KI-basierte Video-Branddetektion

Hype oder Revolution im Brandschutz?

„Künstliche Intelligenz“ (KI) hat in der Video-Sensorik schon länger ihren Platz – z. B. in Form gelernter Bewegungsmuster oder algorithmenbasierter Bildanalysen. Genutzt werden diese Potenziale bisher allerdings vorrangig in der Sicherheitstechnik. Doch auch in der Brandschutzwelt finden sich Einsatzmöglichkeiten für KI, die die konventionelle Detektionstechnologie sinnvoll ergänzen können.

KI ist derzeit – nicht zuletzt durch die Erfolge von „ChatGPT“ und anderen Programmen – in aller Munde. Aber ist das Thema wirklich so neu? Tatsächlich kennen wir entsprechende Mechanismen schon mindestens seit den 1950er-Jahren. Bereits damals nutzte „intelligente“ Schaltelektronik erste Algorithmen. In den 1990er-Jahren machte das Thema „Machine Learning“ – als eine Unterkategorie von KI – in der Forschung auf sich aufmerksam. In den 2010er-Jahren war es dann schließlich so weit, dass die notwendigen Daten in ausreichender Masse und Geschwindigkeit verarbeitet werden konnten. Der Weg zu den heute verfügbaren KI-Programmen war damit geebnet.

KI in der Bildanalyse

Auch moderne Videoalgorithmen nutzen KI schon länger: Sie können insbesondere KI-gestützt selbstlernend Bewegungsmuster analysieren. Damit sind sie z. B. in der Gebäudesicherung dazu fähig, bei versuchtem Eindringen außerhalb der Geschäfts- und Bürozeiten einen Einbruch zu erkennen. Oder sie unterstützen als weiteres Beispiel bei der Evakuierung eines Gebäudes mit einer Personenzählung: Das System erkennt dann eigenständig, ob alle Personen das Gebäude verlassen haben.

Welche Rolle KI in der Bildanalyse dabei perspektivisch spielen kann, wird im Vergleich zu herkömmlichen, sogenannten regelbasierten Systemen deutlich: Diese nutzen vorgegebene Regelsätze, um Muster und Merkmale zu erkennen und nach „Wenn-dann“-Regeln zu klassifizieren. Bezogen auf den Brandschutz kann dies bspw. bedeuten: Wenn ein orangefarbenes Licht eine flackernde, unregelmäßige Bewegung zeigt, würde das System von einer Flamme ausgehen, leuchtet die Lichtquelle gleichmäßig, dann nicht.

KI fußt hingegen nicht auf festen Regeln, sondern auf einem strengen Trainingsprozess. Während dieses Prozesses wird das System einer riesigen Menge an Bilddaten aus einem breiten Spektrum an Phänomenen und Situationen ausgesetzt. Auf Grundlage dieser Erfahrungswerte erfolgt die Ereignisdetektion dann selbstständig. Aktuelle Video-Algorithmen, auch in der Branddetektion, sind derzeit noch durch die harmonische Verschmelzung von bewährter, regelbasierter einerseits und modernsten KI-Algorithmen andererseits gekennzeichnet.

Bei der eigentlichen Branddetektion kommen Video-Algorithmen tatsächlich noch selten zum Einsatz. Das ist insofern erstaunlich, als es durchaus kritische Anwendungen gibt, in denen konventionelle Brandmeldetechnologie bei der frühzeitigen Erkennung von Rauch oder Flammen an ihre Grenzen stößt.

Genau hier macht eine anwendungsspezifische Ergänzung zu konventionellen Brandmeldern Sinn und gibt einen Ausblick auf die Zukunft der Video-Branderkennung. Durch die Analyse der Bilddaten sind nun verschiedene Arten der Nutzung möglich: Zum einen können Rauch und Flammen erkannt werden und zum anderen ermöglichen die Live-Bilder den Einsatzkräften in kritischen Umgebungen die Verifikation bzw. Einschätzung des Ereignisses und der Lage vor Ort.

Grenzen konventioneller Brandmeldetechnik

Beispiele für brandmeldetechnisch herausfordernde Umgebungen gibt es viele: In der Recyclingindustrie kommen nicht selten leicht brennbare Stoffe mit Zündquellen wie falsch entsorgte Batterien im Müll zusammen. Gleichzeitig sind die offenen Müllbunker äußerst schwierig mit herkömmlichen Brandmeldern zu überwachen. In historischen Gebäuden, wie z. B. Kirchen, treffen teils unwiederbringliche Kulturgüter auf extreme brandschutztechnische Anforderungen wie große räumliche Dimensionen, eine komplexe Bauweise und nicht zuletzt Vorgaben des Denkmalschutzes. Gleichzeitig ist dort mit Störgrößen wie Weihrauch zu rechnen. Und auch Infrastrukturen wie Freigelände oder Parkflächen außerhalb von Gebäuden stellen hohe Anforderungen, denn hier können Brandmelder wegen fehlender Decken nicht installiert werden.

Bei diesen Anwendungsfällen kann videobasierte Branddetektion eingesetzt werden, ebenso wie z. B. in hohen Hallen. Das Live-Bild lässt sich zusätzlich an eine Leitstelle übertragen. Dabei lassen sich nicht relevante Anomalien wie Abgase von Fahrzeugen oder produktionsbedingte Rauchentwicklung erkennen.

Regelwerke zur Video-Branderkennung

Dass Video-Technik trotz dieser unbestreitbaren Vorteile bisher aber nur in Ausnahmefällen zur Branddetektion eingesetzt wird, liegt nicht zuletzt an der aktuellen Normensituation. Denn natürlich ist es kaum möglich, eine solche Technologie aus rein normativer Sicht zu fassen oder gar zu zertifizieren: Zu den gemäß EN 54 Standard zugelassenen Systemen zur Erkennung von Rauch und Flammen zählen Videokameras und -Algorithmen nicht.

Allerdings besteht mit der ISO 7240 ein Standard, der die erforderliche Leistungsfähigkeit einer Video-Branderkennung beschreibt. Auf dieser Basis wird KI-basierte Video-Brandsensorik derzeit weltweit entwickelt. Aus dem internationalen ISO-Standard heraus ergeben sich die länderspezifischen Normen, z. B. in Deutschland die Richtlinien VdS 3847 für Videokameras zur visuellen Brandüberwachung und VdS 3878 für IP-Kameras zur Temperaturüberwachung. Diese dienen als Grundlage für Planer und Betreiber entsprechender Anlagen, um das passende Produkt für das jeweilige Einsatzgebiet zu finden. Trotzdem bleibt festzustellen: Es ist immer schwierig, neue Technologien normenkonform zu beschreiben, da entsprechende Erfahrungswerte naturgemäß noch nicht vorhanden sind. Das gilt auch für Video-Sensorik im Brandschutz.

Praxisversuche sind notwendig

An dieser Stelle lohnt sich ein näherer Blick auf die Funktionsweise KI-basierter Videosysteme. Hier sind zwei unterschiedliche Technologien zu unterscheiden: Bei Video-Sensorik mit visueller Bilderkennung werden die sichtbaren Rauchpartikel oder Flammen bildtechnisch erkannt und über einen KI-basierten Algorithmus ausgewertet. Die zweite Möglichkeit ist die Nutzung einer Infrarot-Thermal-Kamera. Diese misst die Oberflächentemperatur des zu überwachenden Bereichs und erkennt dort einen möglichen Temperaturanstieg.

Die Grundlage für eine normative Zulassung der visuellen Branderkennung besteht darin, einen Brand unter Laborbedingungen zu erkennen. In einem Test-Labor mit Raummaßen von 8 bis 10 m Länge, 6 bis 8 m Breite und einer Raumhöhe von bis zu 4,2 m wird überprüft, ob das untersuchte System die verschiedenen Brand-Kenngrößen erkennt, wie z. B. Rauch nach Testfeuer TF2 oder Flamme nach Testfeuer TF4.

In der Realität wird ein zu überwachendes Objekt allerdings sehr viel größer sein als das Test-Labor. Deshalb führt hier kein Weg an weiteren Brandversuchen unter Realbedingungen vorbei. Auch die tatsächlichen Lichtverhältnisse sind ein entscheidender Faktor. Sollte keine ausreichende Beleuchtung vorhanden sein, ist die Erkennung von Rauch per Video äußerst schwierig. Allerdings gibt es Systeme, die dazu (ohne zusätzliche Infrarot-Beleuchtung) bereits ab einer Helligkeit von 1 Lux (lx) in der Lage sind. Das entspricht etwa der Helligkeit einer Kerze. Zum Vergleich: Straßenbeleuchtungen strahlen in Deutschland etwa 7 bis 8 lx hell. Ebenfalls muss gewährleistet sein, dass störende Lichtquellen – wie Schweißfunken, direkte Sonneneinstrahlung oder Reflektionen durch z. B. Wasserpfützen oder Glasscheiben – das Detektionsergebnis nicht verfälschen.

Video-Branderkennung

Wie eine praxistaugliche Lösung für die sofortige visuelle Überwachung und die Früherkennung direkt an der Brandquelle aussehen kann, zeigt bspw. Siemens mit der Video-Branderkennung „FireCatcher FDV202“. Konkret handelt es sich dabei um eine HDTV-Kamera mit integrierter Analyse-Software für Video-Branderkennung. Diese Weiterentwicklung aus regelbasierter Analyse, maschinellem Lernen und Deep Learning ermöglicht es, Rauch und Flammen selbst bei Anwendungen in offenen Flächen, hohen Räumen und unter rauen Umgebungsbedingungen zu erkennen. Der Betriebstemperaturbereich liegt zwischen - 40 und + 70 °C und ist somit auch für robuste Einsätze im Außenbereich geeignet.

Verschiedenste Stabilisatoren sorgen für eine hohe Bildqualität, indem sie bspw. Verschmutzungen auf der Linse sowie Helligkeits- und Kontrastverluste automatisch ausgleichen. Der Montagewinkel der Kamera ist horizontal wie vertikal frei wählbar. Dadurch lassen sich eventuelle Störquellen vermeiden, z. B. Reflektionen durch Sonneneinstrahlung. Durch ein großes Helligkeitsverhältnis zwischen dem dunkelsten und dem hellsten Bild von 1000:1, ist auch weißer oder grauer Rauch vor hellen Hintergründen gut zu erkennen.

Bei der Erkennung von Rauch und/oder Flammen im konfigurierten Detektionsbereich des Sichtfeldes werden verschiedene Relaisausgänge als Alarm angesteuert. Durch die verschiedenen Einstellmöglichkeiten ist auch bei schwierigen Lichtverhältnissen von 120.000 bis 1 lx eine Detektion möglich. Dadurch kann die Video-Branderkennung bei besonders hellen Lichtverhältnissen, wie etwa bei Schweißarbeiten, ebenso eingesetzt werden wie bei sehr dunklen, z. B. bei Kerzenlicht.

Die „FireCatcher“-Kamera kann über I/O-Module redundant in den Loop der Brandmeldezentrale angeschlossen werden. So können verschiedene Alarme bei der Detektion von Rauch und/oder Flammen an der Brandmeldezentrale angezeigt werden. Der Videostream kann von der Kamera direkt an ein Videomanagementsystem per LAN übertragen und zur visuellen Verifikation genutzt werden. Die Detektionszonen sind variabel konfigurierbar. Die Kamera erkennt Testbrände TF1 bis TF8 gemäß EN 54. So bietet die Video-Branderkennung eine erhöhte Betriebssicherheit überall dort, wo kein normativer Schutz vorhanden ist, und ermöglicht den Einstieg in die Digitalisierung.

tab fragt nach

Künstliche Intelligenz (KI) zieht aktuell in viele Bereiche des Lebens ein, auch in die Planung und dazu technisch bereits auf sehr detaillierter Ebene. Wir haben bei Autor Carsten Meißner nachgefragt, wie sich die Einsatzmöglichkeiten von Video-Branderkennung konkret darstellen und welche Entwicklungen es gibt, die sich bereits abzeichnen.

tab: Was gilt es bei der Planung einer Video-Branderkennung in Lager- bzw. Produktionshallen generell zu beachten?

Carsten Meißner: Bei der Planung zur Video-Branderkennung mit dem Fire Catcher muss man mehrere Blickwinkel betrachten: Erstens, die normativen Anforderungen bzw. das Schutzziel, das mit der Branderkennung erreicht werden soll. Stichworte wie Brandkenngrößen, Wirksamkeitsnachweis und bau- bzw. versicherungstechnische Anforderungen an den Brandschutz, können bspw. von Relevanz sein. Zweitens, mögliche Störgrößen, die die Detektion im laufenden Betrieb beeinflussen können – wie Reflektionen, Sonnenlicht, andere Lichtquellen oder eventuelle Abschattungen im Detektionsbereich. Und drittens: Wie und wo realisiere ich die Verifikation der Livebilder und des Videostreams sowie die Integration in ein Video-Management (VMS)?

tab: Wie groß ist die durchschnittliche Einsatzfläche (Abdeckungsfläche) für eine Kamera?

Carsten Meißner: Da unser System horizontale und vertikale Montagemöglichkeiten bietet, kann man in Abhängigkeit zu der Montagehöhe keine feste Überwachungsfläche nennen. Das hängt immer vom Anwendungsfall ab. Z. B. haben wir eine Mehrzweckhalle, die bis 4.000 Personen fassen kann, mit acht Kameras überwacht. Dort beträgt die Grundfläche ca. 2.100 m2.

tab: Was empfehlen Sie in Bezug auf die Platzierung der Erfassungsgeräte (wie die Kontrolle aus zwei Perspektiven)?

Carsten Meißner: Grundsätzlich sieht unsere Kamera für die Video-Branderkennung genau das, was auch das menschliche Auge im Sichtfeld sieht. Eine Platzierung der Kamera hängt von der Montagehöhe bzw. Montagemöglichkeit ab. Zusätzlich können ganz praktische Überlegungen eine Rolle spielen: Sollen zum Beispiel explosionsgefährdete Bereiche überwacht werden, kann der „Fire Catcher“ unter Umständen auch außerhalb der Ex-Zone installiert werden? In diesem Fall kann man sich dann die Kosten und den Aufwand für eine Ex-Installation sparen.

tab: Hardware ist die Basis, Software – hier in Verbindung mit KI zur Überwachung – ist die entscheidende Größe für den erfolgreichen Einsatz des Systems. Inwieweit ist das System Cloud-basiert?

Carsten Meißner: Die meisten Anwendungen bei den Kunden sind tatsächlich noch konventionell, das heißt: Es gibt installierte Hardware – wie z. B. die Kamera, ein Videomanagement oder eine Leitstelle – vor Ort. Immer mehr Kunden verlagern diese Funktionen aber in eine Cloud und greifen dort auf die Daten bzw. auf die Bilder zu. Vor allem ist der Zugriff überall mobil und jederzeit 24/7 möglich. Hier spielt das Thema Cybersecurity eine wichtige Rolle, welches wir mit unseren Lösungen vollumfänglich erfüllen.

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