365 Tage öffentlich-rechtliches Klima
Kältetechnik beim SWR in Baden-BadenIn tab 01/2016 erschien ein Beitrag über den Umbau der Heizzentrale beim Südwest-rundfunk (SWR) am Standort Baden-Baden. Die Gebäudetechnik beim SWR hat aber noch mehr außergewöhnliche Aspekte zu bieten: Im letzten Jahr ging dort auch eine neue Kälteanlage in Betrieb, deren Planung mit sehr viel Weitsicht erfolgte. Denn das Ergebnis kommt bei Betriebskosteneinsparungen von 40 % auch dem Zahler des Rundfunkbeitrags zugute.
24 Stunden „on air“
Es stimmt nicht ganz. Denn „on air“ bedeutet im Rundfunk, dass gerade live gesendet wird. Dennoch trifft sinngemäß der 24-Stunden-Betrieb für die Gebäudetechnik zu, damit der Sender tatsächlich immer sendebereit ist. Und da in den Studios sowie den angrenzenden Räumen die inneren Wärmelasten, bestehend aus Rechnern, Elektronik, Sendeeinrichtungen und nicht zuletzt den Menschen, fast das gesamte Jahr höher als die Wärmeverluste sind, muss permanent klimatisiert werden. Aus diesem Grund laufen Kälteanlagen, die die Lüftungszentralen versorgen, im Dauerbetrieb. Allerdings ist die benötigte Kälteleistung stark schwankend, abhängig von der Jahreszeit, ob Tag oder Nacht und natürlich vom Standort. Baden-Baden liegt in der Rheinebene zwischen Schwarzwald und Vogesen, womit das traditionsreiche Städtchen zu den warmen Regionen Deutschlands zählt. Allerdings sind die Nächte auch im Sommer meist mild. Bedingungen, die dem beim SWR eingesetzten „Ansor“-Konzept in die Karten spielen.
Wie wirtschaftlich wird’s werden?
Zu der Liegenschaft Baden-Baden des SWR gehört auch die „Obere Funkhöhe“. Dort befinden sich u.a. das Haus des Hörfunks, das Günter-Eich-Haus und das Friedrich-Bischoff-Studio. Bildlich gesprochen ist dort auch der SWR3-Elch zu Hause, das Maskottchen des gleichnamigen Senders.
„Im Zuge von Sanierungsarbeiten und der Erweiterung beim Haus des Hörfunks mussten wir 2014 eine neue Kälteanlage planen“, erinnert sich Stefan Schwenk. Er arbeitet im Team von Christian Maug, der die Fachgruppe Klimatechnik/Leitwarte innerhalb der Gebäudemanagementabteilung des SWR leitet. „Die Kälteleistung der bisherigen Anlage reichte nicht mehr aus. Außerdem ließ der Energieverbrauch die Vermutung zu, dass mit einem modernen System nennenswerte Einsparungen zu erwarten sind.“
Nun braucht es bei einem öffentlich-rechtlichen Investor dann doch etwas mehr als die Erwartung des Fachmanns. Aus diesem Grund folgte Schwenk routinemäßig dem vorgeschriebenen Prozedere, das die Ausarbeitung einer umfassenden „Wirtschaftlichkeitsbetrachtung zur Erneuerung der Kälteerzeugung“ einfordert. Das Ergebnis (siehe Grafik oben (Bild 1)): Im Vergleich zur bisherigen Kälteerzeugung sind pro Jahr Einsparungen beim Stromverbrauch von 498.000 kWh oder – anders ausgedrückt – von 41 % zu erwarten. Gleichbedeutend damit ergeben sich CO2-Einsparungen von 339 t und umgerechnet auf die Betriebskosten bedeutet das schlussendlich bis zu 290.000 € weniger fixe Ausgaben im Jahr. Zahlen, die beeindrucken – aber wie ist das möglich?
Wer investiert, der spart
Der wohl wichtigste Grund wird erst auf den zweiten Blick ersichtlich. Der Südwestrundfunk Baden-Baden hat eine eigene Planungsabteilung für seine Gebäude und ist gleichzeitig auch deren Betreiber. Da folglich für Planungsleistungen keine Vergabe erfolgt, gibt es auch keinen Bieterkampf oder Einsparungen am falschen Ende. Christian Maug erklärt dazu: „Auch wenn sich das auf den ersten Blick komfortabel für uns anhört, muss dennoch bei der öffentlichen Hand jeder ausgegebene Cent genau begründet werden. Bei einer schlüssigen Darlegung, dass ein höherer Anlageninvest am Ende zu Einsparungen beim Betrieb führt, erhalten wir aber die notwendige Handlungsfreiheit. So war es auch bei der Kälteanlage auf der „Oberen Funkhöhe“. Wir konnten begründen, dass sich die Investition in eine technologisch hochwertige Kälteanlage nach sechs Jahren amortisieren wird. Und da wir bei der Gebäudetechnik unserer Liegenschaften als Betreiber von 20 Betriebsjahren ausgehen können, stand unserem Vorschlag schlussendlich nichts im Wege.“
Ein weiterer Sachverhalt sprach für das Konzept. Die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) wacht im Sinne der Gebührenzahler über alle Ausgaben und gibt Empfehlungen an die Ministerpräsidenten der Länder. Seitens dieses Kontrollorgans wurden in den letzten Jahren Sparprogramme angeregt, die auch das Gebäudemanagement betreffen. Die Kommission hat bei der Ermittlung des Finanzbedarfs die Aufgabe, unter Beachtung der Programmautonomie der Rundfunkanstalten deren Anmeldungen fachlich zu überprüfen und den Finanzbedarf festzustellen. Die Überprüfung bezieht sich darauf, ob sich die Programmentscheidungen im Rahmen des rechtlich umgrenzten Rundfunkauftrages (siehe 10. Bericht, Tzn. 39 ff.) halten und ob der aus ihnen abgeleitete Finanzbedarf im Einklang mit den Grundsätzen von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit ermittelt worden ist.“ Weitere Informationen finden sich unter www.kef-online.de.
Alter Bestand und eine Zeitbombe
Woher rühren die Einsparungen denn aber jetzt genau? Die Auflösung folgt nach einem Blick auf den alten Bestand. Im Einsatz waren drei R22-Kältemaschinen mit zwei Kühltürmen und einem Verflüssiger. Eine Kühlwasserpumpe für die dritte Maschine gab es nicht, da diese an einem Direktverflüssiger betrieben wurde. Mindestens eine Kälteanlage war das ganze Jahr in Betrieb, um die inneren Kühllasten zu decken (Bild 2). In Abhängigkeit der äußeren Lasten schalteten die anderen beiden im On-/Off-Betrieb zu oder ab. Eine Leistungsregelung gab es nicht, weder für die Kältetechnik noch für die Pumpen im Kühl- bzw. Kaltwassernetz.
Zu einer „tickenden Zeitbombe“ wäre das eingefüllte Kältemittel geworden. Denn seit dem 1. Januar 2015 ist die Verwendung von R22 bei bestehenden Anlagen für Wartung, Reparaturen und Service endgültig Geschichte. Das schreibt die Chemikalien-Klimaschutzverordnung vor. (Ergänzend zu den EU-Regelungen gilt in Deutschland seit 2008 die Chemikalien-Klimaschutzverordnung (ChemKlimaschutzV)). Durch die neue Verordnung (EU) Nr. 517/2014 ist eine Anpassung der nationalen Verordnung erforderlich. In der Übergangszeit gelten noch die aktuellen Anforderungen, sofern ihnen nicht neue, höherrangige Anforderungen der EU entgegenstehen. Laut Angaben des Umweltbundesamtes wird die ChemKlimaschutzV voraussichtlich bis zum 1. Januar 2017 an die neue Verordnung (EU) Nr. 517/2014, umgangssprachlich als F-Gase-Verordnung bezeichnet, angepasst). Wäre es an einer Kältemaschine also zu einer Störung aufgrund von Kältemittelverlusten gekommen, hätte diese sofort stillgelegt werden müssen. Im Hochsommer ein echtes Horrorszenario.
Das „Ansor“-Konzept
„Während der Ausschreibungsphase erinnerte ich mich an ein System der Firma Combitherm“, beschreibt Stefan Schwenk rückblickend den Auswahlprozess. Der Hersteller aus dem schwäbischen Fellbach (www.combitherm.de) baut industrielle Kältemaschinen zur Gebäudekühlung mit drehzahlgeregelter Schraubentechnologie, freier Kühlung, Online-Überwachung und intelligenter Regelungstechnik – genannt „Ansor“. „Beim ersten Planungsgespräch mit dem Geschäftsführer Steffen Klein wurde schnell deutlich, dass das Konzept unsere Bedürfnisse erfüllt. Mehr noch: Man zeigte sich sehr flexibel, was beispielsweise die Wahl der Hydraulikpumpen oder die Anpassung des Regelungskonzeptes an unsere Leitwarte anbelangt. Das hat uns überzeugt.“ Bei der Ausarbeitung der Wirtschaftlichkeitsbetrachtung wurde letztendlich der Einbau von zwei glykolgekühlten „Ansor“-Kältemaschinen Typ „KWG 2/26I“ (Kälteleistung 2 x 700 kW) vorgesehen. Die Geräte sind so ausgelegt, dass selbst bei Ausfall einer Maschine noch 80 % der maximalen Bedarfskälte abgedeckt sind. Von besonderem Nutzen ist die freie Kühlfunktion bis 13 °C Außentemperatur. Dann arbeitet nämlich keine Kältemaschine, sondern das Kühlwasser wird direkt über die vier luftgekühlten Trockenkühler temperiert (Bild 3), die dann als Freikühler arbeiten. Damit verringern sich Betriebsstunden und Stromkosten der Kompressionskältemaschine, denn es fällt lediglich der Stromverbrauch der Kühlwasserpumpe an. Erfasst wird übrigens jedes gewonnene kW der freien Kühlung mit einem Wärmemengenzähler, um den Nachweis führen zu können. Hier wurde, wie bei den Kältemaschinen, ebenfalls nicht am falschen Ende gespart. So hat jeder der vier Verflüssiger beziehungsweise Rückkühler eine Kälteleistung von 470 kW und vor allem große V-förmig angeordnete Flächen. Nur deshalb ist der Freikühlbetrieb bis 13 °C möglich. Mit einem Schalldruckpegel von nur 42 dB(A) aus 10 m Abstand wird außerdem den hohen Schallschutzanforderungen am Standort entsprochen.
Und was ist mit der „tickenden Zeitbombe“? Als Kältemittel kommt heute R134a zum Einsatz. Damit wurde automatisch das Treibhauspotential von ehemals 1810 (GWP) für R22 auf einen neuen Wert von 1430 verringert. R134a trägt auf diese Weise aber nicht nur zur Absenkung des CO2-Äquivalents bei. Es besitzt im Gegensatz zu R22 außerdem kein Ozonabbaupotential, schädigt also die Ozonschicht nicht. Somit leistet das neue Kältesystem auch einen Beitrag zum Umweltschutz.
Es dreht sich um die Drehzahl
Wenn Kälteleistung benötigt wird, geschieht das bei einer Klimatisierung nicht schlagartig. Der für die Auslegung maßgebliche Volllastfall tritt gar nur bei rund 3 % der Jahreslaufzeit ein. Teillastbetrieb ist also die Regel. Am effizientesten ist dann die Variation der Verdichterdrehzahl mittels Frequenzumrichter. In jeder der beiden Zweikreisverbundanlagen befinden sich dafür zwei Kompaktschraubenverdichter des Typs „CSVH26-200Y“ von Bitzer (www.bitzer.de). Jede davon ist stufenlos regelbar im Leistungsbereich zwischen 16 und 100 %. Im Zweikreisverbund jedes „Ansor“-Aggregats kann sogar bis auf nur 5 % der maximalen Gesamtkälteleistung von 2 x 700 kW heruntergeregelt werden. Jede Woche wechselt dieser Betriebsfall, so wird es über die Gebäudeleittechnik geregelt. Erst wenn die benötigte Kälteleistung 700 kW übersteigt, arbeiten die Schraubenverdichter in beiden Anlagen. „Der SWR gibt die Schaltung der Anlagen vor. Wir sorgen dafür, dass die Verdichter innerhalb jeder Anlage im Wechsel arbeiten, so dass die jährlichen Betriebsstunden der Schraubenverdichter möglichst gleich bleiben“, erklärt Steffen Klein.
Apropos Drehzahlregelung: Neben den Verdichtern passen jetzt auch die neuen Kühl- und Kaltwasserpumpen ihre Leistung dem angeforderten Bedarf an. Beim Blick in die Tabelle (Bild 1) wird jetzt klar, wo die größten Einsparungen beim Strom im Vergleich zum alten System herrühren. Und auch die Rückkühlerventilatoren sind mit EC-Technologie (EC steht für „electronical commutation“, englische Abkürzung für „elektronisch kommutiert“) regelbar. Sowohl im Verflüssigerbetrieb als auch für die freie Kühlung ist eine sparsame und leise Anwendung möglich.
Gutes Klima für den Elch
Die neuen Kälteanlagen mit drehzahlgeregelten Schraubenverdichtern stellen also die Klimatisierung der „Oberen Funkhöhe“ 365 Tage im Jahr sicher. Das Kaltwasser wird dafür über ein großes Hydrauliknetz an Haupt- und Kälteverteiler verteilt und zu den fünf Lüftungszentralen mit einem gesamten Luftfördervolumen von 160.000 m³/h geleitet. Die Zuluft für die Sendezentralen kann damit immer bedarfsgerecht gekühlt werden. Und zwar zu jeder Zeit des Jahres.
Combitherm-Typ: 2 x Ansor KWG 2/26I R134a
Verdichter: 4 x Bitzer CSVH26-200Y
Kälteleistung: 2 x 700 kW
Kältemittel: 4 x 90 kg R134a
Kaltwasser: 14/8 °C
Kühlwasser: 43/48 °C
Kältekreise: 2 x 2 Stück
Leistungsregelung: jeweils 10 bis 100 % stufenlos
Rückkühlerleistung: 4 x 470 kW