Lüftungsbetrieb in Corona-Zeiten
Vom Problem zur ProblemlösungIn letzter Zeit werden viele Empfehlungen zum Betrieb von Lüftungsanlagen veröffentlicht. Hintergrund ist u.a. die Befürchtung, dass die Lüftungsanlagen zur Übertragung des SARS-CoV-2-Virus beitragen könnten. Hat das Robert-Koch-Institut (RKI) zunächst angenommen, dass die Übertragung über Tröpfchen erfolgt, so kam man erst später zu der Erkenntnis, dass sich die Viren auch an Aerosolen anheften und somit längere Zeit in der Raumluft schweben können. Hierauf hat auch das Hermann-Rietschel-Institut der TU Berlin im Mai 2020 [1] hingewiesen. Somit kommt der Lüftungsanlage in einer Pandemie eine besondere Bedeutung zu.
Lüftungsanlagen haben, abgesehen von OP-Bereichen und Laboren, allerdings nicht die Aufgabe, eine virenfreie Zone herzustellen. Andererseits kann man sie auch nicht als Virenschleudern bezeichnen. Sie können das Risiko einer Übertragung durch den Verdünnungseffekt mit unbelasteter Zuluft verringern und bieten somit nur eine Unterstützung beim Gesundheitsschutz. Hier deutet sich schon an, dass die Ausstattung der Lüftungsanlage sowie die Art der Luftführung bezogen auf die Virenübertragung einen unterschiedlichen Effekt auslösen können.
Filterung/Bestrahlung
Es wird oft betont, dass eine gute Filterung bzw. UV-C-Bestrahlung der Zuluft die Lösung sei. Einen 100-%-igen Infektionsschutz bietet sie aber nicht. Denn die Virenübertragung erfolgt von Mensch zu Mensch auch über die ausgeatmete Luft. Wird diese virenbelastete Atemluft durch die Luftführung der Anlage auf andere Menschen übertragen, haben selbst HEPA-Filter der Klasse H14 keine Wirkung [2]. Das gilt z.B. auch, wenn der Auftriebsstrom über den Wärmequellen größer ist als der Abluftvolumenstrom im Raum. Die Differenz dieser Volumenströme trägt zu einem Mischluftzustand bei.
Umluft abschalten
Durch den Betrieb mit Umluft oder durch undichte Zentralen bzw. Rotations-Wärmeübertrager kann sicherlich eine Aerosol-Verschleppung in einen oder mehreren Räumen durch die Vermischung mit virenbelasteter Zuluft erfolgen. Folgerichtig empfiehlt der REHVA-Leitfaden [3] das Abschalten der Umluft.
Eine Nachfrage des Autors bei einem Hersteller von Deckenluftgeräten mit Umluft und vorkonditionierter Frischluftbeimischung für einen aktuell geplanten Supermarkt ergab, dass ein Abschalten der Umluft nicht möglich ist. Dann muss das ganze Gerät abgeschaltet werden und eine Nacherhitzung/Nachkühlung kann nicht mehr erfolgen. D.h., es wird zu warm oder zu kalt.
Hier könnte man, z.B. durch ein Merkblatt, eine Empfehlung für die zukünftige Konstruktion solcher Geräte ausgeben, die wenigstens den Frischluftanteil weiter kühlt bzw. heizt und den Umluftbetrieb außer Kraft setzen kann. Denkbar ist auch eine andere Dimensionierung der Anlage, die im Normalbetrieb „herunterregelt“.
Auf jeden Fall ist absehbar, dass sich die Lüftungsregelexperten künftig auch mit Pandemie-Szenarien auseinandersetzen müssen.
Außenluftvolumenstrom erhöhen
Die Empfehlung, den Außenluftvolumenstrom zu erhöhen, muss man differenziert betrachten. Vorausgesetzt, es sind noch genügend Reserven vorhanden und eine Befeuchtungsmöglichkeit ist nicht gegeben, ist zu bedenken, dass Temperatur und Feuchte im Raum einen gegenläufigen Effekt gegenüber dem Verdünnungseffekt bewirken können.
Bei Lüftung mit niedrigen Außenlufttemperaturen wird mit sehr trockener Zuluft gelüftet, was zu einem Absinken der relativen Raumluftfeuchte führen kann, wenn die Heizung die Zuluft hochheizt. Dadurch trocknen die Schleimhäute im Mund sowie Rachen aus und die Immunabwehr wird geschwächt. Außerdem bilden sich mehr Aerosole, da ausgeatmete Tröpfchen schneller verdunsten.
Die sich einstellende relative Raumluftfeuchte hängt von der installierten Leistung der Heizanlage und der Feuchtelast im Raum ab. Bei geringer Feuchtelast und ausreichender Heizleistung, die für einen hohen Volumenstrom bis auf 20 °C erwärmen kann, würde schon unterhalb von 6 °C Außenlufttemperatur die r.F. unter 40 % liegen.
Es zeigt sich, dass die Empfehlung, den Außenluftvolumenstrom zu erhöhen, zumindest in der Heizzeit auch Nachteile aufweisen kann.
Wohnungslüftungsanlagen
Für den Fall, dass es in einem Haushalt einen Infizierten gibt und die restlichen Bewohner geschützt werden sollen, wäre für den Infizierten eine Quarantäne in einem Raum mit „Luftisolation“ angebracht. Manche Wohnungslüftungssysteme machen dies jedoch unmöglich, da sie virenbelastete Luft von Raum zu Raum übertragen. Bei Übertragung in Aufenthaltsräume ist das wegen der höheren Belegungszeit besonders kritisch.
Bei Abluftanlagen werden die Viren über den Flur bis ins gemeinsam benutzte Bad transportiert. Mit einer innerhalb der Wohnung direkt verlegten Zuluftleitung zum Bad als Nachströmöffnung [4] wäre dieser Übertragungsweg jedoch weitgehend ausgeschaltet.
Nur die mechanische Einzelraumventilation und die Fensterlüftung sind für den Quarantäneraum geeignet. Evtl. auch Zuluftsysteme, sofern die Luft nicht über ÜLDs geführt wird.
Ohne Luftisolation sind die nach DIN 1946-6 geplanten Außenluftvolumenströme zu gering. Das liegt an der Aufteilung des Gesamtvolumenstroms für die Nutzungseinheit auf die einzelnen Räume mittels fRzu-Faktoren. Es ergeben sich dadurch sehr viel geringere Werte als 30 m³/(h Pers.).
Beispiel: Eine Drei-Zimmer-Wohnung mit drei Personen wird mit 90 m³/h Gesamtaußenluftvolumenstrom ausgelegt. Eine Person ist infiziert und hält sich mit den beiden gesunden Personen im Wohnzimmer mit 47,66 m³ Raumluftvolumen auf. Für das Wohnzimmer ergibt sich ein Volumenstrom nach DIN 1946-6 von 90 m³/h x 3/(3 + 2 +2) = 39 m³/h für drei Personen, also nur 13 m³/h pro Person. Mit 0,375 m³/(h Pers.) Atemluftvolumenstrom bei Aktivitätsgrad I ergibt sich nach [5], dass nach ca. 37 min der Raum verlassen werden sollte. In dieser Zeit ist die CO2-Konzentration auf ca. 900 ppm angestiegen, wenn der Raum zu Beginn vollständig durchlüftet wurde und somit eine Anfangskonzentration von 450 ppm aufwies.
Zu beachten ist, dass Gegenmaßnahmen wie bessere Filter oder eine Erhöhung des Volumenstroms im Bestand nicht immer möglich sind.
Abschalten der Lüftungsanlage
Die vorstehenden Ausführungen machen deutlich, dass ein Abschalten der Lüftungsanlage je nach System und Nutzungsart des Gebäudes/der Wohnung geboten sein kann. Die Firma Lunos als namhafter Lüftungsgerätehersteller hat aus diesen Überlegungen heraus schon im Januar 2020 alle Lüftungsgeräte im eigenen Werk abgeschaltet.
Bei relativ enger Belegung in Verbindung mit einer langen Belegungszeit, z.B. im Flugzeug, kann die Lüftung bei geeignetem Strömungsverlauf den Infektionsschutz gegenüber der Nichtlüftung erhöhen. I.d.R. sind aber solche gezielten Strömungsrichtungen bei unbewegten Personen selten.
Fazit
Bisher hat sich gezeigt, dass sich nicht zwangsläufig alle Mitglieder eines Quarantäne-Haushalts infizieren, dagegen aber gleichzeitig ein kurzer Kontakt in der Kantine für eine Infektion ausreichend sein kann [6].
Das hängt vermutlich damit zusammen, ob man gerade infizierte Luft einatmet und wie viel Viren dabei sind. Da man im Nachhinein nicht feststellen kann, woher die infizierte Luft kam, ist ein Nachweis, ob die Infektion durch die Lüftungsanlage herrührt, nicht möglich.
Eine Lüftungsanlage kann für die Reinheit der Zuluft sorgen. Durch die Luftströmung im Raum oder durch die Übertragung in andere Räume (Überströmung) ist die Verbreitung einer Infektionsquelle hinter dem Luftauslass aber möglich.
Für einige Lüftungsanlagen wird daher ein Abschalten sicherer sein. Ein Lüften in Intervallen, möglichst ohne die Anwesenheit von Personen und mit hohen Volumenströmen, z.B. über weit geöffnete Fenster, wäre in diesem Fall geeigneter.