Höhere Dichtheitsklasse erzielen
Luftleitungssystem bewusst nachträglich abgedichtetMit einer Investition von knapp 110 Mio. € hat Birkenstock in Pasewalk, Mecklenburg-Vorpommern, ein neues Werk gebaut. Mit Luftleitungssysteme, die die Dichtheitsklasse ATC 2 erfüllen, spart das Unternehmen jährlich 42.000 bis zu 85.000 €. Das wurde mit einer nachträglichen Abdichtung erreicht.
Im April 2022 legte Birkenstock den Grundstein für sein Leuchtturmprojekt in Pasewalk. Für das Unternehmen ist es die größte Einzelinvestition der Firmengeschichte. Nach einer Bauzeit von rund 17 Monaten nahm der rund 36.000 m² umfassende Gebäudekomplex im Industriepark Berlin-Szczecin bei Pasewalk im September 2023 seinen Betrieb auf. Gestartet wurde mit rund 200 Mitarbeitern, die schrittweise auf etwa 1.000 Beschäftigte erweitert werden sollen.
Eckpunkte der Planung
Um den Angestellten in Produktion und Büros konstante und angenehme Innenraumluftbedingungen bieten zu können, sind die Gebäude mit mehreren zentralen Raumlufttechnischen Anlagen ausgestattet. Damit diese möglichst energie- und kostensparend betrieben werden können, wurde in der Ausschreibung für die Luftleitungssysteme die Mindestdichtheitsklasse ATC 3 gefordert (s. Tabelle 1).
Um diese Dichtheitsklasse trotz der durch die Prozesskette unvermeidbaren Leckagen (s. Tabelle 2) in der Praxis – bei annehmbaren Kosten – gewährleisten zu können, wurden bei der Planung zwei wichtige Eckpunkte festgehalten:
Die Bestellung und der Einbau von Bauteilen und Komponenten in der Dichtheitsklasse ATC 4 (bzw. B).
Eine anschließende Abdichtung der einzelnen Stränge mittels des Aeroseal-Verfahrens bis zum Erreichen von mindestens der Dichtheitsklasse ATC 3 (bzw. C).
Aeroseal-Verfahren
Mit dem weltweit patentierten Aeroseal-Verfahren lassen sich Luftleitungssysteme von RLT- und Lüftungsanlagen schnell, einfach und zuverlässig von innen heraus abdichten. Einsatzbar bei Neubauten, im Bestand sowie bei Sanierungen/Retrofits, müssen die Undichtigkeiten nicht erst lokalisiert werden. Stattdessen wird ein wasserbasierter Dichtstoff mit Hilfe von Druck und Temperatur in feinste Teilchen zerstäubt und zusammen mit der Luft durch undichte Luftleitungssysteme gefördert. Da an Ritzen, Spalten, Löchern etc. lokal der Druck absinkt, wird das Luft-Dichtstoff-Gemisch in deren Richtung abgelenkt und durchströmt Undichtigkeiten von innen nach außen. Da sich dabei an den Rändern sukzessive kleine Mengen des Dichtstoffs ablagern, werden Leckagen bis zu einer Spaltbreite oder einem Durchmesser von 15 mm dauerhaft abgedichtet.
Das Ergebnis sind Luftleitungssysteme, deren Leckagen meist (weit) über 90 % reduziert wurden und eine garantierte Mindestdichtheit der Klasse ATC 3 (gemäß DIN EN 16798-3) aufweisen, sofern nicht besondere Mängel im Luftleitungssystem vorhanden sind.
Vorgaben wurden übererfüllt
Ausgehend von der Dichtheitsklasse ATC 5 (bzw. A), die nach der fachgerechten Installation der Komponenten in Klasse ATC 4 erreicht wurde, konnte die B.ARC Lüftungskanalbau GmbH mittels des Aeroseal-Verfahrens für das gesamte Luftleitungssystem die Dichtheitsklasse ATC 2 (bzw. D) erreichen. Innerhalb kurzer Zeit, mit wenigen Personen und Handgriffen, und ohne Eingriff in die Bausubstanz konnten die geforderte Dichtheitsklasse ATC 3 (bzw. C) übererfüllt und die Leckagen der einzelnen Stränge zwischen 88 und 93 % reduziert werden (s. Tabelle 3). Das Ergebnis, die Dichtheitsklasse ATC 2 für das gesamte Luftleitungssystem, bedeutet maximale Leckageraten von etwa 0,22 % (bezogen auf den gesamten Nennvolumenstrom) statt der für Raumlufttechnische Anlagen in fast ganz Europa typischen 15 % und mehr.
Durch die Abdichtung der Luftleitungssysteme bis zum Erreichen von ATC 2 konnte die Energieeffizienz des neu errichteten Großprojekts so erheblich gesteigert werden, dass die geschätzte Einsparung an Energiekosten jährlich zwischen 42.000 und 85.000 € beträgt. Mit einer zusätzlichen Einsparung an Materialkosten durch die Montage von Bauteilen in der Dichtheitsklasse ATC 4 statt ATC 3 (bzw. besser) von rund 22.000 € ergeben sich Return-on-Investment-Zeiten von nur etwa 0,55 bis 1,11 Jahren. Der Birkenstock-Neubau verdeutlicht einmal mehr, dass sich durch den konsequenten Einsatz des Aeroseal-Verfahrens bei RLT- und Lüftungsanlagen – im Neubau, aber auch bei Sanierungen – in Wohn- und Nichtwohngebäuden erhebliche Kosten- und Energieeinsparungen erzielen lassen.
Abdichten wird staatlich gefördert
RLT- und Lüftungsanlagen spielen eine Schlüsselrolle beim Erreichen eines klimaneutralen Gebäudebestands. Dementsprechend ist in Deutschland die Abdichtung von Luftleitungssystemen finanziell förderbar. So kann z. B. die Abdichtung von Luftleitungssystemen mit dem Aeroseal-Verfahren im Rahmen der Bundesförderung effiziente Gebäude als Einzelmaßnahme (BEG EM) finanziell unterstützt werden. Voraussetzung ist, dass das Luftleitungsnetz nach der Abdichtung mindestens der Dichtheitsklasse ATC 4 entspricht. Sofern nicht besondere Mängel im Luftleitungssystem vorhanden sind, kann mit dem Aeroseal-Verfahren die bessere Klasse ATC 3 garantiert werden. Unter bestimmten Voraussetzungen (Einzelfallprüfung) ist zudem über das Förderprogramm Energieeffizienz und Prozesswärme im Modul 4: Energie- und ressourcenbezogene Optimierung von Anlagen und Prozessen eine Förderung möglich.
tab fragt nach
Die tab-Redaktion sprach mit Jörg Mez, Geschäftsführer der Mez-Technik, über Details zum Aeroseal-Verfahren und Material in der Praxis sowie seiner Dauerhaftigkeit.
tab: Wie flexibel ist das im Aeroseal-Verfahren verwendete Dichtmaterial – ist es starr/hart oder flexibel - wie hält es z. B. Vibrationen aus, ohne am Ende schon nach relativ kurzer Zeit zu zerbröseln?
Jörg Mez: Der Aeroseal-Dichtstoff besteht aus einer Polymerdispersion auf Wasserbasis. Er haftet gut, beständig und punktuell an den unterschiedlichsten Leckagestellen an. Der Dichtstoff bleibt auch im Zuge der Alterung flexibel. Zudem weist der Dichtstoff eine ausgezeichnete Beständigkeit gegenüber extremen Witterungs- und Temperatureinflüssen auf, ist öl- und fettbeständig und hält auch stärkeren Vibrationen und Schwingungen stand. Daher kommt Aeroseal auch in der Prozesslufttechnik zum Einsatz.
tab: Für wie lange garantiert Mez die Dichtheit der über das Aeroseal-Verfahren abgedichteten Undichtheiten nach Abschluss der Durchführung?
Jörg Mez: Die Haltbarkeit ist für 30 Jahre plus nachgewiesen, zudem wird eine Herstellergarantie von 10 Jahren gewährt, ansonsten greift die übliche Gewährleistung unserer derzeit 53 Dienstleistungspartner.
tab: Im Projekt Birkenstock hat man angesichts des zu erwartenden Umstands, dass durch Transport und Installation sich ursprüngliche Dichtheitsklassen in der Praxis nicht mehr wiederfinden auf die Lösung eingelassen, gleich eine geringere Dichtheitsklasse einzubringen und diese dann über das Aeroseal-Verfahren auf die in der Ausschreibung verlangten Klasse zu bringen. Allerdings dürfte auch einer schlechteren Klasse beim Einbau das gleiche Schicksal ereilen wie einer bessern, so dass Aeroseal ggf. noch mehr Dichtheitsklassen „überspringen“ muss. Was ist hier maximal an Spannweite möglich, würden Sie das einmal anhand von ATC-Werten konkretisieren, welche Sprünge möglich und dann auch langfristig garantiert sind?
Jörg Mez: Das Aeroseal-Verfahren kann, sofern keine gravierenden baulichen bzw. konstruktiven Mängel vorliegen, die Dichtheit eines installierten Systems immer deutlich verbessern. Im Durchschnitt um 95 %. So ist es bspw. möglich, von einem System der Klasse ATC 7 (nicht klassifiziert, alles über 15 % Leckage-Volumenstrom) oder ATC 6 (15 % Leckage-Volumenstrom) ATC 1 (Z) oder ATC 2 (D) zu erreichen. In den meisten Fällen kann die Dichtheitsklasse ATC1 oder ATC 2 garantiert und für das gesamte Leitungsnetz nachgewiesen werden. Das Verfahren kann Leckagen bis zu einem Spaltmaß von 15 mm abdichten und ist bis zu 2.000 Pa druckbeständig. Grundsätzlich gilt: Je genauer die Luftleitungsbauteile produziert und montiert werden, um so einfacher gelingt die Abdichtung mit dem Aeroseal-Verfahren. Im besten Fall kann sogar auf Vorlegeband für die Luftkanalverbindungen verzichtet werden.