Wer trägt die Mehrkosten einer Änderung der Fachregeln?
Wenn sich die aaRdT nach Vertragsabschluss ändernDer Rechtsbeitrag geht der Frage nach, wer die Mehrkosten, die nach Vertragsschluss infolge einer Änderung der allgemein anerkannten Regeln der Technik entstehen, zu tragen hat. Dazu wird ein aktuelles Urteil des OLG Schleswig betrachtet (1. Februar 2019 – 1 U 42/18).
Problemdarstellung
Ein Bau-/Werkvertrag lässt sich grob in zwei Phasen unterteilen, die von der Abnahme getrennt werden, nämlich einerseits das Erfüllungsstadium, andererseits die Gewährleistungszeit. Der Umfang der im Rahmen der Erfüllungsphase zu erbringenden Leistungen richtet sich in erster Linie nach den vertraglichen Vereinbarungen. Ist allerdings – wie üblich – nicht jedes Detail gesondert zwischen den Parteien vereinbart, schuldet der Auftragnehmer jedenfalls insgesamt die Einhaltung der allgemein anerkannten Regeln der Technik als Mindeststandard. Dieser einzuhaltende Mindeststandard ergibt sich im VOB-Vertrag ausdrücklich aus § 13 Abs. 1 S. 2 VOB/B und entspricht im BGB-Vertrag jedenfalls der ständigen Rechtsprechung.
Schwierigkeiten für den Auftragnehmer treten regelmäßig dann auf, wenn sich die gültigen Fachregeln während der Bauausführung ändern und eine Umplanung, ggf. verbunden mit zusätzlichen Kosten erforderlich wird. An dem Grundsatz der einzuhaltenden Fachregeln ändert dies nichts, sodass der Auftragnehmer in aller Regel keine Wahl hat und den neuen Standard erfüllen muss. Besteht zwischen Auftragnehmer und Auftraggeber ein Einheitspreisvertrag, bleibt der Auftragnehmer grundsätzlich an die vereinbarten Einheitspreise gebunden, besteht ein Pauschalpreisvertrag, geht je nach Konstellation sogar das gesamte Kostenrisiko zu Lasten des Auftragnehmers. Weil die Erfüllungsphase erst mit der Fertigstellung des Werkes und der Abnahme endet, sind die im Zeitpunkt der Abnahme gültigen Fachregeln, selbst bei zwischenzeitlich eingetretenen Änderungen in jedem Fall zu beachten.
Weniger bekannt dürfte allerdings sein, dass die vorstehenden Grundsätze auch in der Gewährleistungszeit, also im Zeitraum zwischen der Abnahme und dem Ende der Gewährleistungsfrist gelten. Ändern sich also während des Gewährleistungszeitraums die maßgeblichen Fachregeln, ist der Auftragnehmer im Rahmen der Mangelbeseitigung zur Einhaltung der aktuellen Fachregeln verpflichtet und hat die damit etwaig verbundenen Mehrkosten als Folge seiner ursprünglich mangelhaften Leistung selbst zu tragen. Nur soweit dem Auftraggeber durch die Nachbesserung nach aktuellem Regelwerk ein Mehrwert entsteht oder es sich um vertraglich nicht geschuldete Leistungen handelt (Sowieso-Kosten), kann der Auftragnehmer einen Ausgleich verlangen.
Rechtsprechung
Über einen vergleichbaren Sachverhalt hat das OLG Schleswig mit Urteil vom 1. Februar 2019 – 1 U 42/18 entschieden:
Die Klägerin beauftragte die Beklagte u.a. mit dem Einbau von Fenster- und Türelementen im Zusammenhang mit der Erweiterung eines Veranstaltungs- und Kongresszentrums. Die Beklagte baute daraufhin im EG in 6 Seminarräumen und 2 Büroräumen bodentiefe Fenster mit einer innenseitigen Sicherheitsverglasung und Tiptronic-Beschlägen ein, die eine zentrale elektronische Sperrung der Drehfunktion des Fenstergriffes gegen unbefugtes vollständiges Öffnen zuließen, sodass die Fenster nur in Kippstellung gebracht werden konn ten. Während der Gewährleistungszeit beanstandete die Klägerin diverse Mängel betreffend Dichtigkeit und Sicherheitsbelange.
Nach erfolglosen Mangelbeseitigungsversuchen hat die Klägerin schließlich die Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens beantragt. Der dortige Gerichtssachverständige stellte fest, dass die Fensterelemente nicht den Anforderungen der ZEV und damit den allgemein anerkannten Regeln der Technik bezüglich Luftdichtigkeit, Schlagregendichtigkeit und Widerstandsfähigkeit gegen Windglas genügten und sich die Elemente aufgrund von Mängeln an den Beschlägen teilweise nicht gefahrlos öffnen und schließen ließen. Zudem seien im 1. OG Brüstungsgitter zur Sicherung gegen Absturz anzubringen, weil die elektronische Drehsperre der Fensterbeschläge wegen des Erfordernisses einer vorherigen Aktivierung keine zuverlässige Absturzsicherheit biete. Das Landgericht hat die Beklagte schließlich mit Verweis auf die Feststellungen des Gerichtssachverständigen antragsgemäß verurteilt.
Die Beklagte hat gegen diese Entscheidung Berufung eingelegt und in der II. Instanz insbesondere eingewendet, dass sich die Sicherheitsvorschriften nach der Abnahme deutlich verschärft hätten, dadurch die Mängelbeseitigung höhere Kos-ten verursache, woran sich die Klägerin beteiligen müsse. Das OLG Schleswig ist dieser Rechtsauffassung jedoch mit Verweis auf die obergerichtliche Rechtsprechung nicht gefolgt und hat stattdessen ausgeführt, dass auch eine Veränderung der technischen Regelwerke im Zeitraum zwischen Abnahme und Mängelbeseitigung regelmäßig zu Lasten des Auftragnehmers gehe. Denn dass eine Mängelbeseitigung durch Änderung der allgemein anerkannten Regeln der Technik mit höheren Kosten verbunden sein kann, liege im Verantwortungsbereich des Unternehmers und sei Folge seiner ursprünglich mangelhaften Leistung, ohne die es einer Mangelbeseitigung überhaupt nicht bedurft hätte. Ausschließlich dann und soweit durch die Nachbesserung nach aktuellem Regelwerk ein Mehrwert entsteht, könne ein Auftragnehmer gegenüber dem Auftraggeber Ausgleich verlangen.
Praxistipp
Die Entscheidung des OLG Schleswig ist rechtlich zutreffend und verdeutlicht die Gefahr der Übernahme unkalkulierbarer Risiken. Aus diesem Grunde ist dem Auftragnehmer zu raten, bei Vertragsschluss stets auch die Entwicklungen innerhalb seiner Branche im Auge zu behalten, um etwaigen, sich ankündigenden Regeländerungen bereits auf vertraglicher Ebene durch entsprechende Vereinbarungen mit den Kunden entgegenwirken zu können. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass es dem Auftraggeber faktisch selbst überlassen bleibt, zu welchem Zeitpunkt er innerhalb der Gewährleistungszeit den Mangel beanstandet, es ihm damit sogar möglich wäre, eine Änderung der maßgeblichen Fachregeln bewusst auszunutzen.
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