Angebot aufgrund eines
unrichtigen Leistungsverzeichnisses
Bei der Auslegung und Prüfung der Frage, ob eine mangelhafte Ausschreibung vorliegt, ist in erster Linie der Wortlaut, sodann die besonderen Umstände des Einzelfalles, die Verkehrssitte und die Grundsätze von Treu und Glauben herabzuziehen. Zur Auslegung des Textes dürfen aber nur solche Umstände herangezogen werden, die für den Empfänger erkennbar waren oder erkennbar sein mussten. Maßgeblich ist auch nicht die Sicht eines von mehreren angesprochenen Bieters. Für die Auslegung ist der objektive Empfängerhorizont entscheidend, also die Sicht der Bieter, wobei nicht auf den einzelnen Bieter, sondern auf den angesprochenen Empfängerkreis abzustellen ist. Entscheidend ist deshalb nicht das subjektive Erklärungsverständnis des einzelnen Bieters, sondern das Verständnis, mit dem durchschnittliche Bieter die Erklärung verstehen dürfen. Keineswegs darf ein Bieter der Erklärung einfach den für ihn günstigsten Sinn geben.
Liegt aber eine mangelhafte Ausschreibung vor, dann obliegt es dem Bieter vor der Abgabe seines Angebots eine Klärung durch Rückfrage bei der ausschreibenden Stelle herbeizuführen. Der Auftragnehmer darf ein erkennbar lückenhaftes Leistungsverzeichnis nicht einfach hinnehmen, sondern muss sich daraus ergebende Zweifelsfragen klären. Ähnlich ist es, wenn sich für ihn aus dem Leistungsverzeichnis und den ihm überlassenen Unterlagen die Bauausführung in bestimmter Weise nicht mit hinreichender Klarheit ergibt, er darauf aber bei der Kalkulation maßgebend abstellen will.
Diese Auffassung hat das Thüringische Oberlandesgericht im Urteil vom 23. Oktober 2008 – 1 U 25/08 – vertreten, das durch den Beschluss des Bundesgerichtshofes vom 23. Juli 2009 – VII ZR 231/08 – bestätigt wurde.
Dr. Franz Otto