Kommentar

VOB/B 2016: EU-Recht nicht „eins zu eins“ umgesetzt

Im Windschatten der zum 18. April 2016 in Kraft getretenen Novellierung des EU-Vergaberechts wurde auch die VOB/B geändert. Während die Neuregelungen des Vergaberechts für EU-weite Vergabeverfahren weithin allgemeine Aufmerksamkeit und Beachtung fanden, wurden die Änderungen der VOB/B 2016 kaum beachtet. Wenn überhaupt, wurden sie als eher unwesentlich zur Kenntnis genommen. Dabei haben die Änderungen teilweise durchaus erhebliche Brisanz.

Außerordentliche Kündigungsmöglichkeiten

Konkret geht es um die Erweiterung der Möglichkeiten für öffentliche Auftraggeber, Bauverträge außerordentlich zu kündigen, die auf der Grundlage eines EU-weiten Vergabeverfahrens zustande gekommen sind. Nunmehr können öffentliche Auftraggeber nach der VOB/B 2016 solche Bauverträge u.a. auch kündigen, wenn der Auftragnehmer wegen eines zwingenden Ausschlussgrundes zum Zeitpunkt des Zuschlags nicht hätte beauftragt werden dürfen oder wenn sich der Vertrag wesentlich ändert. Die Kündigung ist innerhalb von zwölf Werktagen nach Bekanntwerden des Kündigungsgrundes auszusprechen. Bekanntwerden heißt, dass der Auftraggeber positive Kenntnis vom Kündigungsgrund hat; „Kennen müssen“ bzw. fahrlässige Unkenntnis sind unerheblich. Die Erweiterung der außerordentlichen Kündigungsmöglichkeiten des öffentlichen Auftraggebers erfolgte im Rahmen der Umsetzung der EU-Richtlinie über die öffentliche Auftragsvergabe von 2014.

Zwingende Ausschlussgründe

Ein zwingender Ausschlussgrund liegt zum einen bei rechtskräftiger Verurteilung maßgeblicher Vertreter des Auftragnehmers wegen bestimmter Straftaten vor, beispielsweise Bestechung. Zum anderen existiert ein solcher Grund, wenn der Auftragnehmer seiner Verpflichtung zum Zahlen von Steuern, Abgaben oder Sozialversicherungsbeiträgen nicht nachgekommen ist. Anders als die entsprechende Regelung im Vergaberechtsmodernisierungsgesetz lässt es der Wortlaut der Neuregelung der VOB/B 2016 darüber hinaus aber auch zu, dass nicht nur bei bieterbezogenen Ausschlussgründen das Kündigungsrecht des Auftraggebers besteht, sondern auch bei zwingenden Ausschlussgründen in Bezug auf das Angebot. Auch in diesem Fall hätte der Auftragnehmer nicht beauftragt werden dürfen. Nach der VOB/A ist ein Angebot u.a. bei Änderungen an den Vergabeunterlagen, Nichtangabe der geforderten Preise sowie fehlender oder verspäteter Vorlage von geforderten bzw. nachgeforderten Erklärungen oder Nachweisen auszuschließen.

Bislang gab es eine klare rechtliche Trennung zwischen der Vergabe eines öffentlichen Auftrags und der anschließenden Bauausführung. Mit Erteilung des Zuschlags endeten sowohl das Vergabeverfahren als auch die zwingenden Ausschlussgründe. Änderungen des Bieters und des späteren Auftragnehmers an den Vergabeunterlagen konnten dann vom Auftraggeber nicht mehr als Anlass für eine Kündigung des geschlossenen Bauvertrages genommen werden. Das ändert sich nun. Die Möglichkeiten für öffentliche Auftraggeber, sich von missliebigen oder unbequemen Auftragnehmern zu trennen, wurden erheblich erweitert. Gerade Änderungen an den Vergabeunterlagen kommen in der Praxis vor allem bei den Gewerken der technischen Gebäudeausrüstung häufig vor: Eine solche Änderung liegt beispielsweise bereits dann vor, wenn die technischen Daten und Parameter des vom Bieter angebotenen Produkts (Wärmetauscher, Kältemaschine, Klimaschrank etc.) nicht in allen Punkten den Vorgaben der Leistungsbeschreibung entsprechen.

Verschulden des Auftragnehmers nicht nötig

Kündigt der öffentliche Auftraggeber wegen der vorgenannten Fehler im Vergabeverfahren, so ist er berechtigt, die nicht ausgeführten Arbeiten auf Kosten des Auftragnehmers durch eine Drittfirma ausführen zu lassen. Darüber hinaus kann er weiteren Schadensersatz verlangen. Das Kündigungsrecht des Auftraggebers und die Ersatzvornahme durch eine Drittfirma setzen kein Verschulden des Auftragnehmers voraus. Auch der eigentliche Ausschlussgrund, etwa die Änderung an den Vergabeunterlagen, erfordert kein Verschulden des Auftragnehmers. Es besteht noch nicht einmal eine Rechtspflicht des Bieters, Änderungen an den Vergabe-unterlagen zu unterlassen, geforderte Preise vollständig anzugeben und geforderte Nachweise und Erklärungen vorzulegen. Die Regelung geht diesbezüglich weit über die europarechtlichen Vorgaben der EU-Richtlinie hinaus.

Die VOB/B 2016 regelt – anders als bei einer Kündigung wegen einer wesentlichen Vertragsänderung – nicht, ob der Auftragnehmer, dem vom öffentlichen Auftraggeber wegen eines zwingenden vergaberechtlichen Ausschlussgrundes gekündigt wurde, seinerseits berechtigt ist, seinem Nachunternehmer aus wichtigem Grund zu kündigen. Hier besteht mithin Handlungsbedarf für Auftragnehmer bezüglich der Gestaltung ihrer Nachunternehmerverträge.

Umsetzung schnellstmöglich korrigieren

Der deutsche Vergabe- und Vertragsausschuss für Bauleistungen ist mit der vorgenannten Änderung der VOB/B 2016 zum Teil deutlich über das Ziel einer Umsetzung der einschlägigen EU-Richtlinie über die öffentliche Auftragsvergabe hinausgeschossen. Es bleibt zu hoffen, dass er dies schnellstmöglich wieder korrigiert.

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