Retentionsprojekt in Berlin
Entlastung der Kanalisation bei Starkregen
Schweizer Qualität wird geschätzt. Das zeigt sich auch in dem soliden Wachstum der Stadler Deutschland GmbH am Standort Berlin. Die Tochtergesellschaft des von Ernst Stadler in Zürich gegründeten Unternehmens, das seit 1942 Schienenfahrzeuge baut, bedurfte einer Erweiterung der Produktionsflächen. So entstanden auf rund 24.000 m2 Werksgelände eine neue Aufsetz- und Montagehalle sowie hochmoderne Büro- und Sozialraumflächen. Die weitläufigen Dachflächen der Werkstatt- und Aufsetzhalle wurden mit einem Retentionsdach ausgeführt, das Regenwasser zurückhält, teilweise verdunstet und zeitverzögert in die Kanalisation einleitet.
„Die Idee der Retention steht teilweise im Widerspruch zu geltenden Normen, da nicht wie üblich das Regenereignis so schnell wie möglich vom Dach geleitet, sondern gewollt zurückgehalten wird. Die von der DIN 1986-100 geforderte planmäßige Regenrückhaltung erfolgt nicht auf dem Grundstück, sondern direkt auf dem Dach“, erläutert Thomas Dreisilker von der Sita Anwendungstechnik. Möglich ist dies, wenn die Statik darauf abgestimmt ist, die Zusatzlast zu tragen. Mit einem etwa 5.000 m2 großen Retentionsdach erfüllt Stadler auch die Forderungen der Stadt Berlin. Im Wasserhaushaltsgesetz der Stadt, BWG § 36 a Abs. 2 + 3, ist vorgesehen, dass Grundstückseigentümer über eine Rechtsverordnung oder einen Bebauungsplan verpflichtet werden können, Niederschlagswasser zu versickern, zu reinigen, zurückzuhalten oder auch abzuleiten. Die Aufgabe der Regenrückhaltung übernimmt nun das solide Betondach über der neu errichteten Werkstatt und Aufsetzhalle, das über ein Retentionsdach mit Gründachaufbau verfügt.
Tiefbaumaßnahmen reichen nicht aus
„Maßgabe war, am Standort so wenig Wasser wie möglich einzuleiten“, erläutert Projektleiter Jan Ochmann vom Planungsbüro Plan.ing aus Dessau-Roßlau. „Mit den Retentionsanlagen im Tiefbau, die wir auf Freiflächen im Norden und Süden des Grundstücks eingeplant hatten, konnten wir die Vorgaben der Stadt Berlin allein nicht erfüllen. Wir planten also zweigleisig. Mit einem zusätzlichen Rückhaltevolumen auf dem Dach im Bereich der Aufsetzhalle kamen wir entwässerungstechnisch in den grünen Bereich“. Das Gesamtkonzept, das die komplette Liegenschaft betrachtet, wurde daraufhin von der Verwaltung gebilligt. „Praktisch war, dass wir im Bereich der Aufsetzhalle Massivdecken hatten, die genügend Statikreserven für einen Retentionsaufbau aufweisen. Da Retention in Kombination mit einer Freispiegelentwässerung arbeitet, brauchten wir allerdings ein gewisses Gefälle bei der Leitungsführung. Das war im Bereich der Aufsetzhalle mit Deckenkran und geringer lichter Installationshöhe nicht ganz ohne Tücke, aber letztendlich realisierbar“, führt Ochmann weiter aus.
Zeitlich verzögerte Entwässerung
Weitläufige Gründachflächen, eingefasst von Randbereichen mit Kiesschüttung oder Terrassenbelag, bilden jetzt die Basis für ein 0°-Retentionsdach. Die Hauptentwässerung läuft hier über 27 „SitaStandard“ Gullys DN 70 mit Aufstockelement 60-160 mm zur Überbrückung der 120 mm hohen Wärmedämmung. Schaffen sie normalerweise ca. 10 l pro Gully und Sekunde vom Dach, so sorgt das „SitaRetention Fix“ Bauteil dafür, dass nur noch 0,25 l/sek je Dachablauf in die Kanalisation eingeleitet werden.
Thomas Dreisilker, Anwendungstechniker der Sita: „Ein Retentionsdach mit extensiver Begrünung erfordert sorgfältige Planung. Unsere Berechnung der Regen- und Notentwässerung liefert Ergebnisse zur reduzierten Ablaufleistung der Sita Dachabläufe mit ,SitaRetention Fix‘ zum standortbezogenen Regenrückhaltevolumen. Durch die Kombination von Berechnungsnorm, Berechnungsservice und geprüften Produkten ergibt sich ein neuartiger Ansatz, das Thema Retention ganzheitlich anzugehen und systematisch in der Praxis zu realisieren.“
Für die geregelte Regenrückhaltung wurde jeder Gully mit einem „SitaRetention Fix“ Bauteil ausgerüstet, das aus einem individuell auf die Anstauhöhe kürzbaren Zylinder aus HDPE (High-Density Polyethylen) und einer Grundplatte mit runden Ablauföffnungen besteht. Dank umlaufender 3-lippigen Dichtung lässt es sich schnell und sicher in den Gullytopf einsetzen. Je nach gewünschtem Drosselungseffekt verfügt die Grundplatte über mehr oder weniger 10-mm-Bohrungen, hier über eine oder zwei pro Dachablauf. Ein Rechenexempel verdeutlicht die erstaunliche Wirkung: Für die Aufsetzhalle fallen bei einem normalen Bemessungsregen etwa 190 l/s an. Bei der Ableitung durch das Retentionsbauteil wird der Wasserabfluss auf 0,25 l/s reduziert. Die Differenz verbleibt erst einmal in den Retentionsboxen und dem Dachaufbau. Dies bewirkt, dass die städtische Kanalisation wirksam entlastet wird und schützt so auch vor überfluteten Straßen. Bei einem Berliner Bemessungsregen mit etwa 342 l/s ha hält die Konstruktion auf dem 4.980 m2-Flachdach rund 99 % des Bemessungsregens zurück, um sie zeitverzögert in die Kanalisation einzuspeisen. Ein Teil des Wassers wird für die Wasserversorgung der Dachbegrünung genutzt. Ein nicht zu unterschätzender Anteil verdunstet, was dem Stadtklima zugutekommt und im Sommer für Kühlungseffekte sorgt.
Im Notfall hilft die Druckentwässerung
Bei Starkregen besteht Handlungsbedarf, um die Statik des Daches vor zusätzlicher Belastung zu schützen. „Lässt die Dachgeometrie eine freie Notentwässerung über die Fassade nicht zu, muss zur Sicherstellung der Notentwässerungsfunktion ein zusätzliches Leitungssystem mit freiem Auslauf auf das Grundstück diese Aufgabe übernehmen“, erläutert Sita Anwendungstechniker Dipl. Ing. Rolf Prang. Steigt der Wasserspiegel auf dem Retentionsdach über die planmäßig vorgesehene Anstauhöhe, läuft die verrohrte Notentwässerung an. Der Jahrhundertregen (ein fünfminütiges Starkregenereignis, das einmal alle 100 Jahre zu erwarten ist) im Norden Berlins liegt bei 626 l/s ha. Immer häufiger auftretende Starkregenereignisse mahnen dabei zur Vorsicht. Beschleunigt wird die Notentwässerung durch den Einsatz eines Druckströmungssystems, das mit Unterdruck mehr Regen in kürzerer Zeit vom Dach schafft. Im Bereich der Aufsetzhalle entwässern 27 „SitaDSS Profi“ 312 l/sek über insgesamt 480 m PE-HD-Rohre auf schadlos überflutbare Freiflächen.
Dehnungsbögen kompensieren thermische Ausdehnung
Auch die angrenzende Montagehalle, die über einen wärmegedämmten Trapezblechdachaufbau nach DIN 18234 verfügt, wird per Druckströmung entwässert. Für die mit 10.400 m2 riesige Hallenkonstruktion war dies die ideale Lösung – nicht nur, weil sie sehr leistungsfähig ist, sondern auch weil sie mit wenigen störenden Fallrohren im Hallenraum auskommt. Einzelne Rohrstränge laufen in lichter Höhe über bis zu 132 m Länge, sicher fixiert mit dem „SitaDSS Befestigungssystem“, das auch die systembedingten Eigenbewegungen der druckbeaufschlagten Konstruktion zuverlässig auf- und abfängt. Zusätzliche Sicherheit brachte die Integration von Dehnungsbögen innerhalb der Rohrleitungsstrecken – zur Kompensation thermisch bedingter Ausdehnung des Gebäudes und des Leitungsnetzes. Sobald der Wasserspiegel auf dem Flachdach die Anstauhöhe von 35 mm überschreitet, springt die Notentwässerung an, die das weitläufige Flachdach zusätzlich um 295 l Wasser pro Sekunde entlastet.
Brandschutz inklusive
Ein derart weitläufiger Komplex erforderte ein probates Brandschutzkonzept. „Bei baulichen Anlagen und Räumen besonderer Art und Nutzung“ schreibt die DIN 18234, Teil 3 und 4, den Schutz vor Brandweiterleitung von unten nach oben vor. So wird vermieden, dass eventuelle Feuer Entwässerungs- und Lüftungsbauteile durchdringen und sich weiter ausbreiten können, z. B. auch auf benachbarte Dachflächen. In der Montagehalle kamen daher „SitaDSS Fireguard“ Dachabläufe zum Einsatz. „Diese Brandschutzgullys, die über ein Verstärkungsblech und eine vormontierte Brandschutzmanschette verfügen, erfüllen die Brandschutzvorschriften auch beim Einbau von brennbaren PE-Rohren. Bei Hitze- und Feuereinwirkung von unten dehnt sich die Manschette blitzschnell aus, um den Anschlussstutzen abzudrücken. Die Durchdringung im Dach wird verschlossen und ein Brandüberschlag auf das Dach verhindert“, erklärt Sita Experte Prang. Im Einsatz sind hier 41 „SitaDSS Fireguard“ für die Hauptentwässerung und 26 „SitaDSS Fireguard“, aufgestockt mit „SitaMore“ Anstauelement für die Notentwässerung. Oft paarweise angeordnet in den Tiefpunkten des Daches wirken sie gegen Wasser- und Feuerbedrohungen. „Abgesehen von ihrer Brandschutzfunktion zeichnen sich die Brandschutz-Gullys auch durch einfache Montierbarkeit aus. Der Einbau kann ohne Zusatzaufwand, z. B. den Einsatz von Hubsteigern, die bei aufwändige Brandschutz-Ummantelungen erforderlich sind, direkt vom Dach aus erfolgen. Und die höhenreduzierte Bauform des Brandschutzgullys passt sich ideal in die waagerecht, bzw. parallel zur Hallendecke verlegte Druckströmungskonstruktion ein“, schließt Prang ab.
Fazit
Abgesehen davon, dass immer mehr Städte umweltfreundliche Lösungen beim Umgang mit Regenwasser vorschreiben, ist auch die Selbstverpflichtung verantwortungsbewusster Bauherren gefragt. Stadler geht hier mit gutem Beispiel voran. Retention und wirtschaftlich orientierte Entwässerung schützen Umwelt, Menschen und Gebäude.
Sozialraumflächen in Berlin
D-13158 Berlin
D-06844 Dessau-Roßlau
D-07806 Neustadt an der Orla
SitaStandard
SitaDSS Fireguard
SitaMore Anstauelemente
SitaDSS Rohrsystem