Im Gespräch mit Holger Suschowk
tab: Bis 2030 sollen im Gebäudesektor 45 Mio. t CO2 eingespart werden. Welche Maßnahmen sollten als erstes angegangen werden, um diesem Ziel nahekommen zu können?
Holger Suschowk: Die beiden Eckpfeiler einer erfolgreichen Energiewende in Gebäuden sind ein reduzierter Energieverbrauch auf der einen Seite sowie eine nahezu CO2-neutrale Energieerzeugung. Die Voraussetzung dafür können wir nur durch Digitalisierung schaffen. Mit ihr kann die Effizienz gesteigert, der Energieverbrauch verringert und die regenerative Energieerzeugung sektorübergreifend vernetzt werden. Durch die Vermeidung von CO2-Emissionen in Gebäuden bedienen wir einen maßgeblichen Hebel im Kampf gegen den Klimawandel.
tab: Eines der Hauptziele der Energiewende ist ein nahezu klimaneutraler Gebäudebestand bis 2050. Dazu müssen Gebäude individuell betrachtet werden. Womit lässt sich ein schneller Fortschritt erzählen?
Holger Suschowk: Wir sind beispielsweise Partner im Rahmen des Forschungsprojekts „BaltBest“, bei dem der Einfluss der Betriebsführung auf die Effizienz von Heizungsanlagen untersucht wurde. Die Ergebnisse daraus zeigen, dass ein Großteil der Heizungsanlagen im Bestand noch immer überdimensioniert ist. Auch sehen wir, dass vernetzte Verbrauchserfassungs- und -steuerungsgeräte und Sensoren für wichtige Prozessgrößen sowie künstliche Intelligenz (KI) es uns ermöglichen, bei Wärmeerzeugungs- und Heizungsanlagen im Wohngebäudebestand, egal welchen Alters, Herstellers und Typs, heute schon Endenergieeinsparungen von im Schnitt 10 bis 15 %, perspektivisch und mit Blick auf regenerative Energieerzeugungsanlagen sogar von merklich über 20 % zu erlangen.
tab: Sie haben gemeinsam mit dem Handelsblatt Research Institute das Factbook „Energiewende in Gebäuden – Bedeutung der Digitalisierung“ herausgegeben. Welche wichtigen Punkte werden darin aufgeführt?
Holger Suschowk: Wir haben im Factbook wissenschaftliche Erkenntnisse und wichtige Fakten zur Digitalisierung der Energiewende im Gebäudesektor zusammengetragen, um diesen Status quo fundiert und verständlich aufzuzeigen. Neben interessanten Zahlen, Daten und Fakten zu den Themen Energie, Wohnen und Digitalisierung zeigen wir auf, welche technischen und ökonomischen Potentiale es gibt, um Wärme in privaten Gebäuden effizienter zu nutzen – von „Smart Building“ über Dekarbonisierung bis zur Sektorenkopplung. Die Basis des Factbooks bildet eine umfassende Datenrecherche auf der Grundlage aller öffentlich verfügbaren Quellen sowie professioneller Datenbanken. Verständlich, dennoch fundiert.
tab: Inwieweit kann die Digitalisierung wirklich hilfreich sein?
Holger Suschowk: Nur durch Digitalisierung können wir die Voraussetzungen für einen klimaneutralen Gebäudebestand schaffen. Digitalisierung verbessert Wirtschaftlichkeit und Komfort in Immobilien – nicht nur in Zeiten einer Pandemie. Klimaneutrale und bezahlbare Wohnungen und Gewerbeflächen sind möglich, wenn Digitalisierung dazu führt, dass deren effizienter Betrieb zum einen hochautomatisiert organisiert ist. Des Weiteren muss aber auch das Bewusstsein der Nutzer hinsichtlich der energetischen Auswirkungen ihres Verhaltens geweckt werden. Auch sind die optimale Steuerung der Energieströme und die intelligente Abstimmung der regenerativen Energieerzeugung wichtige Faktoren der Energiewende. Denn nur mit einer deutlichen Reduzierung des Energieverbrauchs und der weitestgehend regenerativen Erzeugung des verbleibenden Energiebedarfs wird es möglich sein, die jährliche CO2-Bilanz einer Wohnung auf etwa 250 kg zu senken.
tab: Letztlich brauchen wir möglichst CO2-neutrale Gebäude. Was sollte bereits bei der Planung berücksichtigt werden?
Holger Suschowk: Noch immer dominieren bei Immobilien fossile Energieträger wie Gas und Öl. Um die Klimaziele zu erreichen, müssen wir aber hin zu effizienteren Technologien. Wir betreiben momentan mehr als 200 Blockheizkraftwerke bundesweit und haben mehr als 65 weitere BHKW in der Planung. Auch beschäftigen wir uns im Rahmen von Quartierskonzepten intensiv mit Technologien wie Wärmepumpen, Brennstoffzellen, Speichermedien sowie lokaler Erneuerbare-Energien-Erzeugung wie Solarthermie und Photovoltaik. Ob die Klimawende gelingt, wird sich allerdings nicht nur im Neubau, sondern vor allem auch im Gebäudebestand entscheiden. Im Sinne des Prinzips „Energy Efficiency First“ ermöglicht es die Digitalisierung hier, den Verbrauch von Wärme und Strom so weit wie möglich, ohne Komforteinschränkungen zu reduzieren. Darauf aufbauend erlaubt Digitalisierung, das vielschichtige Miteinander dezentraler, erneuerbarer Energiequellen auszubalancieren, Erzeugung und Verbrauch im Gleichgewicht zu halten und so eine weitgehend CO2-neutrale Versorgung zu sichern.
Info
Factbook
Das von Techem gemeinsam mit dem Handelsblatt Research Institute veröffentlichte Factbook „Energiewende in Gebäuden“ – Insights zur Bedeutung der Digitalisierung ist online unter https://bit.ly/3v8qpys kostenfrei einsehbar.