Unterirdische Leitungskanäle im urbanen Raum
Umwelt- und ressourcenschonende InfrastrukturbauwerkeIm Rahmen einer Online-Konferenz am 10. November 2021 wurde das Thema unterirdische Leitungskanäle im urbanen Raum vertieft. Die Veranstaltung diente im Rahmen eines durch die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU) fachlich und finanziell geförderten Wissenstransfers für Kommunen und Versorgungsunternehmen dazu, unterirdische, begehbare Leitungskanäle als langfristige umwelt- und ressourcenschonende Infrastrukturbauwerke im urbanen Raum als Alternative zur unmittelbaren Erdverlegung von Leitungen bekannt zu machen.
Infrastrukturkanal im Gewerbegebiet Wachau
Bild: GIBA mbH & EGW Entwicklungsgesellschaft für Gewerbe und Wohnen mbH
Zwar ist die Errichtung von begehbaren Leitungskanälen in der Erstinvestition teuer, doch bieten sich dafür Vorteile, wie die Bündelung von Trassen unterschiedlicher Medien. Zudem können in den Leitungskanälen grabenlos Nachinstallationen erfolgen, wie sie durch den technologischen Fortschritt, z.B. beim Verlegen von Glasfaserkabeln, immer wieder notwendig sind. Hier bieten die Leitungskanäle eine hohe Flexibilität. Durch eine immer stärker erfolgende Nachverdichtung der Bebauung insbesondere in den Städten und Gemeinden, bietet es sich zudem an, den Untergrund intensiver für die Medienversorgung zu nutzen. Auch vor dem Hintergrund des Klimawandels bieten sich unterirdische Leitungskanäle als „smarte“ Lösungsalternative für die notwendige Widerstandsfähigkeit und Nachhaltigkeit an.
Leitungskanal nach fünfjährigem Betrieb
Foto: GIBA mbH
Das wurde im Rahmen der Onlineveranstaltung rasch deutlich. Gerade im fernöstlichen Raum und weltweit bei neu entstehenden Städten sind unterirdische Leitungskanäle im urbanen Raum fester Bestandteil der urbanen Planung. Dies wird u.a. dadurch deutlich, dass entsprechende internationale Normungsaktivitäten insbesondere durch Japan und China vorangetrieben werden, wie Prof. Dr.-Ing. habil. Bert Bosseler, IKT – Institut für Unterirdische Infrastruktur gGmbH in seinem Grußwort deutlich machte. Die Leitungskanäle (englisch: utility tunnels) passen demnach zu den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen. An Punkt 11 – „sustainable cities“ – knüpfen dann konsequenterweise die entsprechenden Normungsaktivitäten im ISO TC 268 (ISO/AWI 37175) an. Ziel ist die Zusammenfassung verschiedener Infrastrukturaufgaben wie Energie, Wasser, Abwasser, Müll usw. Die Überarbeitung des GSTT – Leitfadens zu Planung, Bau und Betrieb unterirdischer Leitungskanäle im Rahmen eines AGFW – Projektkreises wird dem auch im deutschen Sprachraum gerecht.
Zahlreiche Praxisbeispiele und Erfahrungsberichte aus den Städten Jena, Speyer, Markkleeberg, Berlin oder Chemnitz untermauerten den „gewinnbringenden“ Einsatz unterirdischer Leitungskanäle als eine ausgereifte und sichere Technologie, zeigten aber auch den hohen Diskussionsbedarf bei der Entscheidungsfindung auf.
Schwierigkeiten ergeben sich insbesondere durch die unterschiedlichen Verantwortlichkeiten bei den einzelnen Medienleitungen. Hier zeigt sich eine Interessenbündelung häufig als schwierig. Es konnte gezeigt werden, dass auf fundierten Methoden basierende Lebenszyklusrechnungen in diesem Zusammenhang wesentlich zu einer Objektivierung der notwendigen Entscheidungen beitragen können. Den Kommunen bzw. den Grundstückeigentümern wächst hier künftig eine wesentlich aktivere Rolle zu.
Als Fazit der Veranstaltung bleibt festzuhalten, dass begehbare Leitungskanäle zur Mehrfachverlegung von Leitungen nicht generell die bessere Lösung gegenüber einer Erd- bzw. Einzelverlegung sein müssen. Es stellt sich jedoch als sinnvoll heraus, künftig stets beide Varianten einander gegenüberzustellen und ihre Eignung auf den konkreten Anwendungsfall bezogen zu prüfen, um eine langfristig nutzbare und nachhaltigere Lösung zu wählen. Hier könnten Checklisten, wie sie im Rahmen des sich über zwei Jahre erstreckenden Projekts zum Wissenstransfer erarbeitet werden sollen, eine gute Unterstützung sein.
Zitat
Karsten Schütze, Oberbürgermeister Stadt Markkleeberg:
„Wir in Markkleeberg haben in den letzten 27 Jahren sehr gute Erfahrungen mit dem Infrastrukturkanal im Gewerbegebiet Wachau gemacht. Der Betrieb läuft bisher einwandfrei und die Nutzer sind sehr zufrieden. Es handelt sich auch nach außen sichtbar um ein wirklich „grünes“ Gewerbegebiet. Markkleeberg hat bei der Entscheidung und deren Umsetzung des Leitungskanals eine sehr aktive Rolle eingenommen und einvernehmliche Lösungen mit den Nutzern gefunden. Dies soll auch wieder bei einem künftig geplanten Infrastrukturkanal der Fall sein.“
Im Gespräch mit Klaus-Peter Reim (GIBA mbH)
tab: Wo sehen Sie das größte Potential bei begehbaren Leitungskanälen?
Klaus-Peter Reim: Unterirdische Leitungskanäle können immer dort ihre langfristigen Vorteile ermöglichen, wenn in einem eng begrenzten Bauraum viele Medienleitungen liegen und in den Folgejahren noch ergänzt oder ausgetauscht werden („Trassenbündelung“ und „Austausch-Flexibilität“). Dazu kommt die Eigenschaft die Bestandsleitungen vor äußeren Eingriffen zu schützen, wie beim sog. Baggerbiss durch benachbarte Fremdbaustellen, weitere Lasteinwirkungen aus dem Baugrund oder Verkehrsprozessen, drückendes Grundwasser, Wurzeleinwuchs oder Temperatur-schwankungen bei der Flachverlegung („Widerstandsfähigkeit und Nachhaltigkeit“). Typische Anwendungsfälle werden im sog. GSTT – Leitfaden, Teil 1, Punkt 6 benannt und in seiner Überarbeitung durch den AGFW/GSTT – Projektkreis weiter präzisiert.
tab: Wo fehlt das Wissen zu begehbaren Leitungskanälen vor allem?
Klaus-Peter Reim: Die intensive Diskussion mit den verschiedenen Interessenvertretern beim Leitungskanal zeigt, dass involvierte Versorgungsunternehmen, Behörden, sonstige beteiligte Firmen oder Bildungseinrichtungen zu wenig über die Vor- und Nachteile von Leitungskanälen im Lebenszyklus von Versorgungsanlagen wissen. Die Ursachen sind vielfältig, m. E. jedoch vordergründig im medienspezifischen Konzessions- und Gestattungsrecht zu suchen. Die mittlerweile verfügbaren Verfahren zur Objektivierung der notwendigen Investitionsentscheidungen im Zusammenhang mit begehbaren Leitungskanälen sollten konsequent genutzt werden.
tab: Wo wird der berufliche Nachwuchs mit diesem Thema konfrontiert?
Klaus-Peter Reim: Studium und weitere Bildungsangebote lehren je nach Fachrichtung auch zu „erdberührten Ingenieurbauwerken“, zu denen die unterirdischen Leitungskanäle zählen. Ihre spezifischen Funktionen sind m. W. nicht in Lehrplänen verankert.
Für die Weiterbildung sind Fachverbände der Medienträger und kommunale Bildungsträger zuständig. Es wäre durchaus eine Aufgabe im Ergebnis des Themas „Wissenstransfer ….“ einen auftragsbezogenen Lehrbrief zu erarbeiten, wobei dieser neben der klassischen auch eine digitale bzw. dialogfähige Form haben sollte.