Infektionsrisiko in Klassenräumen

Untersuchung zu Lüftungsvarianten

Seit klar ist, dass sich SARS-CoV-2-Viren hauptsächlich über Aerosole übertragen, werden Möglichkeiten diskutiert, das Risiko der Infektionsübertragung in Innenräumen zu verringern. Besonders wichtig ist dies für Räume mit hoher Belegungsdichte und langer Aufenthaltsdauer wie bspw. Klassenzimmer. Untersuchungen in Klassenräumen mit unterschiedlichen lüftungstechnischen Maßnahmen liefern weitere Erkenntnisse zum Infektionsrisiko in Schulen.

Wissenschaftler des IGTE (Institut für Gebäudeenergetik, Thermotechnik und Energiespeicherung, Universität Stuttgart) führten im Rahmen eines Pilotprojekts im Zeitraum von Januar bis Juni 2021 umfangreiche Messungen in jeweils einem oder zwei Klassenräumen an verschiedenen Schulen der Stadt Stuttgart durch [1]. Als Wärmequellen kamen für die Untersuchung Personendummies zum Einsatz. Um Aussagen über die Ausbreitung der Aerosole im Raum machen zu können, wurden von einem thermischen Personendummy aus Partikel oder Spurengase freigesetzt [2]. 

Die Untersuchung umfasste Lüftungsvarianten mit Fensterlüftung, filternde Luftreinigungsgeräte und Raumlufttechnische Anlagen (RLT-Anlagen). Dabei wurden nicht nur der Luftaustausch bzw. die Luftreinigung betrachtet, sondern auch Behaglichkeitskriterien und Anforderungen an die Akustik. Um hierzu detaillierte Daten zu erhalten, wurden die Raumlufttemperatur, Luftgeschwindigkeit, Turbulenzgrade und der Schalldruckpegel gemessen sowie Schülerinnen, Schüler und Lehrkräfte befragt.

Die Auswertung zeigt, dass die Infektionswahrscheinlichkeit (bezogen auf die Delta-Variante und einen durchschnittlichen Viren-Emittent) umso geringer ausfällt, je höher der Volumenstrom bzw. der Außenluftwechsel ist. Hier gibt es einen klaren Zusammenhang mit der verfügbaren Außenluftrate und der gefilterten Sekundärluftrate, also dem verfügbaren nahezu virenfreien Luftstrom. Die Volumenströme der untersuchten Luftreinigungsgeräte (Sekundärluft) lagen im Mittel deutlich über den Volumenströmen der untersuchten RLT-Anlagen (Außenluft).

Wird zusätzlich zur Stoßlüftung 20/5/20 (Fenster 20 Minuten geschlossen, 5 Minuten komplett geöffnet, dann wieder 20 Minuten geschlossen) kontinuierlich ein Luftreinigungsgerät betrieben, kann eine zusätzliche mittlere Reduzierung von bis zu ca. 40 % im Vergleich zu V5 (Luftreiniger ohne Fensterlüftung) erreicht werden (vergleiche Abbildung 1). Die Reduzierung hängt erheblich von den vorliegenden Fenster- und Wetterdaten ab. Allerdings gelten die Ergebnisse als bedingt belastbar, weil nur zwei Messungen ausgewertet werden konnten.

Bei der Fensterlüftung erwies sich das Stoßlüften im Vergleich zur Dauerkipplüftung als effizienter. Auch aus energetischer Sicht ist die Dauerkipplüftung nicht empfehlenswert. Für schlecht belüftete Klassenzimmer mit kleinen Fensterflächen ergab die Untersuchung, dass durch den Einsatz von filternden Luftreinigungsgeräten die Aerosolkonzentration weiter verringert werden kann. Die Wirksamkeit ist hier meist höher als im Falle der Stoßlüftung.

Die Fensterlüftung stellt eine preisgünstige Alternative dar, die bei nahezu allen Randbedingungen sofort verfügbar ist – vorausgesetzt, dass die Fenster ganz geöffnet werden können. Es sei davon auszugehen, dass die häufigen Unterbrechungen, die sich etwa bei der 10/2,5/10-Stoßlüftung ergeben, nicht weniger störend seien als Geräusche einer RLT-Anlage bzw. eines Luftreinigungsgerätes.

Zugerscheinungen fallen bei der Fensterlüftung in Fensternähe deutlich stärker ins Gewicht als an weiter entfernten Stellen im Raum. Auch bei Luftreinigungsgeräten sind die Schüler in unmittelbarer Nähe deutlich stärker vom Zuluftstrom beeinflusst als Schüler, die etwas weiter entfernt sitzen. Bei den untersuchten RLT-Anlagen ergaben die Messungen ebenfalls Zuglufterscheinungen. Wenn die Ursache darin liegt, dass die Zuluftdurchlässe nicht ausreichend groß sind, könnte durch nachträgliches Vergrößern der Durchlässe eine Verbesserung erreicht werden.

Die Auswertung der Befragungen (im Juni 2021, nach einer Laufzeit der Geräte von ca. 15 Minuten je Leistungsstufe) ergab, dass sowohl Schülerinnen und Schüler als auch Lehrkräfte die Lüftungsgeräte weitestgehend akzeptierten. Die Mehrheit beurteilte die Akustik weit weniger kritisch, als nach den Grenzwerten der VDI 2081 angenommen. Werden neue RLT-Anlagen geplant, sollten die Luftströme aus Gründen des Infektionsschutzes und der Raumluftqualität so dimensioniert werden, dass Kategorie I nach DIN EN 16798-1 erreicht wird.

Empfehlungen des FGK

Die Kombination aus Fensterlüftung und Luftreinigungsgerät kann als kurz- und mittelfristige Lösung für die Pandemie empfohlen werden. Die Industrie hat innerhalb kurzer Zeit ein umfassendes Angebot an Luftreinigungsgeräten zur Verfügung gestellt [4]. Sowohl in Räumen, die schlecht über die Fenster belüftet werden können, als auch in Räumen, die gut zu belüften sind, kann das Infektionsrisiko durch den Einsatz von Luftreinigungsgeräten verbessert werden. Grundsätzlich gilt jedoch, dass der Raum auch beim Einsatz von Luftreinigern ausreichend belüftet werden muss. Die Versorgung mit Außenluft muss immer gewährleistet sein – unabhängig von der Pandemie. Dies lässt sich bei der Fensterlüftung aber eigentlich nur mit geeigneten CO2-Messgeräten kontrollieren und muss manuell umgesetzt werden. Ob es tatsächlich gelingt, die hohe Taktrate für die Fensterlüftung beizubehalten, und wie sehr die Unterbrechungen stören, bleibt abzuwarten. Es ist zu befürchten, dass sich nach kurzer Zeit alte Gewohnheiten durchsetzen und die manuelle Fensterlüftung wieder mangelhaft umgesetzt wird. Solch eine unzureichende Lüftung ist nicht nur im Hinblick auf die Infektionsvermeidung problematisch, sondern auch im Hinblick auf die CO2-Konzentration im Raum. Damit wirkt sie sich unmittelbar auf die Leistungsfähigkeit der Schülerinnen und Schüler aus.

Zur Bewertung der Akustik ist bei der Lüftung über Fenster das Umfeld der Schule (bspw. Straßenlärm, Baustellen usw.) zu berücksichtigen. Die Erfahrung zeigt, dass dann die Lärmvermeidung im Vordergrund steht und die Fenster geschlossen werden.

Unschlagbarer Vorteil einer (zusätzlichen) maschinellen Belüftung ist die Unabhängigkeit von den meteorologischen Randbedingungen. Während RLT-Anlagen und Luftreinigungsgeräte immer mit demselben Außenluftvolumenstrom laufen, hängt die Wirkung der Fensterlüftung stark von Wind und Temperaturdifferenz ab. 

Im Sinne der Nachhaltigkeit sind RLT-Anlagen mit variablem, bedarfsgeregeltem Außenluftvolumenstrom und Wärmerückgewinnung als langfristige Lösung zu empfehlen. Unabhängig von den äußeren Randbedingungen können sie eine optimale Innenraumluftqualität sicherstellen. Sie werden schon seit vielen Jahren angeboten, bisher wurden Schulen aber nur selten damit ausgerüstet, obwohl auch für die schnelle und kostengünstige Nachrüstung viele Geräte zur Verfügung stehen [5]. Der Einsatz der Wärmerückgewinnung senkt zusätzlich die Lüftungswärmeverluste auf ein Minimum. Diese Anlagen sind damit auch ein Baustein für das Erreichen der Klimaschutzziele im Gebäudesektor.


Literatur und weitere Informationen

[1] Lukas Siebler, Torben Rathje, Maurizio Calandri, Matthias Eydner, Dr.-Ing. Ulrich Vogt, Dr.-Ing. Tobias Henzler, Prof. Dr.-Ing. Konstantinos Stergiaropoulos: Pilotprojekt: Experimentelle Untersuchung zum Infektionsrisiko in Klassenräumen in Stuttgarter Schulen; Abschlussbericht vom 05.07.2021 (2021-07-06-Abschlussbericht_Pilotprojekt_Luftreiniger_Klassenraum_Stuttgart_Finale-Version_06.07.2021.pdf) [2] Lukas Siebler, Maurizio Calandri, Torben Rathje, Konstantinos Stergiaropoulos: Experimental Methods of Investigating Airborne Indoor Virus-Transmissions Adapted to Several Ventilation Measures, Pre-Print Januar 2022 (Experimental Methods of Investigating Airborne Indoor Virus-Transmissions Adapted to Several Ventilation Measures | medRxiv) [3] UBA Richtig lüften in Schulen 17.08.2021 (Richtig Lüften in Schulen | Umweltbundesamt) [4] Marktübersicht Sekundärluftreinigungsgeräte FGK (Marktuebersicht_V6_210802.xlsx (fgk.de)) [5] Marktübersicht Einzelraumlüftungsgeräte FGK (Marktuebersicht_V6_210802.xlsx (fgk.de)) [6] Anforderungen an Lüftung und Luftreinigung zur Reduktion des Infektionsrisikos über den Luftweg AHA + Lüftung, FGK-Status-Report 52 (SR52_RLT_und_Covid19_V1_210301 (fgk.de))
Info

Raumluftqualität

Die folgenden Festlegungen sind geeignet, eine ausreichende Lüftung gemäß FGK-Status-Report 52 [6] zu dokumentieren.

DIN EN 16798-1, Kategorie I:
Hohe Luftqualität, empfohlen für Räume und Nutzungen, die auch in Pandemiezeiten eine umfängliche Lüftung mit Außenluft sicherstellen. Eine maximale CO2-Konzentration von 800 ppm wird sicher eingehalten.
Diese Kategorie erfüllt auch in der Pandemie die einschlägigen +L-Hygiene-Empfehlungen zur Verringerung von Aerosolen.

DIN EN 16798-1, Kategorie II:
Normale Luftqualität, bei der eine maximale CO2-Konzentration von 1.000 bis 1.200 ppm sicher eingehalten wird. Für normale Nutzungsszenarien wird damit eine gute Raumluftqualität sichergestellt, in Pandemiezeiten werden aber ohne zusätzliche Maßnahmen die einschlägigen Empfehlungen der Hygiene nicht vollumfänglich erfüllt.

DIN EN 16798-1, Kategorie III:
Akzeptable Luftqualität, empfohlen für Räume und Nutzungen, in denen für normale Nutzungsszenarien die Mindestanforderungen an die Luftqualität sichergestellt werden. Eine maximale CO2-Konzentration von etwa 1.500 ppm wird eingehalten. In Pandemiezeiten werden aber damit ohne zusätzliche Maßnahmen die einschlägigen Empfehlungen der Hygiene nicht erfüllt.

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