RWA für Großprojekte (2)
Stiefkind WindGroße Bauvorhaben bergen, auch in Bezug auf die RWA-Anlagen (Rauch-Wärme-Abzugs-Anlagen), häufig besondere Herausforderungen. Diese Anforderungen sind sehr individuell. Seien es extreme Gerätegrößen, spezielle Zusatzausstattung, besondere optische Ansprüche oder komplexe Steuerungsabläufe. Bei Großprojekten besteht aufgrund der großen Auftragsvolumina oft auf allen Seiten ein großes Interesse an der Erarbeitung von Lösungen, selbst wenn diese mit hohen Fixkosten verbunden sind. Jedoch ergeben sich, umgelegt auf große Stückzahlen, meist trotzdem wirtschaftlich vertretbare Konzepte.
Erkenntnisse und Lösungsansätze aus Großprojekten lassen sich prinzipiell auch auf kleinere übertragen. Es ist ein stetes Wechselspiel von Anforderungen, besonderen Erschwernissen oder Erleichterungen und Lösungsmöglichkeiten, die im konkreten Fall abgewogen werden müssen. Erst die Relation zueinander bestimmt die gangbaren Wege. Pauschale Regeln lassen sich nicht ableiten, aber mit dem Wissen über die Möglichkeiten findet sich schneller die jeweils optimale Lösung. Ergänzend zum Fachbeitrag im BS BRANDSCHUTZ Supplement 1/2018 stellen wir Ihnen hier im BS-Brandschutz-Newsletter abschließend mit den Aachen Arkaden und der Rhein-Galerie in Ludwigshafen zwei weitere Großprojekte vor und zeigen sowohl Möglichkeiten, als auch Grenzen auf.
Objekt: Aachen Arkaden
Das Einkaufszentrum in Aachen beherbergt etwa 50 Geschäfte und 800 Parkplätze. Die zentrale Mall wird von einem lichtdurchlässigen Membran-Tonnendach mit 16 m Breite und 113 m Länge überspannt, das im Jahr 2008 errichtet wurde.
Herausforderung
Die Hersteller von Membrandach und NRWG standen beide erstmals vor der Aufgabe, ihre Systeme zu kombinieren. Neben den mechanischen Schnittstellen waren dabei vor allem aerodynamische Probleme zu lösen. Es erwies sich konstruktiv als notwendig, die NRWG am Traufrand der Membranbögen anzuordnen. Das machte weniger aber größere Geräte erforderlich und zog einige Probleme bezüglich der Funktion bei Seitenwind nach sich.
Lösung
Um die insgesamt erforderliche Rauchabzugsfläche allein am Tonnenrand unterzubringen, waren sehr große NRWG erforderlich. Dies wurde durch paarweise Anordnung von 44 Doppelklappen-NRWG vom Typ „Lamilux Rauchlift M“ erreicht. Ein solches 4-Flügelfeld verhält sich allerdings aerodynamisch anders als die Summe der beiden Doppelklappen. Insbesondere der Einfluss von Seitenwind, die erforderliche Windleitwandhöhe und sich daraus ergebende höhere Mindestabstände sind schwer abzuschätzen. Diese Zusammenhänge wurden in Versuchen nach EN 12101-2 geprüft. Im Ergebnis wurden höhere Windleitwände eingesetzt, die wiederum größere Geräteabstände erforderlich machten.
Chancen und Grenzen
Die Wechselwirkungen zwischen Gerätegröße, Windleitwandhöhe und Geräteabstand lassen sich nur bedingt beeinflussen. Mit höheren Windleitwänden lässt sich Seitenwind zwar auch über größere NRWG hinweg lenken, was aber wiederum größere Mindestgeräteabstände in Windrichtung erforderlich macht. Die Stellschrauben in diesem System lassen sich also nicht beliebig verändern. Im vorliegenden Fall ließ sich eine Konstellation finden, in der die erforderliche wirksame Gesamtfläche allein an den Tonnenrändern untergebracht werden konnte. Das wird aber nicht in jedem Fall möglich sein.
Vorteilhaft war in Aachen der Umstand, dass das ortsansässige IFI, eines der führenden Institute Europas im Bereich der Industrieaerodynamik, frühzeitig in die Planung involviert war. Nur mittels professioneller Versuche und sachkundiger Beurteilung sind die Auswirkungen des Windes auf die Wirksamkeit von NRWG kalkulierbar, wenn von den geprüften und genormten Ausführungen und Abständen abgewichen werden soll.
Objekt: Rhein-Galerie, Ludwigshafen
Die Rhein-Galerie in Ludwigshafen ist eine 330 m lange Shopping-Mall mit 130 Geschäften und 1400 darüber liegenden Parkplätzen. Über 2.900 m² elliptische Glasdachkonstruktionen wurden im Jahr 2010 errichtet. Sie fluten die Mall mit reichlich Tageslicht und sorgen für natürliche Lüftung und Rauchabzug.
Herausforderung
Die erste Herausforderung bestand in der lokalen Konzentration der RWA-Flächen, die sich aus dem architektonischen Konzept ergab. Hinzu kamen hohe optische Ansprüche und der damit verbundene Wunsch auf Windleitwände zu verzichten. Außerdem sollten häufige Funktionsproben aber auch Wartungen ohne erhöhten Bedarf an Verbrauchsmaterial möglich sein. Schließlich war ein effektives Zusammenwirken aller RWA- und Lüftungsöffnungen im gesamten Objekt zu realisieren.
Lösung
In die Glasdachkonstruktion wurden 100 NRWG vom Typ „Lamilux Rauchlift M“ integriert. Die windgeschützte Lage zwischen den offenen Parkdecks ermöglichte den Verzicht auf Windleitwände und verringerte Geräteabstände. Letztere wurden auch durch die Innenraumgeometrie begünstigt, die großflächige hohe Schächte aufwies über denen die NRWG konzentriert wurden.
Eine redundant aufgebaute Druckluftanlage mit ca. 20 bar liefert die Energie für die RWA-Funktion und ermöglicht zentrales Öffnen und Schließen ohne Verbrauch von CO2-Flaschen. Eine komplexe vernetzte Steuerung aus einer RWA-Hauptzentrale und vier RWA-Unterzentralen mit Prioritätenverschaltung von Entrauchungstableaus, BMA, GLT und Handbedienstellen sorgt für ein effektives Zusammenwirken aller RWA- und Lüftungsöffnungen im gesamten Objekt in jedem Betriebszustand.
Fazit
Großprojekte bergen oft besondere Herausforderungen, bieten aber auch besondere Chancen. Frühzeitige Abstimmung zwischen Planern, Sachverständigen und Herstellern ist die Basis für bestmögliche Lösungen und vermeidet spätere Konflikte.
Auch größte Objekte und beste Budgets unterliegen den Grenzen der Physik. Insbesondere der Einfluss des Windes auf den natürlichen Rauchabzug wird häufig unterschätzt. Aber auch andere physikalische Grenzen im Bereich der Mechanik lassen sich nicht endlos verschieben. Die in Großprojekten erarbeiteten Lösungsansätze lassen sich prinzipiell auch auf kleine Bauvorhaben übertragen, allerdings sind hohe Fix-Kosten bei geringen Stückzahlen oft nicht wirtschaftlich.