Dualismus der Kältemittel: Was wir von Ghana lernen können
Ist Ihnen auch schon aufgefallen, dass Kältemittel je nach ihrer Anwendung umweltpolitisch schädlich oder umweltschonend sein können?
Ersetzen wir einen Ölkessel durch eine moderne Wärmepumpe, erfreuen wir uns an den nicht eingesetzten fossilen Brennstoffen und setzen voraus, dass die Energie zum Betrieb der Wärmepumpe aus PV-Anlagen, Wind- oder Wasserkraft erzeugt wird. Teilweise reden wir hier von „Renewable Energy“, was aber zumindest bei einigen Stromerzeugungsstätten nicht der Wahrheit entspricht. Nutzen wir denselben Kreisprozess jedoch zum Kühlen, wird die fehlende Reduktion des CO2-Äquivalentes der eingesetzten Kältemittel angeprangert.
Auf der Seite des Umweltbundesamtes (UBA) sind Aussagen wie „Eine Studie im Auftrag des UBA zeigt, dass die Kälte- und Klimabranche in Deutschland die Vorgaben nicht ausreichend umsetzt“ zu finden, mit denen eine ganze Branche angeprangert wird [1].
Die Studie nimmt ein Wachstum der Absatzzahlen von Wärmepumpen im Zeitraum von 2015 bis 2030 von 130 % an [2]. In der Realität liegt allein im Jahr 2020 das Marktwachstum bei 40 %, u.a. getrieben durch staatliche Förderprogramme. In den Jahren 2015 bis 2020 ergab sich eine Absatzsteigerung der Wärmepumpen von 100 % (2015: 70.000 Stück / 2020: 140.000 Stück). Laut Abbildung 14 der oben genannten Ausarbeitung lag das CO2-Äquivalent dennoch auf einem gleichbleibenden Niveau, obwohl nach Branchenanalyse immer noch ein Hauptanteil der Wärmepumpen mit R410A ausgeliefert wurde. Auch hier gibt es wieder die Unterscheidung: Bei Wärmepumpen wird auf „natürliche Kältemittel“ hingewiesen (R290/R744), bei Klimageräten nicht!
Speziell der immer noch hohe R410A-Anteil bei Wärmepumpen stellt uns vor die Frage, weshalb das so ist. Finden die Entwicklungsabteilungen nicht genügend Mitarbeiter und können somit nicht schnell genug neue Produkte entwickeln? Die Zulieferer der Komponenten leiden ebenfalls unter dem Fachkräftemangel und somit zieht sich der Sprung auf eine neue Technologie in die Länge.
Als ich vor einigen Jahren für einen führenden deutschen Wärmepumpenhersteller tätig war, hatten wir in unserem Geschäftsbereich zwei chinesische Studentinnen als Praktikantinnen. Auf die Frage, weshalb sie sich für ein Studium der Technischen Gebäudeausrüstung entschieden haben, bekam ich die für einen demokratisch erzogenen Europäer verblüffende Antwort: „Weil China erkannt hat, dass Energie eingespart werden muss, und wir deshalb mehr Ingenieure in der Gebäudetechnik benötigen.“
Sollten wir einmal darüber nachdenken, die Anzahl der Studienplätze an die klimatechnischen Herausforderungen der Zukunft anzupassen, anstatt den Anwendern immer neue gesetzliche Regulierungen vorzuschreiben?
In die vorgenannten Betrachtungen sollte somit auch einfließen, welche weiteren Randbedingungen den Markt beeinflussen – neben den gesetzlich normativen Vorgaben. Teilweise sind Bauteile der Anlagen noch nicht im kompletten Leistungsspektrum verfügbar. Was nicht an den Herstellern der Komponenten liegt, sondern an den unklaren Zukunftsaussichten und den zum Teil kleinteiligen Regelungen auf Landesebene. Auch schränken regulatorische Unsicherheiten bzw. Unklarheiten beim Einsatz von Low-GWP oder natürlichen Kältemitteln die Bereitschaft weiter ein, diese im Markt einzusetzen.
Auch sei in diesem Zusammenhang auf den TEWI-Wert (Total Equivalent Warming Impact) hingewiesen. Neben dem direkten Einfluss auf den Treibhauseffekt ist ebenfalls der Einfluss der Energieerzeugung entscheidend. So nützt es wenig, wenn wir das Treibhaus-Potential des Kältemittels reduzieren und schlimmstenfalls den höheren Energiedarf durch Stromerzeugung mittels Braunkohlekraftwerke decken.
Auch wenn es dem derzeitigen politischen und gesellschaftlichen Zeitgeist nicht entspricht: Je tiefer wir in die Thematik einsteigen, desto schwieriger wird eine vollumfängliche Bewertung aktueller Low-GWP-Kältemittel und der dazugehörigen Energieerzeugung zum Antrieb dieser. Auch die Thematik der Abbauprodukte der „künstlichen“ Kältemittel, wie beispielsweise Trifluoressigsäure, darf nicht vernachlässigt werden.
Der Einsatz von natürlichen Kältemitteln muss also in Betracht gezogen bzw. forciert werden, auch wenn diese brennbar und/oder schlimmstenfalls toxisch sind. Die regulatorischen Anforderungen an die Technikräume und die Aggregate sind derzeit nicht förderlich für den Einsatz in Bestandsgebäuden. Mit der nötigen Fachkenntnis ausgelegt und von ausgebildeten Facharbeitern eingebaut, stellen diese keine unüberwindbare Gefahrenquelle dar.
Einem in all den Annahmen und Abschätzungen noch nicht berücksichtigten Trend konnte bisher noch nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt werden. Dank der Pandemie und dem Wandel zu mehr Homeoffice wird uns noch ein weiterer Stolperstein in den Weg gelegt: Der neu geschaffene Work@Home-Arbeitsplatz im ausgebauten Dachboden, der im Sommer deutlich überhitzt, verlangt nach einer Kühlung.
Solange Baumärkte noch Klimageräte mit R410A anbieten und lediglich darauf hinweisen, dass die Installation durch Fachfirmen zu erfolgen hat, wird der deutsche Do-it-yourself-Baumarktkunde die durchschnittliche Leckage-Rate der Anlagen in neue Dimensionen bringen. Bei Betrachtung der zu erwartenden Kühlgeräte auf dem Weltmarkt bekommt das Szenario noch andere Dimensionen.
Dass es Alternativen am Weltmarkt gibt, zeigt sich an einem Land wie Ghana. Von dort wird u.a. berichtet, dass „knapp 400 chinesische R290-Split-Klimaanlagen in den Markt eingeführt und in verschiedensten Anwendungsbereichen verwendet“ werden [3]. Weiter heißt es: „Das westafrikanische Land hat sich zum Ziel gemacht, den Markt für Split-Klimaanlagen bis 2030 soweit möglich auf Propan umzustellen. So sollen bis zum Jahr 2030 rund 7,86 Megatonnen CO2-eq eingespart werden. Gefördert durch das Bundesumweltministerium, unterstützt die GIZ die ghanaische Umweltbehörde bei diesem ehrgeizigen Ziel […].“ Diese Umsetzung mit R290-Aggregaten (Propan) liegt ggf. auch an den nicht vorhandenen oder zukunftsorientierten sicherheitsrelevanten Regularien der ghanaischen Behörden.
Wie so oft im Leben gibt es nicht die eine Antwort auf die Frage, welches Kältemittel sinnvoll eingesetzt werden sollte. Es liegt nicht nur am Einsatzbereich, den zu erfüllenden Auflagen und der Energiequelle, die die Anlagen versorgt, sondern auch an der fachgerechten Ausführung.
Wie komplex sich das System darstellt, zeigt auch, dass der zu Beginn des Kommentars erwähnte Bericht des UBA im September 2020 veröffentlicht wurde und auf Realdaten des Jahres 2017 zurückgreift, während die Jahre 2018 bis 2030 nur modelliert wurden.
Erlaubt sei auch noch eine Nebenrechnung: Der durchschnittliche CO2-Ausstoß eines PKW eines der größten deutschen KFZ-Herstellers lag im Jahr 2019 bei 121,2 g/km. Bei einer durchschnittlichen Fahrleistung eines Pkw in Deutschland pro Jahr von 13.602 km [4] ergibt das 1.648 kg/a CO2. Wird dieser Wert mit den 2.653.000 Neuzulassungen von PKW im Jahr 2019 multipliziert [4], ergibt das eine Emission der neu in den Verkehr gebrachten PKW von 4.372.144.000 t CO2. Das ist in etwa das 300-fache des CO2-Äquivalents des im Jahr 2016 in den Verkehr gebrachten Kältemittels (14.650.000 t CO2). Gehen wir von den vorgeschriebenen technisch dichten Kältekreisläufen aus, fällt die Menge an Treibhausgas nur einmal an. Der PKW stößt diese Menge an CO2 pro Jahr aus.
Dipl.-Ing. (FH) Bernd Bürner,
Geschäftsführer, Industrieverband Technische Gebäudeausrüstung Bayern, Sachsen und Thüringen e.V.
Quellen
[2] Seite 56 „Implementierung des EU-HFKW-Phase-down in Deutschland“ des UBA
[3] Munzinger, Philipp u. Schnabel, Julia: „Propan-Split-Klimaanlagen. Was steht einer Markteinführung in Deutschland im Weg?“, in: KKA Kälte Klima Aktuell 5 (2020), S. 82-85.).
[4] KBA