Lebenszyklusanalyse hält Einzug in die TGA

Interview zu CO2- und Umweltdaten in der BIM-Planung
Die Baubranche ist weltweit einer der größten Verursacher von CO2-Emissionen und -Äquivalenten (CO2e). Wichtiges Hilfsmittel zur Reduzierung des Treibhausgasausstoßes ist die Lebenszyklusanalyse (LCA). Sie ermittelt die Umweltauswirkung von Gebäuden von der Gewinnung der Rohstoffe für die Bauteile über die Bauphase und den Betrieb bis zum Abbruch. Inwiefern betrifft das die TGA-Planung und welche Daten werden benötigt sowie bereitgestellt? Die tab-Redaktion sprach dazu mit Jonas Gesenhues, dem Produktdatenmanager der MagiCAD Group.

tab: Welche Rolle spielt die TGA in der Ökobilanzierung?

Jonas Gesenhues: Aktuell wird die technische Gebäudeausrüstung von der gängigen Ökobilanzierung für Gebäude vernachlässigt. Der Aufwand für die Nachhaltigkeitsbetrachtung ist groß. Bisher wird selten der gesamte Lebenszyklus eines Gebäudes betrachtet und der Fokus auf die Errichtung des Gebäudes, also die Gebäudehülle und die dafür benötigten Baustoffe, gelegt. Der CO2-Fußabdruck von den sehr kleinteiligen TGA-Systemen wird für die Lebenszyklusanalyse des Bauwerks in der Regel einfach überschlagen. Aufgrund dieser Praxis liegen kaum Umweltdaten für TGA-Bauteile vor. Das ändert sich allerdings gerade – nicht nur wegen der explodierten Energiepreise. Mittlerweile weiß man, dass die TGA-Bauteile einen nicht unerheblichen Anteil am gesamten CO2-Austoß über einen Gebäudelebenszyklus hinweg ausmachen, der sich mit steigendem Technisierungsgrad erhöht.

tab: Was genau hat sich geändert, dass die TGA für eine Lebenszyklusanalyse wichtiger wird?

Jonas Gesenhues: Der Wert eines Gebäudes wird stärker an seinen vollumfänglichen Umweltauswirkungen bemessen. Eine überschlägige TGA-Ökobetrachtung wird von Zertifizierungsstellen wie DGNB, BREEAM oder LEED mit hohen Strafwerten beurteilt. Dies kann sich negativ auf die Ökobilanz und damit z. B. auf eine Fördermittelbewilligung auswirken. Auch Banken müssen im Rahmen des Green Deals seit dem Jahr 2022 verpflichtend berichten, ob und inwieweit sie umweltfreundliche Projekte finanzieren. Daher verlangen sie bereits früh die ökologische Betrachtung des Gebäudes, um die Kosten des Kredits zu berechnen. Negative LCA aufgrund überschlägiger TGA-Ökobilanzierungen werden entsprechend unattraktiv, weil sie ins Geld gehen. Oder das Geld gar nicht erst zur Verfügung gestellt wird. Zusätzlich zum Finanzierungsaspekt strebt die EU einen klimaneutralen Gebäudebestand bis 2050 an. Gesetzliche Vorgaben zur Lebenszyklusanalyse in Bauprojekten sind früher oder später zu erwarten. Dann wird die Branche nicht mehr umhinkommen, diese Daten auch für die TGA bereitzustellen und in die Nachhaltigkeitsberechnungen mit einzubeziehen.

tab: Also können TGA-Planende den CO2-Fußabdruck der TGA noch gar nicht bilanzieren?

Jonas Gesenhues: Ein klares Jein. In Deutschland stellt u. a. das Institut Bauen und Umwelt – kurz IBU – die sogenannten EPD, das steht für Environmental Product Declaration, für Bauteile in einer offen zugänglichen Datenbank bereit. Umweltdaten von TGA-Produkten findet man dort allerdings kaum. Gleiches gilt für die ÖKOBAUDAT. Im Raum Deutschland, Österreich und Schweiz gibt es bisher wenige TGA-Hersteller, welche die Umweltdaten ihrer Produkte auf offenen Plattformen bereitstellen. Denn Hersteller dürfen die EPD nicht selbst ausstellen. Sie müssen sie von unabhängigen Stellen verifizieren lassen, z. B. über OneclickLCA oder das IBU. Das dauert. Die wenigen, die schon EPD erstellt haben, bieten ihre Daten oft direkt auf ihren Unternehmenswebseiten als PDF an. International ist man weiter. Ich schaue da nach Norwegen und Schweden. Da es einen europäischen Standard mit der EN15804+A2 für die EPD gibt, kann man zwar in der deutschen Planung auf nichtdeutsche Datenbanken zurückgreifen, aber es wird in der Regel nicht gemacht.

tab: Warum werden diese internationalen TGA-Umweltdaten nicht verwendet?

Jonas Gesenhues: Auch international ist die Menge vorhandener TGA-Umweltdaten ausbaufähig. Und man steht vor dem Problem, die Daten sehr zeitaufwändig in die eigene Planungssoftware zu importieren und mit den TGA-Elementen im digitalen Projektmodell zu referenzieren. EPD bestehen aus wesentlich mehr Informationen als dem CO2-Ausstoß. Jedes Bauteil hat ein mehrseitiges EPD, das Informationen zu allen verwendeten Rohstoffen, Gewicht, in welchem Werk es wie gefertigt wird etc. enthält. Alle diese Informationen wirken sich auf die Nachhaltigkeitsbewertung aus. Es gibt aber noch keinen Softwarehersteller, der die Umweltdaten quasi ‚direkt am Produkt‘ bereitstellt, damit sie möglichst barrierefrei in der digitalen TGA-Planung genutzt werden können. Als Entwickler der BIM-Objektdatenbank ‚MagiCAD Cloud‘ und der TGA-Planungssoftware ‚MagiCAD für Revit‘ wollen wir unseren Anwendern sowie anderen TGA-Planenden den einfachen Zugriff und die Arbeit mit diesen Daten ermöglichen.

tab: Das heißt, die ‚MagiCAD Cloud‘ enthält TGA-BIM-Objekte inklusive EPD?

Jonas Gesenhues: Noch nicht. Aber wir entwickeln unsere Cloud schon seit einem Jahr dahingehend weiter. ‚MagiCAD‘ hat nordische Wurzeln. Wir erfahren aus erster Hand, wie in diesen Ländern die Lebenszyklusanalyse eingesetzt wird, um gesetzlichen Nachhaltigkeitsanforderungen in Bauprojekten nachzukommen. Ähnliches ist hier zu erwarten. Ziel ist es, den TGA-Planenden ein Werkzeug mit standardisierten Daten zur Verfügung zu stellen, mit dem sie eine solche Analyse fahren können. Eine genaue Gebäude-LCA ist nur mit BIM möglich. Deshalb sollen die TGA-BIM-Objekte der ‚MagiCAD Cloud‘ neben den geometrischen Abmessungen und technischen Eigenschaften auch Umweltdaten enthalten. Dann können diese direkt als BIM-Daten ins Projekt übernommen und für die Ökobilanzierung genutzt oder mit dem IFC-Modell weitergegeben werden.

tab: Wie ist der Ausblick? Wann können TGA-Planende mit EPD-BIM-Daten rechnen?

Jonas Gesenhues: Momentan sammeln wir die EPD-Daten von Herstellern und unterstützen sie bei der Bereitstellung in unserer Cloud. Noch dieses Jahr planen wir, die BIM-fähigen Daten für GWP-Werte zu implementieren. Wenn wir diese in die ‚MagiCAD Cloud‘ integrieren, nehmen wir direkt so viele Daten wie möglich auf. Damit werden zukünftig umfassende LCA-Berechnungen von TGA-Systemen und weitere Energieberechnungen mit BIM-Modellen möglich sein.

 

MagiCAD Group
Die nordische MagiCAD Group ist auf Software sowie Dienstleistungen für die Gebäudedatenmodellierung (BIM) spezialisiert. Das Unternehmen bietet Softwareprodukte für die TGA-Planung an. Dazu ist ein Zugriff auf eine kostenlose BIM-Objektdatenbank möglich, die sogenannte „MagiCAD Cloud“. Nach eigenem Bekunden des Anbieters enthält die Datenbank über 1 Mio. BIM-Objekte, die damit die größte BIM-Bibliothek weltweit sei. Alle BIM-Objekte stellen eine detailgetreue Kopie der TGA-Produkte von mehr als 300 Herstellern dar.
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