Nahwärmenetze: intelligent vs. herkömmlich

Vermeidbarer Strombedarf wird zum Faktor

Kalte Nahwärmenetze werden im Zuge der kommunalen Wärmeplanung eine immer größere Rolle spielen. Die tab hat die Systeme in ihren Ausgaben tab 6 und tab 7/8 ausführlich beleuchtet. Im Fokus eines Interviews mit Michael Westermaier von Ratiotherm stehen nachfolgend intelligente Nahwärmenetze.

tab: Was sind sogenannte intelligente kalte Nahwärmenetze?

Michael Westermaier: Beim intelligenten Nahwärmenetz ist keine Heiz- respektive Energiezentrale vorhanden. Die Energieernte erfolgt über ein Sondenfeld oder mehrere Grundwasserbrunnen. Alternativ könnten auch Gewässer, Abwasserkanäle oder auch alte Grubenschächte der Bergbauindustrie, die von selbst voll Wasser laufen, die Funktion einer Energiezentrale übernehmen. Häufig gibt es ein kleines Gebäude (Garagengröße) mit Pumpengruppen und Netz-Überwachungstechnik via Software und PC. Ansonsten wird die Wärmeenergie gleich über eine ungedämmte Leitung in die Gebäude verteilt, wo die Wärmepumpen sitzen. Und nicht zuletzt ist ein wichtiger Erfolgsfaktor für die Effizienz eines kalten Nahwärmenetzes die intelligente, bedarfsgerechte IT-Steuerung der Wärmeversorgung.

tab: Würden Sie das weiter präzisieren?

Michael Westermaier: Das Intelligente ist das Absenken der Netztemperaturen bzw. das Umschalten von Heiß auf Kalt im Sommer. Intelligent ist auch der reduzierte Energieverlust durch generell niedrigere Abstrahlverluste des Netzes. Bei kalten Nahwärmenetzen können auch Solarenergie und Abwärme oder andere „Restwärmequellen“ eingebunden werden. Das bedeutet, dass die Flexibilität und Vielseitigkeit für Wärmequellen um ein Vielfaches erhöht wird. Durch höhere Quellnetz-Temperaturen haben die dezentralen Wärmepumpen weniger Stromaufnahme, was wiederum die Stromnetze entlastet und an vielen Stellen auch erst ein Nahwärmenetz überhaupt ermöglicht. Bei anderen Modellen würde die Stromnetzinfrastruktur die Mehrbelastung durch die Nahwärmenetze gar nicht aushalten. Erst durch die Anhebung der Wärmenetz-Temperatur kann die Wärmepumpenleistung soweit verringert werden, dass die örtlichen Energieversorger dem Bau eines Nahwärmenetzes ohne Auflagen zustimmen können (Faustformel: 1 °C höhere Quelltemperatur spart 2 % Strom am Verdichter der Wärmepumpe). Ansonsten müsste mit hoher Wahrscheinlichkeit die komplette örtliche Stromversorgung angepasst bzw. teuer ausgebaut werden.

tab: Wie steht es um die Kosten vergleichsweise?

Michael Westermaier: Investitions- und Fixkosten sind bei intelligenten Nahwärmenetzen grundsätzlich vergleichbar mit dem Aufwand bei einem herkömmlichen Nahwärmenetz. Kalte Netze sind durch die einfache Leitungsverlegung von günstigen, ungedämmten Rohren im ersten Schritt günstiger, dafür muss aber ein Sondenfeld erstellt werden – was die Vorteile der günstigen Leitungen wieder aufwiegt. Auch ist mehr Stromaufwand für die Wärmepumpen nötig, was die Betriebskosten dieses Netz-Typs deutlich steigert. Dies liegt darin begründet, dass der COP (Wirkungsgrad) einer Wärmepumpe im rein kalten Netz deutlich schlechter ist als in Netzen, die gleitend oder durch solarthermische Unterstützung auf höherem Temperaturniveau laufen. Alle anderen intelligenten Netzvarianten, die auf höheren Temperaturniveaus betrieben werden, verwenden isolierte – und damit teurere - Rohre und müssen in eine Heizzentrale investieren. Allerdings ist aus heutiger Sicht eine höhere „Fixkosten-Investition“ deutlich planbarer, als die volatilen Betriebskosten der dezentralen Wärmepumpen. Auf den Wärmepreis hat das insgesamt kaum Auswirkungen, der ist in allen Netzvarianten (auch im klassischem Nahwärmenetz) in etwa ähnlich. Last but not least sollte noch erwähnt werden, dass durch die abgesenkte Netztemperatur die Strahlungsverluste im Netz deutlich geringer werden. Daraus resultiert letztendlich auch der wirtschaftliche Mehrgewinn aus alternativer Nahwärme.

tab: Das Thema im Gesamtkontext – wo steht es und welche Rolle nimmt es im Rahmen der Wärmewende ein?

Michael Westermaier: Zurzeit gelten intelligente Nahwärmenetze in Deutschland immer noch eher als Nischentechnologie. Gerade einmal 15 % der Heizwärme in deutschen Haushalten stammt aus Nah- und Fernwärmenetzen. Wobei die Versorgung aus intelligenten Netzen sicherlich deutlich unter einem Prozent liegt. Durch Fördermechanismen seitens des Bundes (BAFA Förderung Wärmenetz 4.0) nimmt das Thema zwar jetzt deutlich an Fahrt auf. Dennoch zögern noch viele Gemeinden und Contracting-Unternehmen, in diese Technik zu investieren, da gerade der rechtliche Rahmen oft schwierig ist. Auch muss eine solche Energieversorgung sehr früh in die Planung aufgenommen werden. Dadurch entstehen lange Vorlaufzeiten sowie oft auch lange Entscheidungswege. Hier müssten in Zukunft frühzeitige positive Impulse seitens der Stadtplaner und der verantwortlichen Kommunalpolitik kommen.

Fördermöglichkeiten für Netze

Der Umbau zur treibhausgasneutralen kommunalen Wärme­infrastruktur wird staatlich gefördert. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) unterstützt den Bau effizienter Nahwärmenetze und damit die Umstellung auf eine treibhausgasneutrale Wärmeversorgung in Kommunen und Gemeinden. Die Bundesförderung für effiziente Wärmenetze (BEW) gewährt einen Investitionskostenzuschuss für die Transformation bestehender oder den Bau neuer Wärmenetze. Diese Netze müssen zu mindestens 75 Prozent erneuerbar und/oder durch unvermeidbare Abwärme gespeist werden sowie einen Transformationsplan bzw. eine Machbarkeitsstudie aufweisen, die den Pfad zur vollständigen Treibhausgasneutralität beschreiben. Wer Großwärmepumpen und Solarthermie nutzt, kann zudem eine Betriebskostenförderung erhalten. Mit der Bundesförderung für Energie- und Ressourceneffizienz in der Wirtschaft (EEW) fördert das BMWK auch die Abkopplung und Einspeisung industrieller und gewerblicher Abwärme in Wärmenetze über einen Kredit mit Tilgungszuschuss.

Im Rahmen der Bundesförderung für effiziente Gebäude (BEG) werden neben Verbesserungen der thermischen Hülle und erneuerbaren Wärmeerzeugern auch der Anschluss eines Gebäudes an ein vorhandenes Wärmenetz gefördert. Außerdem werden kleinere Wärmenetze („Gebäudenetze“) gefördert, wenn diese mit einem Mindestanteil Erneuerbarer Energien gespeist werden. Auch hier hat man die Wahl zwischen einem Zuschuss und einem Kredit mit Tilgungszuschuss.

Kurzlink zur Bundesförderung für effiziente Wärmenetze (BEW): www.t1p.de/tab-24-9-bew

Kurzlink zur Bundesförderung für Energie- und Ressourceneffizienz in der Wirtschaft (EEW): www.t1p.de/tab-24-9-eew

Kurzlink zur Bundesförderung für effiziente Gebäude (BEG): www.t1p.de/tab-24-9-beg

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