Im Gespräch mit Peter Paul Thoma

Lüftungstechnik in Wohnungen – ein Muss?

tab: Die Anforderungen an die Gebäudehülle sind hoch. Die Auswirkungen sind dichte Gebäude. Ein Luftwechsel ist immer schwerer per Fensterlüf­tung zu gewährleisten. Ist damit zwingend eine mechani­sche Lüftung notwendig?

Herr Thoma: Es ist richtig, dass die Energieeinsparverordnung im Neubau und in der energetischen Sanierung ein luftdichtes Gebäude fordert, jedoch der in der Verordnung geforderte Mindest­luftwechsel zum Bautenschutz und für die Gesundheit der Be­wohner in der Praxis völlig un­zu­reichend umgesetzt wird, was sich auch in der gestiegenen Zahl der Rechtsstreitigkeiten widerspiegelt.

Dabei muss die lüftungstechnische Maßnahme nicht immer eine mechanische Lüftung sein, aber zwingend notwendig ist es, im Rahmen eines Lüftungskonzept nach DIN 1946-6 zu prüfen, ob eine lüftungstechnische Maßnahme erforderlich ist oder nicht.

Wurde ein Gebäude nach dem Stand der Technik abgedich­tet, ist die natürliche Infiltration derart gering, dass selbst die Fens­terlüftung nicht mehr ausreicht. Die Folge sind erhöhte Luft­feuchtigkeit und Schimmel­gefahr insbesondere an Wärme­brücken. Darüber hinaus verschlechtert sich die Luftqualität in den Räumen. Nicht umsonst hat der Gesetzgeber in der Ener­gie­ein­spar­ver­ord­nung bereits eine Abluftanlage mit Außenluftdurchlässen im Referenzgebäude der EnEV 2009 und 2014 fest verankert.

tab: Mit welchen rechtlichen Kon­sequenzen müssen Planer rechnen?

Herr Thoma: Leider zeigt meine Erfahrung als öffentlich bestellter Sachverständiger im Bereich Sanitär-, Heizungs- und Lüf­tungs­technik zahlreiche Fälle, bei denen energetisch saniert wurde bzw. sogenannte KfW-Effizienzhäuser als neu gebaute Mehrfamilienhäuser errichtet wurden, in denen jedoch keine ausreichende Lüftung zum Feuchteschutz und schon gar nicht die Nennlüftung nach DIN 1946-6 erreicht wurde. Die Konsequenzen kommen erst dann zum Tragen, wenn es zum Rechtsstreit kommt und insbesondere dann, wenn aufgrund mangelhafter Lüftung, es zu Bauschäden oder Gesundheitsschäden geführt hat.

Die Erfahrung zeigt, dass den Richter nicht unbedingt die Einhaltung irgendwelcher Normen interessiert, sondern vielmehr die Beschaffenheitsvereinbarungen, d.h. eine Wohnung muss zum Wohnen geeignet sein und der Bauten- und der Feuchteschutz müssen unabhängig vom Nutzer funktionieren. Nutzer­un­ab­hän­gig bedeutet, dass die Fensterlüftung als notwendige lüftungstechnische Maßnahme nicht einbezogen werden kann.

Wenn es also in so einem Neubau zu Schäden kommt und ein Sachverständiger feststellt, dass hier das Lüftungskonzept der DIN 1946- 6 nicht eingehalten wurde, kämen vor Gericht zwei Faktoren zusammen, die mit höchster Wahrscheinlichkeit zur Haftung des Planers oder bauausführenden Handwerkers führt; es wurde eine Regel der Technik bzw. das Lüftungskonzept nach DIN 1946-6 nicht beachtet oder es ist zu einem Bau- oder Personenschaden gekommen.

In erster Linie sind ­natürlich der Planer, der Architekt oder Bauträger verantwortlich. Dennoch kann das ausführende Handwerk in die Haftung einbezogen werden. Das gilt sowohl für den Fensterbauer, der die dichten Fenster einbaut, für den Bauhandwerker, der die Ge­bäude­hülle abdichtet, als auch den Dachdecker und natürlich für den SHK-Installateur, der in einem Bad oder WC einen 20 m³- bis 60 m³/h-Lüfter eingebaut hat. Hier hätte der SHK-Handwerker darauf hinweisen müssen, dass womöglich die Außen­luftrate nicht sichergestellt ist und somit Schimmel- und Gesundheitsgefahr besteht.

tab: Sie haben ein Rechtsgutachten erstellen lassen. Welche Kernaussage ist für Planer besonders wichtig?

Herr Thoma: Da es keine klare gesetzliche Regelung zur Anwendung der DIN 1946-6 gibt, ist die Rechtslage bei Haftung von Feuchte- und Schimmelschäden unklar.

Das Rechtsgutachten des VfW-Bundesverband für Wohnungslüftung macht deutlich, dass sich Bauherren, Planer, Architekten und Handwerker erheblichen Risiken aussetzen, wenn sie auf die notwendigen lüftungstechnischen Maßnahmen in neugebauten oder energetisch sanierten Wohnungen verzichten. Für den Ausführenden ist hierbei wichtig zu erkennen und entsprechend anzuzeigen, wann und welche lüftungstechnischen Maßnahmen mindestens erforderlich sind.

Diese Unsicherheit ist zugleich auch eine Chance für Planer und Ausführende hier beratend tätig zu werden und dafür zu sorgen, dass eine energetisch sinnvolle Wohnraumlüftung eingebaut wird.

Der VfW- Bundesverband Wohnungslüftung bietet dazu auf seiner Internetseite (www.wohnungslueftung-eV.de) ein kostenlose Planungstool an. Damit kann im ersten Schritt überprüft werden, ob eine lüftungstechnische Maßnahme erforderlich ist oder nicht, da dies vom Bautyp der Grundfläche, der Lage (Wind stark/Wind schwach) und der Gebäudedichtigkeit aufgrund der Gebäudetypologie abhängig ist. Die Pflicht zum Lüftungskonzept ersetzt es allerdings nicht.

tab: Welches Vorgehen können Sie TGA-Fachingenieuren empfehlen?

Herr Thoma: Dem Fachplaner empfehlen wir grundsätzlich die Erstellung des Lüftungskonzeptes nach DIN 1946-6. Im Neubau von Mehrfamilienhäusern gibt es keine Alternative zu der Kontrollierten Wohnungslüftung. Da in solchen Gebäuden sowieso mindestens eine Abluftanlage mit Außenluftdurchlässen eingebaut werden muss, wären für eine Wirtschaftlichkeitsbetrachtung lediglich die Mehrkosten für die Wärmerückgewinnung anzusetzen. Die Wärmerückgewinnung kann außerdem beim Nachweis der Einhaltung des Erneuerbaren-Energien-Wärmegesetzes im Neubau mit angerechnet werden, so dass auch hier eine Chance besteht, auf andere Technologien aus Kostengründen zu verzichten.

Mit einer Kontrollierten Wohnraumlüftung, die ich besser als Komfortwohnraumlüftung bezeichnen möchte, ist der TGA-Fachingenieur immer auf der sicheren Seite und entgeht dem Haftungsrisiko für Schimmelschäden wegen mangelnder Lüftung zur Rechenschaft gezogen zu werden.

tab: Mit welchen Auswirkungen ist auf das Bauen zu rechnen?

Herr Thoma: Mit der luftdichten Bauweise ist der für die Gesundheit und den Bautenschutz notwendige Luftaustausch ohne Wohnungslüftungsanlage technisch kaum noch erreichbar. Die neue Bauweise hat auch zur Folge, dass es in Zukunft vor allem um die Be- und Entlüf­tung weniger um das Beheizen des Gebäudes geht und die Wär­me- und Kälteerzeugung über­wiegend für Warmwasser, Lüftung und Klimatisierung bereitgestellt werden muss.

Ganz auf die Heizung verzichten – wie es der Gedanke des Passivhauses ist – wird man auch in Zukunft nicht. Für Ausführende bedeutet das vor allem im Neubau eine Verlagerung der Tätigkeiten auf Trinkwasserhygiene und Luft­hy­giene. Ich bin mir ganz sicher, dass die Fachleute gut ge­rüstet sind, sich den neuen Tech­nologien zu stellen.

tab: Vielen Dank für die aufmunternden Aussagen.

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