Ein „voraussichtlicher Vertrags­termin“ ist nicht verbindlich

Das aktuelle Baurechtsurteil

Ein Urteil des OLG Hamburg (23.02.2023 – 4 U 54/22) zeigt die entscheidende Bedeutung von Fristenvereinbarungen zwischen Auftragnehmer und Auftraggeber auf. Bei VOB-Verträgen ist zudem zu berücksichtigen, dass eine Vertragsfrist ausdrücklich als solche bezeichnet/vereinbart werden muss; anderenfalls handelt es sich nicht um eine (verbindliche) Vertragsfrist, sondern lediglich um eine unverbindliche Kontrollfrist.

Problemdarstellung

Gerade im Bau- und Werkvertragsrecht ist die Vereinbarung von Fristen, wie etwa Ausführungsbeginn- und Fertigstellungsfristen, von essentieller Bedeutung und stellt auch den Regelfall dar. Dies hängt mitunter damit zusammen, dass ohne Fristenvereinbarung der Auftragnehmer gemäß § 271 Abs. 1 BGB zur sofortigen Bewirkung der Leistung verpflichtet ist, was die Rechtsprechung im Bau-/Werkvertrag dahingehend interpretiert, dass der Auftragnehmer alsbald nach der Beauftragung mit der Ausführung beginnen und diese in angemessener Zeit fertigstellen muss. Eine solche Regelung entspricht oftmals nicht den Interessen der Vertragsparteien, weshalb die VOB/B diesbezüglich ein differenzierteres Reglement anbietet. Das Versäumen einer verbindlichen Vertragsfrist kann aber sowohl im BGB- als auch im VOB-Vertrag Schadensersatzansprüche, Mehrkosten oder Kündigungsrechte auslösen, weshalb hierauf besonderes Augenmerk gerichtet werden sollte. Doch das gelingt nicht immer, wie ein vor dem Oberlandesgericht Hamburg verhandelter Fall zeigt.

Sachverhalt

Die Beklagte ist Generalsbauunternehmerin und beauftragte die Klägerin als Subunternehmerin mit VOB-Vertrag vom 15.01./12.02.2020 mit Fliesenlegerarbeiten zu einem Pauschalpreis, worauf die Beklagte vereinbarungsgemäß eine Vorauszahlung von 60.000,00 € zu leisten hatte. Als Ausführungsbeginn vereinbarten die Parteien in einem dem Vertrag beiliegenden Verhandlungsprotokoll lediglich „voraussichtlich am 01.04.2020“.

Rechtsanwalt Jochen Zilius, Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht.
Bild: medlay, Jörg Kersten

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Die Beklagte rief die Leistungen bei der Klägerin mit Mail vom 09.04.2020 erstmalig ab und forderte eine Arbeitsaufnahme am 20.04.2020, was die Klägerin jedoch ablehnte und erklärte, dass ihr ein Arbeitsbeginn zu diesem Zeitpunkt nicht möglich sei. Als die Klägerin an vorgenanntem Datum nicht auf der Baustelle erschien, setzte die Beklagte ihr eine kurze Nachfrist bis zum 06.05.2020, die allerdings ebenfalls erfolglos verstrich, und erklärte schließlich mit Schreiben vom 07.05.2020 die Kündigung des Vertrags aus wichtigem Grund.

Vor dem Landgericht hat die Klägerin die Feststellung beantragt, dass es sich um eine „freie“ Kündigung handele und sie daher die erhaltene Vorauszahlung behalten dürfe. Hierzu hat sie die Auffassung vertreten, ein wichtiger Kündigungsgrund liege nicht vor, weil die beklagtenseits geforderte Arbeitsaufnahme zum 20.04.2020 und auch später nicht geschuldet und die Klägerin zudem in der Ausführung behindert gewesen sei, weshalb die Beklagte zumindest eine weitere Frist zur Inverzugsetzung hätte einräumen müssen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, wogegen die Klägerin Berufung eingelegt hat.

Entscheidung OLG Hamburg

Die klägerische Berufung blieb ohne Erfolg. Zwar hat das Oberlandesgericht Hamburg mit Urteil vom 23.02.2023 die Rechtslage anders als das Landgericht bewertet, ist jedoch letztlich zum selben Ergebnis gekommen. Demnach habe die Beklagte den Bauvertrag mit der Klägerin am 07.05.2020 wirksam außerordentlich gekündigt infolge des verzögerten Ausführungsbeginns. Dabei sei ein Beginn mit den Arbeiten aber nicht schon zum 01.04.2020 geschuldet gewesen, weil in dem als „voraussichtlich“ bezeichneten Termin keine Vertragsfrist zu sehen sei. Mangels konkreter Vereinbarung sei die Beklagte als Auftraggeberin jedoch gemäß § 5 Abs. 2 S. 2 VOB/B berechtigt gewesen, den Ausführungsbeginn innerhalb von 12 Tagen abzurufen. Ein solcher Abruf sei mit Mail vom 09.04.2020 erfolgt, sodass die Klägerin am 24.04.2020 mit ihren Arbeiten habe beginnen müssen. Die Rechtsfrage, ob allein das Verstreichenlassen dieser Frist einen Verzug bewirkt habe oder dieser durch eine zusätzliche Mahnung hätte herbeigeführt werden müssen, könne dahinstehen vor dem Hintergrund, dass die Beklagte eine Nachfrist zur Leistungserbringung bis zum 06.05.2022 gesetzt habe. Das Fehlen von erforderlichen Vorleistungen stelle zwar grundsätzlich einen Behinderungstatbestand dar, der eine Vertragsfrist außer Vollzug setzen könne, allerdings habe die Klägerin eine solche Situation nicht plausibel dargelegt. Insofern sei die Kündigung der Beklagten als außerordentliche Kündigung berechtigt, sodass die Klägerin nur die bereits erbrachten Leistungen habe abrechnen können und vorliegend mangels Erbringung irgendwelcher Leistungen die erhaltene Vorauszahlung vollumfänglich zu erstatten sei.

Praxishinweis

Das Urteil des Oberlandesgerichts Hamburg zeigt, welche entscheidende Bedeutung einer Fristenvereinbarung zukommen kann. Dabei ist für den VOB-Vertrag ergänzend auf die Besonderheit hinzuweisen, dass gemäß § 5 Abs. 1 S. 2 VOB/B eine Vertragsfrist ausdrücklich als solche bezeichnet/vereinbart werden muss; anderenfalls handelt es sich nicht um eine (verbindliche) Vertragsfrist, sondern lediglich um unverbindliche Kontrollfrist (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 11.10.1995 - 25 U 70/95).

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