Unterirdische Leitungskanäle
Infrastrukturlösung mit LangzeitcharakterVersorgungskanäle gehören weltweit bei der Planung von sogenannten „Megacities“ zum Standard. In Deutschland hingegen werden zurzeit nur vereinzelt Kurzstrecken neu errichtet und vornehmlich bestehende Leitungskanalnetze ertüchtigt bzw. ausgebaut. Obwohl im internationalen Vergleich der Stand des Wissens und der Technik in Deutschland gut entwickelt sind, wird der Leitungskanal eher selten als Planungsalternative in Betracht gezogen. Dabei haben diese durchaus Vorteile.
Neben der dominierenden Einzelverlegung von Rohrleitungen und Kabeln im unterirdischen Bauraum stellen unterirdische Leitungskanäle (Synonyme u.a. Leitungsgang, Leitungstunnel, Versorgungs-, Infrastruktur- oder Medienkanal, Kollektor, Sammelkanal) eine Sonderform der gebündelten Leitungsverlegung zur Erschließung städtischer Siedlungsflächen sowie gewerblicher und industrieller Standorte dar. Vorzugsweise handelt es sich dabei um Standorte mit hoher Versorgungsdichte oder längerfristig wechselndem / ergänzendem Medienbedarf.
Die bauliche Hüllkonstruktion unterirdischer Leitungskanäle schützt die Leitungen gegenüber der Erdverlegung zusätzlich vor Beschädigungen durch stoffliche und Lasteinwirkungen aus dem Baugrund und Verkehr und verlängert somit deren Nutzungsdauer. Begehbare Leitungskanäle ermöglichen außerdem eine ständige Bedienung von Armaturen, die aufgrabungsfreie Instandhaltung sowie die grabenlose Komplettierung, den Austausch oder Rückbau von Rohrleitungen und Kabeln für eine langfristig effiziente Versorgung von Siedlungsräumen.
In Deutschland werden etwa 800 bis 900 km begehbare Leitungskanäle hauptsächlich mit den Medien Strom, Gas, Wasser, Wärme und Telekommunikation, inner- und randstädtisch sowie zur Versorgung von Liegenschaften, größtenteils seit Jahrzehnten betrieben (Beispiel Bild 1). Sie unterliegen als bauliche Anlagen dem Planungs- und Baurecht, im Betrieb den medienspezifischen Anforderungen der Fachstandards sowie dem Arbeitsschutzrecht für einen dauerhaft sicheren Betrieb der Leitungsanlagen. Im Vergleich zur deutlich dominierenden Einzelverlegung der Leitungen ist eine spartenübergreifende Herangehensweise aller beteiligten Unternehmen und Vertreter öffentlicher Belange notwendig.
Sinnhaftigkeit und Nutzen begehbarer Versorgungskanäle
Als Beispiele für die Sinnhaftigkeit begehbarer Versorgungskanäle können Bestandskanäle im Osten Deutschlands, dazu unter Liegenschaften wie Kliniken, Hochschulen, Messestandorte oder Flughäfen sowie begehbare Düker in Querung von Verkehrstrassen und Gewässern genannt werden. Zu verschiedenen Anwendungsfällen sind Erfahrungen zur Dauerhaftigkeit, Versorgungs- bzw. Verkehrssicherheit und maximalem Arbeitsschutz abbildbar. Dazu wurden im jahrzehntelangen Betrieb Leitungen bedarfsgerecht und vor allem grabenlos nachgerüstet, komplettiert oder ausgetauscht. Insbesondere durch die Vermeidung klassischer Tiefbauarbeiten leistet das Verlegesystem „Unterirdischer Leitungskanal“ einen langfristigen Beitrag zum Umweltschutz.
Die Leitungskanäle werden meist durch eine Betreibergesellschaft nach betriebswirtschaftlichen und sicherheitskonformen Grundsätzen und Regeln ordnungsgemäß unterhalten. Innerhalb einer Interessengemeinschaft Begehbare Versorgungskanäle (IBV) werden zwischen Eigentümern, Betreibern und Nutzer der Leitungskanäle regelmäßig Erfahrungen ausgetauscht und an gemeinsamen Projekten gearbeitet (www.utility-tunnel.com).
Planung von Versorgungskanälen
Obwohl die spartenspezifische Rechtshistorie und die übliche Anwendung des Konzessions- und Gestattungsrechts die Einzelverlegung in den Vordergrund stellen, besteht genügend Gestaltungsspielraum für die konzeptionelle, planerische und betriebliche Vorbereitung der Nutzung von Leitungskanälen. Sofern langfristig, wie international bei der Entwicklung urbaner Räume üblich, die umwelt- und ressourcenschonenden Vorteile genutzt werden, sollten insbesondere die Kommunen die mit den Leistungskanälen verbundenen Chancen nutzen.
In der konzeptionellen Phase gilt es zunächst zusätzliche Anforderungen und Aufwendungen zu berücksichtigen, vor allem eine zusätzliche Investition in die bauliche Hülle und alle damit verbundenen Ausrüstungen. Des Weiteren ist der Leitungskanal so instand zu halten, dass der Vorteil einer langfristig effizienten Medienbereitstellung wirkt. Im Sinne des Personen- und Anlagenschutzes ist zudem ein kontinuierliches Sicherheitsmanagement vorzusehen. Diese zusätzlichen Faktoren sind hinsichtlich ihrer langfristigen Vorteilhaftigkeit zu beurteilen bzw. zu bewerten.
Für die typischen Anwendungsfälle, u.a.
werden je nach Planungsstand die Alternativbetrachtungen bzw. Kosten-Nutzen-Berechnungen sehr schnell sehr komplex. Zur Objektivierung der Entscheidungsbasis, ob ein Leitungskanal langfristig vorteilhaft ist, existieren mittlerweile praktikable Rechenwerkzeuge, die das vorhandene Wissen unter Anwendung anerkannter Methoden (wie „System Dynamics“) nutzen. Damit lassen sich zum einen fundierte Berechnungen über den Lebenszyklus der verschiedenen Medien durchführen und zum anderen mit den kurz- und mittelfristigen Planungshorizonte verbinden (siehe Bild 2).
Weiterhin können die beteiligten Akteure für sehr komplexe Zusammenhänge und Fragestellungen auf eine gemeinsame, objektivierte Entscheidungsbasis aufsetzen. Die Anwendung nachvollziehbarer Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen wird als wesentlicher Bestandteil für die Planung und die Bewirtschaftung von Leitungskanälen empfohlen.
Neben dem Wirtschaftlichkeitsnachweis ist die baukonstruktive und bautechnologische Planung entsprechend dem Normenwerk nach den allgemein anerkannten Regeln der Technik für erdberührte Ingenieurbauwerke vorzunehmen. Zur Größe und Funktionalität sind eine Vielzahl an Bauteilparameter heranzuziehen. Im Vergleich zur klassischen Bauplanung kann mit der bauteilbezogenen BIM-Methode (siehe Bild 3) ein nahezu reales Bauwerksabbild als 3D-Modell erzeugt werden, welches alle fach- und zeitraumübergreifenden Zusammenhänge anschaulich darstellen lässt. Die Projektpartner können im selben Modell parallel arbeiten, Daten in jeder Projektphase abrufen und fortschreiben.
Um wesentliche Vorteile eines Versorgungskanals wie Trassenbündelung über mindestens 80 Jahre Nutzungsdauer sowie austauschbare grabenlose Leitungsführung in einem vorgegebenen unterirdischen Bauraum abzusichern, können dabei alle Prozesse von der Erstverlegung, über die Instandhaltung bis zur Demontage, Komplettierung oder Austausch im Leitungsbestand anschaulich dargestellt werden. Änderungen im Modell führen automatisiert zur Änderung von Stücklisten, zum Kostenabgleich sowie zur Aktualisierung der Revisionsunterlagen. Damit wird ein anpassbares Verlegesystem mit moderner Planungsmethodik verknüpft.
Stellvertretend für die Vielzahl baukonstruktiver Varianten wird hier auf die Schnittstelle zur Gebäudetechnik eingegangen. Die Hausanschlussleitungen können erfahrungsgemäß in einem begehbaren bzw. nicht begehbaren Hausanschlusskanal oder erdverlegt vom Leitungskanal zum Gebäude geführt werden (Beispiele Bilder 4 und 5). Sofern Anzahl und Lage abzweigender Rohrleitungen und Kabel auf zeitliche und kostenseitige Unsicherheiten in der Planung stoßen, sind im Leitungskanal Reserveräume vorzuhalten, ggf. über entsprechende Schachtbauwerke. Die rohr- und kabelseitigen Anschlüsse erfolgen unter Beachtung der Brandschutzanforderungen am Übergang zweier Lüftungs- und Brandabschnitte.
Bei einer nachträglichen grabenlosen Zuführung erdverlegter Leitungen, z.B. Hausanschlüsse, wird das Tragwerk örtlich geschwächt, wenn nicht schon zur Bauphase mit der Bewehrungsanordnung dieser Einsatzfall berücksichtigt wird. Dazu kann ein „Zielfenster“ im Wandbereich als Rahmenelement so bewehrt sein, dass der Versorgungskanal quasi als Zielschacht einer Vortriebsstrecke dienen kann. Die dazu vorliegende Statik ermöglicht eine Durchdingung aller üblichen Nennweiten sowie Verlängerung des Versorgungskanals ab einer dafür vorgesehenen Wandscheibe.
Neben den baukonstruktiven Möglichkeiten und raumsparenden grabenlosen Verlegetechnologien zum Stand der Technik werden weitere Modernisierungslösungen u.a. zur Ausrüstung mit Überwachungs- und MSR-Technik, zur Minimierung von Gefährdungen durch moderne Lüftungs- und Brandschutzlösungen aber auch durch Pilotlösungen zur Substitution von Baustoffen (u.a. Carbon-, Faser- oder R-Beton) innerhalb von Projekten vorangebracht.
Aufgrund des spartenüber-greifenden Charakters des Verlegesystems existiert in Deutschland nur ein Leitfaden zu Planung, Bau und Betrieb von begehbaren Leitungsgängen (GSTT – Informationen Nr. 10-1 bis 10-3). Gleichwohl sind alle vollständig oder teilweise zutreffenden gesetzlichen Regelungen und Fachstandards beim Bau oder im Betrieb anzuwenden. Über einen Projektkreis innerhalb der Fachorganisationen GSTT e. V. und AGFW e.V. wird seit dem Jahr 2020 dieser Leitfaden überarbeitet. Die Mitglieder vertreten alle wesentlichen Fachverbände sowie Erfahrungen im deutschsprachigen Raum. Eine Koordinierung mit der EN- sowie ISO-Normenarbeit wird ebenso angestrebt.
Fazit
Wirtschaftliche Entwicklung und urbane leitungsgebundene Infrastruktur benötigen für absehbare Zeit zuverlässige, bedarfsgerechte und anpassungsfähige Ver- und Entsorgungssysteme. Unterirdische Rohrleitungen und Kabel transportieren, vereinfacht beschrieben, Energie, Wasser und Informationen vom Erzeuger zum Kunden. Diese Netzinfrastruktur erfüllt ihre Funktionen nur durch eine stetige Weiterentwicklung an Technologien, Materialien und Medienparametern im Wechselspiel zentraler und dezentraler Standorte. Aufgrund der langen Nutzungsdauer der Leitungsnetze rückt das nachhaltige Bauen im Einklang mit Energie- bzw. Ressourceneffizienz sowie Stadtökologie mehr in den Mittelpunkt, insbesondere im stark belegten Baugrund und unter hoch frequentierten Verkehrsflächen.
Neben der auch weiterhin dominierenden Erdverlegung von Rohrleitungen und Kabel ermöglichen unterirdische Leitungskanäle eine gebündelte, raumsparende Verlegung von Leitungen in gleicher Trasse, den zusätzlichen Schutz der Leitungen sowie deren grabenlose Instandhaltung, Komplettierung, Austausch oder Rückbau. Die damit vermeidbaren Tiefbauleistungen stellen langfristig einen wesentlichen versorgungsseitigen wie umweltbezogenen Nutzen dar.
Da zum Verlegesystem „Unterirdischer Leitungskanal“ auf eine mehr als hundertjährige Geschichte verwiesen werden kann, sind die Vorteile in den gegenwärtigen und für die künftige effiziente Medienbereitstellung darstellbar. Grabenlose Verlegetechnologien, Materialsubstitutionen, digitale Überwachung und hohe Anforderungen an das Qualitäts- und Sicherheitsmanagement sichern die Aktualität im Neubau und im Bestand.
Da sich der mögliche Nutzen auf kommunaler, betrieblicher und volkswirtschaftlicher sowie ideeller Ebene, teilweise widersprüchlich abbildet, ist eine systematische sowie methodisch fundierte Aufbereitung und Darstellung von hohem Interesse bzw. zwingend notwendig. Entwickelte Rechenmodelle, die profundes Fachwissen mit anerkannten Methoden zur Abbildung wirtschaftlicher Zusammenhänge verbinden, bieten eine professionelle Unterstützung bei der Beurteilung der Vorteilhaftigkeit von Leitungskanälen.
Wissensvermittlung
Im Hinblick auf die klima- und ressourcenbezogenen Herausforderungen werden im Rahmen des von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) geförderten Projektes „Wissenstransfer für Kommunen und Versorgungsunternehmen zu unterirdischen begehbaren Leitungskanälen als langfristig umwelt- und ressourcenschonende Infrastrukturbauwerke im urbanen Raum“ verschiedene Formen der Wissensvermittlung (u.a. Online-Seminare, Workshops, Fachkonferenz und Einzelkonsultationen) angeboten, die über den Stand der Überarbeitung des Leitfadens, der Methodik zur Wirtschaftlichkeitsbetrachtung sowie aktuelle Projekte zum Stand der Technik informieren. Nähere Auskünfte erhalten Sie dazu über das federführende Unternehmen entellgenio GmbH bzw. die Autoren dieses Beitrags.
Für die kommende Fachkonferenz „Leitungskanäle im urbanen Raum“ (Online Treffen) am 10. November 2021 von 08:30 bis 12:30 Uhr können Sie sich gern (kostenfrei) über Leitungskanal@entellgenio.com anmelden.