum der Planer umfasst dabei alle Bereiche des Wohn- und Gewerbebaus, vom Einfamilienhaus über große Wohnanlagen bis hin zu ganzen Quartieren. Sowohl im Neubau als auch in der Sanierung legt das Planungsbüro großen Wert auf Konzepte für wirtschaftlich energieoptimierte Bauprojekte.

Minimalinvasive Sanierung

Das Planungsbüro wurde damit beauftragt, die energetische Sanierung eines Berliner Mehrfamilienhauses im Bezirk Pankow umzusetzen. Das Haus mit rund 2.400 m² Wohnfläche hatte ursprünglich 17 Wohneinheiten (WE) im Bestand. Ein Anbau (3 WE) und ein neues Dachgeschoss (4 WE) mit insgesamt 7 neuen WE wurden im Zuge der Sanierung realisiert. Dabei musste sich das Unternehmen mit einigen Anforderungen auseinandersetzen: Die Strangsanierung des Leitungsnetzes, welches Heizleitungen, Teile der Trinkwasserleitung und falls nötig Teile der Elektroinstallation beinhaltete, musste minimalinvasiv erfolgen. Um dies so umzusetzen, sollten bereits vorhandene Schornsteinzüge im Gebäude (bis auf einen Schornsteinzug für einen Spitzenlastkessel) für die Leitungsinstallation genutzt werden. Auch war geplant, die vorhandenen Heizkörper im Bestand zu lassen.

Bernd Paarmann, auf Gebäudeenergie- und -informationstechnik spezialisierter Ingenieur bei eZeit Ingenieure, sagt: „Das Prinzip war also, dass sich alles in der Planung und anschließenden Sanierung nicht nur auf die Gebäudehülle konzentrierte.“ Das Zusammenwirken von Gebäudehülle und Gebäudetechnik soll die Reduktion der CO2-Äquivalente (CO2e)-Emissionen bewirken. Die Konsequenz dieser Ausgangslage war, dass vor dem Umbau eine Vielzahl an vorbereitenden Simulationen erfolgen mussten. Hierfür wurde die simulationsgestützte Planung, Auslegung und Optimierung der Energiesysteme mit „Polysun“ von Vela Solaris gewählt.

Simulation der TGA-Parameter

In dem Simulationsprogramm konnten Paarmann und seine Kollegen die Eingangsparameter erfassen, z. B. Gebäudegeometrie, Hülle, Nutzung oder TGA im Bestand. Erst daraufhin erfolgte eine genaue, auf das Gebäude zugeschnittene Planung der Gebäude- und Energietechnik. Ebenso flossen darin standortspezifische Faktoren ein, wie z. B. lokale Wetterdaten. Für die Planung sollte auch die Wärmeerzeugerleistung, welche die Heizwärme und die Energie für die Trinkwarmwasserbereitung zur Verfügung stellen, genau passend zu dem jeweiligen Projekt gewählt werden. Das beinhaltet einen Gasspitzenlastkessel, eine Sole-Wärmepumpe (Quelle: Erdwärmesonden), Abluftwärmepumpe (Quelle: Abluftwärme aus der kontrollierten Wohnraumlüftung) und Solarthermiemodule.

Gleichzeitig galt es, die Komfortansprüche an Warmwasser und Heizen bzw. Kühlen zuverlässig decken zu können. „Ebenso haben wir mit ‚Polysun‘ berechnet, wie sich zukünftig die Energiekosten im Betrieb der Anlage im Vergleich zum unsanierten Zustand und den alten Gasetagenheizungen verhalten“, sagt Paarmann. Das betrifft insbesondere das Thema grüne, bezahlbare Energie. Hierbei handelt es sich um dezentrale Lösungen, die unabhängig von Energiepreiserhöhungen der Fernwärmebetreiber und Gasanbieter kostengünstig betrieben werden können. In den Untersuchungen der eZeit Ingenieure wird der spezifische Energiepreis (Wärme- und bzw. oder Strom) pro m2 Wohnfläche und dessen Entwicklung bis zum Jahr 2050 betrachtet, um das bestmögliche Energiekonzept spezifisch für das jeweilige Projekt erarbeiten zu können.

Energiekonzept mit Zukunftsperspektive

Auch der Aspekt minimalinvasive Sanierung ließ sich mit der Software simulieren. Da sich im Bestandsgebäude einige Schornsteinzüge nicht nutzen ließen und auf zusätzliche neue Schächte verzichtet werden sollte, musste die ursprüngliche Trennung des Heizungsnetzes in Hoch- (bestehende Heizkörper und Warmwasser) und Niedertemperatur (Flächenheizung Neubaubereich) aufgehoben werden. Das notwendige Temperaturniveau des Heizkreises ergibt sich aus der notwendigen Temperatur für die dezentrale Trinkwarmwasserbereitung durch Frischwasserstationen. So blieb ein Hochtemperatur-Netzheizkreis übrig, der – wenn nötig – heruntergemischt wird. Da z. B. die Fußbodenheizung nicht mit einer Heizmitteltemperatur von 50 °C durchströmt werden sollte, muss in diesem Fall dem Heizungsvorlauf Rücklaufwasser beigemischt werden, um auf das gewünschte Temperaturniveau von 35 °C kommen. Um die Frage zu beantworten, ob das geplante Energiekonzept auch unter diesen erschwerten Bedingungen noch funktioniert, wurden der Simulation neue Varianten hinzugefügt und durchgerechnet. Von entscheidender Bedeutung war dabei, wie die Auswirkungen auf den Anteil der regenerativen Energien (Solarthermie, Deckungsanteil ca. 8 %) sowie der Strom-Anteil (Wärmepumpen) im Verhältnis zum fossilen Anteil (Gaskessel) sind und dass die gewünschte und erforderliche Jahresarbeitszahl weiterhin erreicht wird. Die Vereinfachung des Heizungsnetzes sollte sich nicht negativ auf das Energiekonzept auswirken. Im Simulationsprogramm ist dabei die Anlagenaufwandszahl (ep-Zahl) von 0,67 auf 0,86 gestiegen.

Im Detail lief die Sanierung wie folgt ab: Die alten Gasetagenheizungen wichen einer modernen Energiezentrale. Das Energiekonzept umfasste eine Abluftwärmepumpe (6 kW), eine Sole-Wärmepumpe (27 kW) mit neun Tiefenbohrungen und einen Gas-Spitzenlastkessel (max. 122 kW) in Verbindung mit Solarthermie und Photovoltaik (12,5 kWp) auf den Dachflächen (42 m2). Für die Installation der technischen Gebäudeausrüstung inklusive Elektroinstallationen ließen sich dann einige, noch verwendbare und zuvor ausgebrannte Schornsteinzüge nutzen – es wurden keine zusätzlichen Schächte im Bestand benötigt. Auch die Heizkörper wurden nicht ausgetauscht.

Vorbereitung auf Energiewende

„Da wir durch die Simulation die Anteile der verschiedenen Energieträger wie Strom, Gas und Umweltwärme ermitteln konnten, war es uns möglich, eine Prognose über die Entwicklung der Energiekosten im Vergleich von neuer und alter Anlagentechnik zu erstellen“, berichtet Paarmann. „Es ließ sich damit deutlich für den Bauherren und die Mietparteien zeigen, dass bei weiter voranschreitender Stromwende und steigender CO2-Bepreisung unser Energiekonzept im Hinblick auf die Energiekosten im Vergleich zum Weiterbetrieb mit Gas deutlich zukunftsfähiger ist.“ Durch die Substituierung von fossilem Gas mit Strom und Umweltwärme konnten die eZeit-Ingenieure ein Anlagenkonzept realisieren, das auf die Energiewende und die damit verbundenen Preisentwicklungen in Deutschland vorbereitet ist, einen wirtschaftlichen Betrieb ermöglicht und einen so kleinen ökologischen Fußabdruck aufweist, mit dem die klimapolitischen Zielanforderungen, die u. a. im Rahmen der UN-Klimarahmenkonvention vereinbart wurden, für das Jahr 2045 erfüllt werden können.

Die KfW- und BAFA-Förderprogramme des Bundeswirtschaftsministeriums erfordern eine bestimmte Jahresarbeitszahl einer Wärmepumpe. Der Nachweis darüber muss bei komplexeren Anlagensystemen über eine Simulation erbracht werden. „Für dieses Bauvorhaben haben wir mit der Simulation die KfW- und BAFA-Fördermittel für die energetische Sanierung gesichert. Diese geringeren Investitionskosten resultieren in der Umlage in einer geringeren Kaltmietenerhöhung für die Mietparteien“, sagt Paarmann. Durch die Simulation war es den Berliner Ingenieuren ebenfalls möglich, die notwendigen Planungsänderungen der Stränge und der damit verbundenen Anhebung des Temperaturniveaus in Hinblick auf die Kriterien Anteil erneuerbarer Energie, Wirtschaftlichkeit und zukünftige Energiekosten zu überprüfen. „Mit der Simulation von ‚Polysun‘ konnten wir zuverlässig sicherstellen, dass sich das gewünschte Anlagensystem umsetzen lässt, sich für Förderprogramme qualifiziert und einen wirtschaftlichen Betrieb der Anlage garantiert“, zieht Bernd Paarmann ein positives Fazit.

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