Bestandsschutz vs. Brandschutz
Was darf die Behörde?
Errichtet ein Grundstückseigentümer auf legale Art und Weise ein Gebäude (gleich welcher Art), so schützt ihn der daraus resultierende grundgesetzliche „Bestandsschutz“ in gewissem Rahmen vor nachträglich einhergehenden Änderungen der rechtlichen Anforderungen.
Ändern sich insofern die für das Bauwerk einschlägigen Rechtsgrundlagen (bspw. die bauordnungsrechtlichen Anforderungen der einschlägigen Landesbauordnung), so resultiert hieraus nicht automatisch eine entsprechende Anpassungspflicht des legalen Gebäudeeigentümers. Dies würde ansonsten bedeuten, dass ein einmal errichtetes legales Gebäude bei jeder gesetzlichen, verordnungsrechtlichen oder gar satzungsrechtlichen (bspw. Bebauungsplan) Veränderung den baulichen Bestand entsprechend nachrüsten müsste. Dem ist grundsätzlich nicht so – für ein legal bestehendes Bauwerk ist insofern (bis die gesetzlich konkret geregelten Ausnahmen) auch nicht das aktuelle Recht maßgeblich, sondern diejenige Rechtslage, die zum Zeitpunkt der letzten erteilten Baugenehmigung galt.
Andererseits muss es den für die Gefahrenabwehr zuständigen staatlichen Organen (im Bereich des Bauordnungsrechts z.B. die unteren Bauaufsichtsbehörden) aus rechtsstaatlichen Gründen und zum Schutz der Bürger möglich sein, auch bei schon errichteten legalen Gebäuden angesichts von bestehenden Gefahren für Leib und Leben, trotz Erfüllung der zum Zeitpunkt der Baugenehmigung vorgelegenen Rechtslage nachträglich Anforderungen stellen zu dürfen. Dies verlangt das Rechtsstaatsprinzip und die hoheitliche Aufgabe der Gefahrenabwehr selbst.
Gerade im Bereich des Brandschutzes befinden sich dabei die entsprechenden Sachverhalte oftmals im Spannungsfeld zwischen den seitens der Behörde anzulegenden Maßstäben an den an die Beseitigung einer konkreten (gegebenenfalls auch nur vermuteten) Gefahrenlage und dem Interesse des legalen Gebäudeeigentümers an der Vermeidung oftmals erheblicher Baukosten, die im Zuge einer brandschutztechnischen Ertüchtigung die Regel sind.
Hier stellt sich oftmals dann nicht nur die Frage, ob und inwiefern im Zuge von konkreten Gefahrenlagen das aktuelle Recht zur entsprechenden Beurteilung maßgeblich ist, sondern es eröffnet sich auch weitergehend die Problematik, in welchem Rahmen die Baubehörde anlässlich einer nachträglichen Ordnungsverfügung bautechnische Ertüchtigungsmaßnahmen zulasten des Gebäudeeigentümers verlangen darf.
„Neues“ oder „altes Recht“?
Damit ein Bestandsgebäude die Geltung „alten Rechts“ (d.h. die Rechtslage zum Zeitpunkt der Bau Genehmigungserteilung) für sich in Anspruch nehmen kann, verlangt das Recht, dass Bestandsschutz sowohl im Hinblick auf die bauliche Substanz und ausgeübte Nutzung entstanden und darüber hinaus auch nicht im Laufe der anschließenden Zeitdauer verloren gegangen ist.
Das Entstehen des Bestandsschutzes setzt zunächst voraus, dass es sich um ein legal begründetes Gebäudeeigentum handelt. Grundsätzlich bedeutet dies in aller Regel, dass das Gebäude infolge einer legal erteilten Baugenehmigung dieser entsprechend errichtet und genutzt worden sein muss. Hierbei muss das Gebäude zumindest in wesentlichen Teilen fertiggestellt sein, ein bloßer Rohbau ist für das Entstehen von Bestandsschutz grundsätzlich nicht ausreichend. Die mit dem Bauantrag verbundene Nutzung muss im Übrigen aufgenommen worden sein (s. VGH Kassel, Urt. v. 05.09.1991, UPR 1992, 118).
Ein Verlust des Bestandsschutzes tritt entweder dann ein,
§ wenn eine wesentliche bauliche Veränderung der baulichen Substanz oder
§ eine wesentliche Änderung der Nutzung erfolgt.
Das beiden Faktoren dabei gleichsam zugrunde liegende Hauptkriterium ist, dass sich aufgrund einer baulichen Veränderung oder Änderung der ausgeübten Nutzung nicht der Wesenscharakter des Gebäudes dergestalt verändern darf, so dass sich im Zuge objektiver Betrachtung der bauliche Bestand als ein anderer darstellt, als der ursprünglich entstandene. Insofern ist der grundgesetzlich vermittelte Bestandsschutz auch unmittelbar an den tatsächlichen „Bestand“ im Sinne der baulichen Substanz und damit ausgeübten Nutzung verknüpft. Geht dieser durch eine wesentliche Veränderung unter, erlischt insofern auch der Bestandsschutz.
Im Zuge von beantragten Baumaßnahmen stellt sich dabei oftmals die Frage, inwiefern die für den Bestand aufrechterhaltene Geltung „alten Rechts“ von der, für die beantragte Baumaßnahme und hiermit verknüpft, des „aktuellen Rechts“ abzugrenzen ist.
Feststehende und allgemeingültige Kriterien existieren hierbei nicht. Als Faustformel kann formuliert werden, dass
§ für die beantragte Baumaßnahme und die hierfür unmittelbar berührte bauliche Substanz (gegebenenfalls auch in funktioneller Hinsicht) aktuelles Recht gilt;
§ für das übrige Bestandsgebäude weiterhin das „alte Recht“ zum Zeitpunkt der letzten Baugenehmigung gilt.
Sofern sich durch die Baumaßnahme jedoch das Gebäude in seiner Wesensart im vorgenannten Sinne so weit verändert, dass nicht mehr vom gleichen Bestand, sondern von einem neuen Gebäude gesprochen werden muss (z.B. Industrielager in Wohngebäude), erlischt der Bestandsschutz auch im Hinblick auf den Gesamtbestand.
Dies geht mit der (für den Bauherrn oftmals sehr nachteiligen) Folge einher, dass das Gebäude rechtlich im neuen Licht erscheint und alle aktuellen Vorschriften grundsätzlich einzuhalten sind. Da dies in der Praxis oft nicht gänzlich möglich ist, ist der Bauherr in aller Regel auf Abweichungen oder Erleichterungen im Hinblick auf die aktuellen Vorschriften angewiesen.
Konkrete Gefahr bei legalem Bestandsbau – Rechtsfolgen?
Unabhängig davon, ob und inwiefern angesichts von baulichen Veränderungsmaßnahmen aufgrund der aktuellen und der eventuell hieraus resultierenden Geltung aktuellen Rechts die Behörde eine Anpassung verlangen darf, besteht eine gesetzliche Ermächtigung hierzu stets dann, wenn eine konkrete Gefährdungslage auch bei legalen Bestandsbauten ein nachträgliches Eingreifen rechtfertigt.
Den bestehenden landesrechtlichen Gesetzesregelungen in den Landesbauordnungen (z.B. § 76 LBO BW) ist gemein, dass eine derartige nachträgliche Ordnungsverfügung voraussetzt, dass eine konkrete Gefahrenlage besteht oder zumindest objektiv anzunehmen ist. Konkret setzt dies voraus, dass aus der objektiven Sicht einer besonnen beurteilenden Person es zumindest nicht ganz unwahrscheinlich erscheint (ein eine andere Formulierung verlangt „hinreichend wahrscheinlich“), dass aufgrund konkreter Sachverhaltsumstände die Gefahr besteht, dass Personen zu Schaden kommen.
Aufgrund der hierbei implizierten gesetzlichen Anforderungen, dass es sich um eine Beurteilung des konkreten Einzelfalls aus Sachverständigensicht handeln muss, ist eine abstrakt-generelle Regelung für alle denkbaren Sachverhalte vom Ansatz her nicht möglich.
Gleichwohl ist auf Ebene der Rechtsprechung zu beobachten, dass bspw. gerade bei der Nichteinhaltung von Vorschriften im Hinblick auf Rettungswege (u.a. ein fehlender zweiter Rettungsweg) grundsätzlich von einer konkreten Gefahr auszugehen ist. Eine derartige Sichtweise ist jedoch aus den voranstehenden Gründen infrage zu stellen, das im Einzelfall immer eine konkrete Bewertung der Sachverhaltsumstände notwendig ist.
Gleichwohl ist zu konstatieren, dass auch nur bei Bestehen eines berechtigten Gefahrenverdachtes die Behörde ermächtigt ist, zur Beseitigung dessen auch durch Interimsmaßnahmen im Rahmen der Verhältnismäßigkeit dafür zu sorgen, dass entweder die konkrete Gefahr oder zumindest der Gefahrenverdacht beseitigt wird, bspw. durch (partielle) Nutzungsuntersagungen, bauliche Sicherungsmaßnahmen, Überwachungs- und Kontrollmaßnahmen (ggf. auch personeller Art).
Sofern die Baubehörde auf einen solchen Sachverhalt eine Ordnungsverfügung stützt, bedeutet dies jedoch wiederum nicht die hieraus resultierende automatische Geltung aktuellen Rechts. Vielmehr ist die Behörde aufgrund des geltenden Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gehalten, dass „mildestmögliche“ Mittel zur Beseitigung der konkreten Gefahr bzw. des Gefahrenverdachts anzuwenden.
Ein in der Praxis häufig vorkommender Fehler auf behördlicher Seite liegt darin, dass bei brandschutzrelevanten Sachverhalten die entsprechende Ordnungsverfügung nicht auf (grundsätzlich zulässige) Interimsmaßnahmen gestützt wird, sondern lediglich eine (endgültige) Maßnahme verfügt wird, die das im Rahmen des Ermessens zu beachtende Verhältnismäßigkeitsprinzip jedoch verletzt.
Aktuelles Beispiel aus der Praxis
Dementsprechend wurde erst jüngst durch das OVG Sachsen (Beschluss vom 18.04.2018 – Aktenzeichen: 1 B 141/16) eine baubehördliche Ordnungsverfügung für rechtswidrig erklärt, obwohl alle tatbestandlichen Voraussetzungen an sich gegeben waren.
Die zuständige Bauaufsichtsbehörde hatte insofern aufgrund von baulichen Brandschutzmängeln (fehlender zweiter Rettungsweg) verfügt, dass der Gebäudeeigentümer binnen einer Frist von drei Monaten einen zweiten baulichen Rettungsweg herzustellen hatte. Das Gericht hat dies insofern als einen Ermessensfehler angenommen, da diese Frist de facto in der Praxis nicht einzuhalten sei und den entsprechenden Bescheid als rechtswidrig beurteilt.
Diese Entscheidung darf nicht missverstanden werden. Sie relativiert nicht die Bedeutung der konkreten Gefahr und die Vorrangigkeit der Gefahrenabwehr gerade bei brandschutzrelevanten Gefahren oder Gefahrenverdachten.
Gegenstand des Urteils war gerade nicht, dass die Behörde nicht ermächtigt gewesen wär aufgrund der (offenbar zu Recht angenommenen) konkreten Gefahr grundsätzlich eine entsprechende Ordnungsverfügung zu erlassen. Sie hat allerdings trotz des Vorliegens der tatbestandlichen Ermächtigungsgrundlagen eine falsche Rechtsfolge festgesetzt. Dies, indem sie eine bauliche Maßnahme gekoppelt an eine viel zu kurze Frist – und damit de facto nicht realisierbar – verfügt hat.
Die Rechtswidrigkeit der dementsprechenden Verfügung auf der Rechtsfolgenseite ändert nichts daran, dass die Behörde hier offenbar sehr wohl ermächtigt gewesen wäre, z.B. auch unverzüglich zu vollziehende Interimsmaßnahmen (siehe oben) zu verlangen und zu verfügen.
Die Entscheidung zeigt – wieder einmal mehr –, dass die gesetzlichen Voraussetzungen und Rechtsfolgen bei nachträglichen Ordnungsverfügungen gerade im Kontext von brandschutzrelevanten Sachverhalten häufig falsch eingeschätzt werden.