Einfach Wasser abdrehen reicht im Regelfall nicht
Installation: Außerbetrieb- und WiederinbetriebnahmenDie Expertenempfehlung (EE) VDI/DVQST-EE 3810 Blatt 2.1 „Außerbetriebnahme und Wiederinbetriebnahme von Trinkwasser-Installationen“ hat sich in der Praxis bewährt. Seit Dezember 2020 steht diese Expertenempfehlung zur fachgerechten Außerbetriebnahme und Wiederinbetriebnahme Vertragsinstallationsunternehmen sowie Betreibern, Wohnungsbaugesellschaften und FM-Unternehmen zur Verfügung.
Sollte eine Trinkwasser-Installation über einen längeren Zeitraum nicht genutzt und das Medium Trinkwasser in den Rohrleitungen somit nicht bewegt werden, droht die Gefahr einer nachteiligen Veränderung der Trinkwasserqualität. Bei einer vorübergehenden Außerbetriebnahme oder spätestens bei Wiederinbetriebnahme der Anlage, wenn also nach einer längeren Pause erneut „Wasser für den menschlichen Gebrauch“ fließen soll, sollten sich die beauftragten Installateure und Mitarbeiter von FM-Unternehmen praktische Fragen stellen, z. B.:
Welche Maßnahmen sind bei stillgelegten Stationen in einem Krankenhaus durchzuführen?
Wie stellt sich der Umgang mit einer Kindestagesstätte dar, die aufgrund von Ferienzeiten wochenlang stillsteht?
Wie wird die Außerbetriebnahme und Wiederinbetriebnahme einer Sportstätte dokumentiert?
Wie wird bei Wohnungsleerstand oder gewerblichen Einheiten fachgerecht außer Betrieb und später wieder in Betrieb genommen?
Anerkennung in der Praxis
In der VDI/DVQST-EE 3810 Blatt 2.1 „Betreiben und Instandhalten von Gebäuden und gebäudetechnischen Anlagen – Trinkwasser-Installationen – Außerbetriebnahme und Wiederinbetriebnahme“ finden sich für Betreiber (z. B. Betriebspersonal), Planer und Installationsunternehmen ziel- und praxisorientierte Vorgehensweisen zur fachgerechten Außerbetriebnahme und Wiederinbetriebnahme von Trinkwasser-Installationen.
Auf Grund von Schulungen nach VDI-MT 6023 Blatt 4 in der Kategorie FM sowie durch die Aufnahme der Expertenempfehlung in die Schulungsbroschüre des VDI für Schulungen zur Trinkwasserhygiene konnte der Bekanntheitsgrad enorm gesteigert werden. Immer mehr Betreiber, z. B. Kommunen, nutzen für ihre Gebäude oder Teile davon die Hinweise der Expertenempfehlung, um Maßnahmen bei der Außerbetriebnahme oder der Wiederinbetriebnahme durchzuführen. Das umfassende technische Regelwerk rund um die Hygiene in Trinkwasser-Installationen konnte mit dieser praxisgerechten EE sinnhaft ergänzt werden
Geplant ist, die derzeitige Expertenempfehlung mit der nächsten Überarbeitung der Richtlinie „VDI 3810 Blatt 2: Betreiben und Instandhalten von Gebäuden und gebäudetechnischen Anlagen – Trinkwasser-Installationen – VDI 6023 Blatt 3: „Hygiene in Trinkwasser-Installationen – Betrieb und Instandhaltung“ normativ zu integrieren. Bis dahin ergänzt sie das bestehende technische Regelwerk um konkrete Hinweise und Handlungsempfehlungen, was in Bezug auf die Trinkwasser-Installation bei einer Gebäudeschließung zu beachten ist.
Gebäudeschließung mit Betriebssimulation
Im ersten Schritt gilt es zu beurteilen, ob die Trinkwasser-Installation in einem Gebäude oder Gebäudeabschnitt tatsächlich außer Betrieb genommen werden muss oder ob eine Simulation des bestimmungsgemäßen Betriebs zu bevorzugen ist. Hierbei ist, wie bei der Planung ursprünglich zugrunde gelegt, sowohl auf eine ausreichende Strömungsgeschwindigkeit als auch auf die gebäudespezifischen Gleichzeitigkeiten in der Nutzung der Entnahmestellen zu achten. Der Wasseraustausch ist im Rahmen einer solchen Simulation an allen Entnahmestellen für Trinkwasser kalt (PWC) und Trinkwasser warm (PWH) entsprechend zu gewährleisten. Endständige Spülstationen in Reihen- oder Ringinstallationen, die ein etwaiges Stagnationswasser innerhalb der Entnahmearmaturen nicht berücksichtigen und einzig die Rohrleitungsinhalte erfassen, sind hier selten zielführend und können eine bestimmungsgemäße Nutzung lediglich unterstützen.
Im Fall einer Simulation des bestimmungsgemäßen Betriebs müssen Zirkulationspumpen, bei eingeschaltetem Trinkwassererwärmer, unbedingt weiter im Dauerbetrieb angesteuert werden. Nur so kann Stagnation und damit eine mögliche Vermehrung von Legionellen und andere Mikroorganismen in der Trinkwasser-Installation vorgebeugt werden. Das Betreiberpersonal und ggf. die Nutzer sind gemäß der Expertenempfehlung in die geänderte Betriebsweise einzuweisen.
Bei längeren Außerbetriebnahmen kann es sinnvoll sein, auf eine Simulation zu verzichten, da hier mit hohen Entnahmeraten zu rechnen ist. Dies ist im Einzelfall mit der dann anstehenden Außerbetriebnahme der Trinkwasser-Installation abzuwägen.
Empfehlungen bei Außerbetriebnahme
„Dreh das Wasser ab und fertig“ – so einfach gestaltet sich die fachgerechte Außerbetriebnahme im Regelfall nicht. Vordringlich sind zentrale oder dezentrale Trinkwassererwärmer fachgerecht außer Betrieb zu nehmen. Dazu muss der Trinkwassererwärmer jeweils mit Trinkwasser (kalt, PWC) an den Entnahmestellen gespült werden, um ein langsames Auskühlen zu verhindern. Praktisch bedeutet das: Das PWH in den Trinkwassererwärmern wird durch PWC komplett ersetzt. Auf diese einfache Weise lässt sich vermeiden, dass insbesondere das Wasser in Speichern und Leitungen langsam einen Temperaturbereich durchläuft, der Legionellenwachstum begünstig. Um den zuverlässigen Austausch von PWH durch PWC zu sichern, wird die Zirkulationspumpe erst bei PWC-Temperaturkonstanz abgeschaltet.
Sollte eine Außerbetriebnahme in die Wintermonate fallen, so sind zu den Hinweisen der Expertenempfehlung auch die VDI-Richtlinie 2069 „Verhindern des Einfrierens von Wasser führenden Leitungen“ zu beachten.
Sind einzelne Mietparteien in Mehrfamilienhäusern für einen Zeitraum von mehr als 72 Stunden außer Haus oder wenn sich Wohneinheiten im Leerstand befinden, sollten bereits einzelne Teile der Trinkwasser-Installation abgesperrt werden, damit eine Verschlechterung der Trinkwasserqualität in der gesamten Installation durch retrograde Kontamination nicht zu befürchten ist.
Zur Instandhaltung nutzen
Besser früher als später muss eine außer Betrieb genommene Trinkwasser-Installation auch wieder in Betrieb genommen werden. Es empfiehlt sich in der Stillstandphase vor oder während der Wiederinbetriebnahme wichtige Instandhaltungsmaßnahmen umzusetzen. Denn Inspektionen, Wartungen, Instandsetzungen oder Verbesserungen nach VDI 3810 Blatt 2/VDI 6023 Blatt 3 können einfach und ohne Störungen der Nutzer vor der Wiederinbetriebnahme durchgeführt werden. Darüber hinaus können ungeeignete oder defekte Bauteile ersetzt werden. Sind fehlende Bauteile, z. B. Probenahmeventile, nachzurüsten, so ist auch hierfür jetzt der richtige Zeitpunkt. Die Auswahl und die örtliche Festlegung der Probenahmeventile erfolgt hierbei durch hygienisch-technisch geschultes Personal, z. B. Inhaber eines VDI-MT 6023 Blatt 4 Kategorie A Zertifikats. Alle Maßnahmen, die an einer Trinkwasser-Installation getroffen werden, sind im Betriebsbuch als Teil des Anlagenbuchs (nach VDI 3810 Blatt 2/VDI 6023 Blatt 3) zu dokumentieren.
Handlungsempfehlungen bei Wiederinbetriebnahme
Nach Abschluss etwaiger Umbau-, Verbesserungs- oder Instandhaltungsmaßnahmen erfolgt die faktische Wiederinbetriebnahme. Welche Maßnahmen im Einzelfall erfolgen müssen, hängt von der Dauer der Betriebsunterbrechung ab. Dabei ist zu empfehlen, mikrobiologische Kontrolluntersuchungen gemäß TrinkwV durchaus auch bei unter 4 Wochen Dauer der Betriebsunterbrechung in sensiblen Bereichen oder Einrichtungen wie Kitas und medizinischen Einrichtungen durchführen zu lassen.
Zentrale Wasserbehandlungsanlagen, insbesondere Ionentauscher, sind nach einer vorübergehenden Außerbetriebnahme zu inspizieren und mindestens zu regenerieren. Bei leitungsgebundenen Getränkespendern (z. B. Kaffeemaschinen, Wasserspender) sind die Hersteller in der Pflicht, detaillierte Vorgaben zur Wiederinbetriebnahme nach längeren Stillstandzeiten anzugeben. Vorfilter und Wasserbehandlungseinheiten solcher Geräte sind in der Regel nach einer Stillstandsphase auszutauschen.
Besondere Aufmerksamkeit sollten die Trinkwassererwärmer bei der Wiederinbetriebnahme erhalten. Die Expertenempfehlung differenziert Anlagen mit zirkulierendem System oder nicht-zirkulierenden, dezentralen Trinkwassererwärmungssystemen.
Ist ein PWH-C-System vorhanden, sind zunächst die Trinkwassererwärmer vollständig aufzuheizen. Erst bei Erreichen der Soll-Temperatur von min. 60 °C am Austritt des Trinkwassererwärmers erfolgt die Wiedereinschaltung der Zirkulationspumpe. Hier weisen Trinkwassererwärmer im Durchflussprinzip eine deutliche zeitliche und energetische Überlegenheit auf, da sie lediglich minimale Wasserinhalte erhitzen müssen. Werden am Zirkulationseingang 55 °C erreicht, sind im nächsten Schritt die peripheren Entnahmestellen mit PWH bis zur Temperaturkonstanz zu spülen. Dezentrale Trinkwassererwärmungssysteme werden ebenfalls bis zur Temperaturkonstanz gespült. Hierbei ist eine Reglereinstellung zu wählen, die gemäß VDI 6023 Blatt 1, eine Temperatur von 55 °C an den Entnahmestellen sicherstellt.
Grundsätzlich ist zwischen einem Wasseraustausch und einer Spülung zu unterscheiden. Bei einem Wasseraustausch wird lediglich der Leitungsinhalt einmal ausgetauscht. Im Rahmen einer Spülung werden Strahlregler oder Duschköpfe entfernt, um ausreichende Fließgeschwindigkeiten zu gewährleisten, PWC- und PWH-Rohrleitungen werden dazu separat gespült.
In diesem Zusammenhang ist es in einem letzten Schritt sinnvoll, Feinsiebe, Eckventile, Rückflussverhinderer und Verbrühschutz-Vorrichtungen zu inspizieren. Denn nach Spülmaßnahmen können sich hier gelöste Stoffe ansammeln, die zu entfernen sind.
Für die begleitende oder abschließende Dokumentation stehen mit der Expertenempfehlung auch Musterprotokolle für die Außerbetriebnahme und Wiederinbetriebnahme im Anhang zur Verfügung, um eine einfache aber vollständige Dokumentation der Maßnahme zu gewährleisten.
Perspektive Regelwerke
Es wird weiter interessant bleiben, wie facettenreich weitere Aspekte und Erkenntnisse in den nächsten Monaten und Jahren die Inhalte der technischen Regelwerke ergänzen und beeinflussen werden. Die VDI-Richtlinie 6023 Blatt 1 ist im September 2022 neu erschienen. Dazu ergänzend ist die Fachliche Stellungnahme FS-401 „Anforderungen an Gutachten zur Hygiene-Erstinspektion von Trinkwasser-Installationen“ des DVQST verabschiedet worden. Für Maßnahmen nach künftigen Überflutungen steht seit Januar 2023 die weitere VDI/DVQST EE 3810 Blatt 2.2 zur Verfügung.
Europäische Normung und nationale Ergänzungsnormung befinden sich in der Überarbeitung und sind teilweise im Entwurf ([E] DIN EN 1717) erschienen. Der Entwurf zum DVGW-Arbeitsblatt W 551-4 „Verhütung, Erkennung und Bekämpfung von Kontaminationen mit Pseudomonas aeruginosa“ ist ebenfalls im Juli 2023 veröffentlicht worden und mit der VDI-Expertenempfehlung VDI EE 6023 Blatt 1.1 „Leitungsgebundene Getränkespender“ wird ein weiteres wichtiges Thema in Kürze erscheinen.
Wie schnell nehmen diese Regelwerke Einfluss auf die Planung, Errichtung und den Betrieb von Trinkwasser-Installationen? Welche Schlussfolgerungen werden zukünftig qualifizierte Sachverständige in ihre Gutachten schreiben und wie werden Richter auf dieser Grundlage in Bezug auf die geforderte Trinkwasserhygiene urteilen? In jedem Fall wird sich die Welt der Trinkwasserhygiene kontinuierlich weiter verändern. Eine wesentliche Aufgabe für alle Beteiligten wird es bleiben, hierbei den Überblick zu behalten und sich regelmäßig fortzubilden.