RWA für Großprojekte (1)

Kollision optischer Ansprüche und technischer Erfordernisse

Große Bauvorhaben bergen, auch in Bezug auf die RWA-Anlagen (Rauch-Wärme-Abzugs-Anlagen), häufig besondere Herausforderungen. Diese Anforderungen sind sehr individuell. Seien es extreme Gerätegrößen, spezielle Zusatzausstattung, besondere optische Ansprüche oder komplexe Steuerungsabläufe. Bei Großprojekten besteht aufgrund der großen Auftragsvolumina oft auf allen Seiten ein besonderes Interesse an der Erarbeitung von Lösungen, selbst wenn diese mit hohen Fix-Kosten verbunden sind. Umgelegt auf große Stückzahlen ergeben sich meist trotzdem wirtschaftlich vertretbare Konzepte. Erkenntnisse und Lösungsansätze aus Großprojekten lassen sich prinzipiell auch auf kleinere übertragen. Es ist ein stetes Wechselspiel von Anforderungen, besonderen Erschwernissen oder Erleichterungen und Lösungsmöglichkeiten, die im konkreten Fall abgewogen werden müssen. Erst die Relation zueinander bestimmt die gangbaren Wege. Pauschale Regeln lassen sich nicht ableiten, aber mit dem Wissen über die Möglichkeiten findet sich schneller die jeweils optimale Lösung.

In der aktuellen Ausgabe der BS BRANDSCHUTZ lesen Sie einen Fachbeitrag am Beispiel des CongressCentrums in Rom und der Messe Hamburg. Ergänzend stellen wir Ihnen hier weitere Großprojekte vor und zeigen sowohl Möglichkeiten, als auch Grenzen auf.

Objekt: Sparkassenfiliale, Frankfurt

Eine Frankfurter Sparkassenfiliale mit großer atriumartiger Kundenhalle wurde im Jahr 2005 saniert. Besonderes Augenmerk verdient die anspruchsvolle Innenarchitektur.

Herausforderung

Im Zuge der Dachsanierung sollte die Kundenhalle unter großzügigem Einsatz von Oberlichtelementen zum tageslichtdurchfluteten Mittelpunkt werden. Natürliche Lüftung und Rauchabzug waren dabei zu integrieren, ohne die schlichte klare Innenarchitektur der Kundenhalle zu beeinträchtigen. Am liebsten wollte man gar nichts von der dazu in den Oberlichtern erforderlichen Technik sehen. Konstruktiv war außerdem der Ausgleich variabler Höhenunterschiede in der bestehenden Dachkonstruktion unauffällig umzusetzen.

Lösung

Produktseitig war hier gar nicht so viel zu tun. Lediglich eine spezielle mehrteilige Zarge mit integrierten biaxial verstellbaren Teleskopstützen wurde eigens entwickelt, um den besonderen Bedingungen des Untergrundes gerecht zu werden. Ansonsten konnte mit dem bestehenden Pfosten-Riegel-System „Lamilux Glasarchitektur KWS 60“ gearbeitet werden. Fünf Glas-Sheddächer mit 60 RWA- und Lüftungsflügeln wurden auf diese Weise errichtet. Die hohen ästhetischen Ansprüche an die Innenansicht wurden allein durch geschickte Einbindung in die bestehende Dachform befriedigt. Eine Lösung, die vor allem dem durchdachten architektonischen Konzept zu verdanken ist.

Chancen und Grenzen

Es muss nicht immer der Hersteller sein, der Lösungen für anspruchsvolle Vorstellungen von Planern und Bauherren entwickelt. In diesem Sanierungsfall wurde das bestehende Dachtragwerk so geschickt ins Raumkonzept eingebunden, dass mit standardnahen Produkten ein sehr ansprechendes Ergebnis erzielt wurde. Zugegeben, eine sehr seltene Situation. Häufig lassen sich die technisch erforderlichen Bauteile nicht gut verstecken.

Objekt: BMW-Welt, München

 

Die BMW-Welt in München wurde als Begegnungsstätte des Unternehmens mit seinen Kunden und Gästen konzipiert. Die extravagante Architektur ist Teil dieses Konzepts und prägt natürlich auch die Dachkonstruktion mit den darin befindlichen NRWG.

Die aus dem formgebenden Doppelkegel entspringende 16.000 m² große Dachwolke wird von nur zwölf Pendelstützen getragen und vermittelt einen schwebenden Eindruck. In 30 m Höhe wird so eine Fläche überspannt, die etwa dem Markusplatz in Venedig entspricht. Das Prestigeobjekt entstand in den Jahren 2004 bis 2007 in unmittelbarer Nachbarschaft zum Stammsitz des Unternehmens mit dem bekannten Vierzylinder-Hochhaus.

Herausforderung

Die futuristische Freiformdachfläche ist von den Chefetagen im benachbarten „Vierzylinder“ aus vollständig einsehbar. Der Anspruch der Planer und Bauherren bestand darin, die nötigen NRWG von außen „unsichtbar“ ins Dach zu integrieren. Nicht mehr und nicht weniger.

 

Lösung

Als Basis dienten zunächst Standard-NRWG vom Typ „Lamilux Schwenkkuppel S“. Sie wurden flächenbündig in die äußere Dachhaut eingelassen und materialgleich bekleidet. Die sich daraus ergebenden negativen Einflüsse von Seitenwind auf die Wirksamkeit des Rauchabzuges wurden durch gegenüberliegende Anordnung als Doppelklappe für bestmöglichen Windschutz teilweise kompensiert. Völlig unsichtbar sind die NRWG zwar auch damit nicht, aber dem optischen Anspruch wurde es durchaus gerecht.

 

Chancen und Grenzen

Das Vorhandensein eines Windgutachtens für das Areal samt „Vierzylinder“ stellte einen seltenen vorteilhaften Umstand dar. Dennoch verursacht der flächenbündige Einbau deutliche Einbußen beim Aw-Wert (aerodynamisch wirksame Rauchabzugsflächen). Zusammen mit den infolge des Mehrgewichts der äußeren Bekleidung reduzierten Gerätegrößen wird eine deutlich höhere Geräteanzahl erforderlich. Ein Sachverhalt, der wohl in den meisten Fällen aus Kostengründen zum k.o.-Kriterium wird. In diesem Fall wurden die erheblichen Mehrkosten zur Erfüllung des optischen Anspruchs buchstäblich in Kauf genommen.

 

Fazit

Großprojekte bergen oft besondere Herausforderungen, bieten aber auch besondere Chancen. Frühzeitige Abstimmung zwischen Planern, Sachverständigen und Herstellern ist die Basis für bestmögliche Lösungen und vermeidet spätere Konflikte.

Auch größte Objekte und beste Budgets unterliegen den Grenzen der Physik. Insbesondere der Einfluss des Windes auf den natürlichen Rauchabzug wird häufig unterschätzt. Aber auch andere physikalische Grenzen im Bereich der Mechanik lassen sich nicht endlos verschieben. Die in Großprojekten erarbeiteten Lösungsansätze lassen sich prinzipiell auch auf kleine Bauvorhaben übertragen, allerdings sind hohe Fix-Kosten bei geringen Stückzahlen oft nicht wirtschaftlich.

Lesen Sie im kommenden Brandschutz-Newsletter weiter, wir stellen Ihnen die Herausforderungen und Lösungsansätze bei den Aachen Arkaden sowie der Rhein-Galerie in Ludwigshafen vor.

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