Betonkernaktivierung in der Praxis
Planungs- und Ausführungsaspekte zur FlächentemperierungGeschossflächen für Heiz- und Kühlzwecke zu nutzen, am besten mit einem System, ist sehr effizient. Ein wesentliches Element dafür ist die Betonkernaktivierung. Die Planung und Ausführung sollte allerdings einige Aspekte im Vorfeld beachten, damit die Nutzeranforderungen bestmöglich erfüllt werden können.
Die Praxis der Betonkernaktivierung (BKT) wird schon seit vielen Jahren in Neubauten angewendet. Der Vorteil dieser Methode ist, dass das Beton der Geschossdecken, die einen Großteil des Baukörpers ausmachen, als Wärme- oder Kältespeicher genutzt wird. Das ist sehr effizient. Das eingesetzte System dient meist jedoch nur der Grundlastabdeckung, denn durchschnittlich lässt sich mit einer Standard-BKT eine energetische Leistung von 35 W/m2 erreichen. Lastspitzen können nicht abgerufen oder abgleitet werden. Daher werden oftmals flexiblere, sekundäre Übergabesysteme zum Heizen bzw. Kühlen zusätzlich eingesetzt. Allerdings kann hierfür auf niedertemperaturige Heiztechnologien und Quellen gesetzt werden, also Wärmepumpen, Solarthermie oder Niedertemperatur-Netze. Eine Alternative bieten oberflächennahe Bauteilaktivierungssysteme, die eine zum Teil hohe Leistungsfähigkeit bei einer kurzen Reaktionszeit haben.
Anschlussvarianten an den BKT-Verteiler
Je nach Flexibilitätsanforderungen des Bauherrn oder Nutzers können die BKT-Verteiler als 4-Leiter oder 2-Leiter angeschlossen werden. Beim 4-Leiter-System wird das Heiz- und Kühlmedium bis an den Verteiler herangeführt. Über ein 6-Wege-Ventil kann dann je Verteiler entschieden werden, ob die Fläche beheizt oder gekühlt werden soll. Dies bietet die größtmögliche Flexibilität (siehe Interview). Es benötigt aber für den Leitungsverzug mehr Platz. Bei einem 2-Leiter-System wird im vorgelagerten Netz, etwa am Schachtabgang oder in der Technikzentrale, übergeordneter und damit großflächiger entschieden, ob geheizt oder gekühlt werden soll.
„Bei einem geringeren Wärmebedarf der Objekte kann die oberflächennahe Betonkernaktivierung auch die komplette Beheizung und Kühlung abdecken. Möglich wird dies aber nur mit einer flexiblen Regelung“, erklärt Michael Gertig, technischer Leiter des Büros EM-plan in Chemnitz, das zur Empur-Unternehmensgruppe gehört. Primär wird dies häufig in Büro- und Verwaltungsgebäuden mit großflächigen Regelzonen umgesetzt. Allerdings könne dann das Speicherverhalten des Betons im Vergleich zur klassischen Betonkernaktivierung weniger effektiv genutzt werden.
Kühlung effizient möglich
Interessant wird die Technologie in Zeiten der Klimaerwärmung hinsichtlich der Abdeckung möglicher Kühllasten. Schon heute werden 16 % des gesamten elektrischen Stromverbrauchs für Kühl- und Kälteleistungen benötigt. Dieser Anteil wird in Zukunft steigen. Derzeit wird er größtenteils mit Kompressionskältemaschinen abgedeckt. Sie benötigen zur Kühlung oft etwa die dreifache Strommenge als für eine vergleichbare Heizleistung nötig wäre.
Technologien wie die Betonkernaktivierung könnten diese Energiebilanz deutlich aufbessern. Eine Kühlung via Betonkernaktivierung kann sich besonders dann als Alternative im Vergleich zu klassischen Lösungen wie Kompressionskältemaschinen anbieten, wenn bspw. eine reversibel schaltbare Erd-(Sole)-Wärmepumpe als zusätzliche Heizquelle genutzt wird. Mit einem damit kombinierten Zuluftgerät lassen sich Kühlleistungen von durchschnittlich 60 und 80 W/m2 erreichen. Das reicht für eine Temperierung selbst an Hitzetagen. Da für beide Funktionen nur ein Rohrsystem verwendet wird, erspart man sich auch einen eigenen Kühlkreislauf. Beachtet werden müssen hier aber Erfordernisse der Raumkühlung, wie etwa der Taupunkt.
„Was so simpel klingt, bedarf jedoch einer ausgefeilten und exakten Planung. Die Planung ist vergleichbar mit der eines Flächen-Heiz- und -Kühlsystems für den Heizbetrieb“, meint Michael Georg, Leiter Produkttechnik für die Roth-Flächen-Heiz- und -Kühlsysteme. Am Anfang stünde die Information, um welchen Gebäudetyp es sich handle und wie es genutzt werde. Daraus ergäben sich die Aufbaukonstruktionen für die vorgesehene Verlegefläche sowie die Auslegung des Systems primär für den Heiz- oder Kühlfall (siehe Interview).
BKT im Neubau des Hessischen Finanzministerium
Der Erweiterungsbau des Hessischen Ministeriums für Finanzen in Wiesbaden sollte ursprünglich mit Geothermie beheizt werden. Doch artesische Brunnen im Untergrund des Kurortes machten das unmöglich. Die Planer entschieden sich letztlich, die Abwärme aus dem Altgebäude zu nutzen und in den Neubau überzuleiten. Da das Temperaturniveau sehr niedrig war, kamen nur große Heizflächen infrage. Begünstigt wurde dies durch den Passivhausstandard, in dem das Gebäude errichtet werden musste.
Die Wahl fiel auf eine Betonkernaktivierung sowie da, wo es nötig war, zusätzliche Wandheizungen in allen vier Geschossebenen mit insgesamt 2.500 m2 Nutzfläche, in denen sich ein großes Atrium, 80 Büroräume, Besprechungsräume, eine Bibliothek sowie notwendige Nebenräume befinden. Im Sommer wird das gleiche System zur Kühlung genutzt. Die Decken der Besprechungsräume mit hohen und zeitlich stark variablen Lasten wurden mit Kühlelementen ausgestattet. Damit kann schnell auf Anforderungen bei geänderten Lasten reagiert werden.
tab: Was muss bei der Planung einer Betonkernaktivierung beachtet werden?
Carlo Schledt: Ein Punkt ist die frühe Einbeziehung in die Planungsphase, da die BKT zur Rohbauausführung gehört. Ich muss also acht bis zwölf Wochen vor einer Deckenverlegung planerische Sicherheit haben, in Bezug auf die Raumnutzungen bzw. die Gebäudenutzung. Wenn ich weiß, wie die einzelnen Räume genutzt werden, kann ich das in der Planung berücksichtigen und anschließend in der Bauausführung vor Ort integrieren lassen. Zudem haben solche System den Vorteil, dass die Decken heute oft in Sichtbeton ausgeführt werden und energieeffizient arbeiten können.
tab: Welche grundsätzlichen bautechnischen Daten sind neben Heiz- und Kühllasten nötig, um solche Flächen zu planen?
Carlo Schledt: Die inneren Lasten sind entscheidend für die Systemauslegung. Zudem kann ich maximal 75 % der Fläche einer Geschossdecke mit einer Betonkernaktivierung belegen, der Rest ist etwa aus statischen Gründen belegt für Stehkränze oder für Versorgungsschächte und Treppenhäuser. Zudem ist festzulegen, ob Heizen oder Kühlen wichtiger ist. Das wiederum wirkt sich auf die Auslegung des 6-Wege-Ventils aus, da die Kühlung durch die geringere Spreizung von z. B. 16/19 °C wegen des Taupunktes einen größeren Massenstrom benötigt.
tab: Ist es deshalb ratsam, Heizung und Kühlung über den gleichen Kreislauf zu steuern?
Carlo Schledt: Bei diesem 6-Wege-System muss ich alles beimischen. Ich habe einen Versorgungsstrang nach oben und muss, je nach Kälte oder Wärme, den Wasserinhalt ändern. Der Energieaufwand, das Wasservolumen zu tauschen, ist höher. Getrennte Leitungen wären also effizienter. Über die kann ich auch die einzelnen Gebäudeteile getrennt ansteuern, also etwa den Südflügel kühlen und gleichzeitig den Nordflügel heizen.