Betriebszentrale in Bremervörde

Neuer Kontrollraum für Bahn im Elbe-Weser-Dreieck

Etwa 235 km lang ist das Schienennetz der Eisenbahnen und Verkehrsbetriebe Elbe-Weser GmbH (evb), für das der zuständige Fahrdienstleiter vom Bahnhof Bremervörde aus den gesamten Zugverkehr koordiniert. Bis Oktober 2019 befand sich die Betriebszentrale in einem Stellwerk aus den 1990er Jahren, dessen Einrichtung und Technik aufgrund steigender Anforderungen sukzessive erweitert werden mussten. Mit einem Stellwerkspult und zehn Monitoren gestaltete sich dieser Arbeitsplatz für den Fahrdienstleiter zuletzt sehr unübersichtlich, sodass sich die Verantwortlichen für den Bau eines neuen Stellwerks und die Einrichtung einer modernen Betriebszentrale entschieden.

„Der Fahrdienstleiter in der Betriebszentrale am Bahnhof Bremervörde ist für den gesamten Zugverkehr im Streckennetz der evb zuständig und koordiniert diesen“, erklärt Nicolai Breden, Leiter Signaltechnik bei der Eisenbahnen und Verkehrsbetriebe Elbe-Weser GmbH. „Die evb hat ein eigenes Schienennetz von circa 235 km Länge und führt auf ihren Strecken Personen- und Güterverkehr durch.“ Das alte Stellwerk aus den 1990er Jahren, von dem aus der Mitarbeiter seinen Dienst versehen hatte, war aufgrund der wachsenden Anforderungen über die Zeit immer wieder technisch erweitert worden. Zuletzt war der Fahrdienstleiter für einen Arbeitsplatz mit drei verschiedenen PCs und insgesamt sieben Monitoren, ein Stellwerkspult für Bedienungen im Bahnhof Bremervörde sowie mehrere Monitore im Bereich des Pults für die Erweiterungen des alten Stellwerks zuständig. Dies machte seine Arbeit sehr umständlich, da er nicht alle Anwendungen gleichzeitig im Blick behalten konnte, sondern sich dazu immer im Raum hin und her bewegen musste. „Besonders im Fall von Störungen war das ungünstig, da der Mitarbeiter dann den Überblick keinesfalls verlieren darf und an vielen Stellen eingreifen muss“, erklärt Nicolai Breden. Zudem war der Raum nach Süden ausgerichtet und nicht klimatisiert, was ein konzentriertes Arbeiten im Sommer erschwerte.

Neue Betriebszentrale mit moderner Einrichtung

Die Verantwortlichen entschieden sich daher, das alte Stellwerk zu erneuern und ein modernes Gebäude zu errichten. Dort sollte im Erdgeschoss die Stellwerkstechnik und im ersten Stock die Betriebszentrale untergebracht werden. Ein wesentliches Ziel war es dabei, den Arbeitsplatz des Fahrdienstleiters nach den heutigen Anforderungen an Technik und Arbeitskomfort zu gestalten, um so den Mitarbeiter zu entlasten. „Wir wollten einen modernen und ergonomischen Arbeitsplatz und konnten im Kontrollraumsimulator von JST in Buxtehude einen Eindruck gewinnen, welche Gestaltungsmöglichkeiten derzeit bestehen“, erläutert Nicolai Breden. „So haben wir zum Beispiel gelernt, dass viele Monitore am Arbeitsplatz nicht immer optimal sind.“ In der Folge realisierte die Jungmann Systemtechnik GmbH & Co. KG (JST) im neuen Stellwerk eine Betriebszentrale mit zwei ergonomischen Arbeitsplätzen und einer Großbildwand, die sechs Monitore umfasst und einen Überblick über das gesamte Streckennetz gewährt. „Die Zahl der Bildschirme an den Arbeitsplätzen konnte auf je sechs reduziert werden, wobei jeweils vier fest für das Betriebsleitsystem vorgesehen sind“, so Nicolai Breden. Hinzu kommt ein Arbeitsplatz für das Wartungspersonal mit fünf Monitoren im Erdgeschoss des Stellwerks.

Für eine intuitive, benutzerfreundliche Bedienung und ein effizientes Arbeiten in der Betriebszentrale sorgt die von JST eigens entwickelte Hard- und Software zur Steuerung von Arbeitsplätzen und Großbildsystem, die es unter anderem ermöglicht, von jedem Arbeitsplatz aus auf alle Informationen zuzugreifen: „MultiConsoling korreliert Monitore, das heißt, der Fahrdienstleiter kann sich immer die Anzeige auf einen der eigenen Bildschirme holen, die er gerade benötigt“, erklärt Dirk Lüders, Berater bei JST. Die beiden nicht mit dem Leitsystem besetzten Monitore pro Arbeitsplatz können entsprechend individuell belegt werden. „Im Normalfall überwacht der Fahrdienstleiter nur, ob die Züge planmäßig fahren. Bei Unregelmäßigkeiten oder Störungen muss er dagegen an vielen Stellen in den Systemen Anpassungen vornehmen und Anschlusszüge im Blick behalten“, so Nicolai Breden. „Es kann also sein, dass sich innerhalb einer Stunde in der Betriebszentrale alles ändert. Daher ist es wichtig, dass jeder Fahrdienstleiter die Monitorauswahl mittels MultiConsoling an seine Bedürfnisse anpassen kann, um in möglichst jeder Situation die optimale Handlungsgrundlage zu haben.“

Schnelle Reaktion in Stresssituationen

Darüber hinaus sind pro Arbeitsplatz nur noch zwei Maus-Tastatur-Einheiten vorhanden – eine aus sicherheitstechnischen Gründen allein für das Betriebssystem und eine zweite für alle anderen JST-Anwendungen. „Zusätzliche Geräte sind überflüssig, da unser System die Bedienfunktion ,MouseHopping‘ beinhaltet“, erklärt Dirk Lüders. „Der Fahrdienstleiter kann den Cursor mit der Maus zum Beispiel über alle Bildschirme an seinem Arbeitsplatz sowie hoch auf die Monitorwand ziehen – auch das vereinfacht die Bedienung.“ Für ein komfortables und intuitives Handling der verschiedenen Systeme sorgt zudem die sogenannte „myGUI“. In dieser interaktiven 3D-Bedienoberfläche für das MultiConsoling werden alle Konsolen der Arbeitsplätze und die Großbildwand als „Kontrollraumbild“ dargestellt, d. h. als grafisches Modell der Bedienzentrale. Alle benötigten Quellen sind links an der Seite abgebildet und können über ihre individualisierbaren Icons einfach auf den Bildschirm gezogen sowie bedient werden. Das sorgt besonders in Stresssituationen, wie etwa bei Störungen, für eine absolut sichere Steuerung.

In der „myGUI“ ist es zudem möglich, bestimmte Alarmszenarien einzurichten, sodass mit einem Mausklick beispielsweise alle Monitore so angeordnet werden, wie es die Situation erfordert. Dabei lässt sich auch eine spezielle Beleuchtung an den Kontrollraumpulten und der Großbildwand einbinden: Hier handelt es sich um das „AlarmLight“, das vom Monitoringsystem ansteuerbar ist. Es kann bspw. bei einer eingehenden Fehlermeldung blinken oder die Farbe wechseln. So wird die Aufmerksamkeit der Mitarbeiter augenblicklich eventgesteuert auf einen kritischen Alarm gelenkt. Ist ein Alarm eingegangen und die Situation erfordert besonders schnelles Handeln, gehören dank der grafischen Benutzeroberfläche lästige Aufschaltungen einzelner Systeme der Vergangenheit an. Ein Tastendruck reicht aus, um über vordefinierte „myActions“ alle gewünschten Szenarien auszulösen. Auch bei Schichtübergaben ist dies eine effektive Lösung.

„myGUI wird in der neuen Betriebszentrale rege genutzt, um Monitore aufzuschalten“, bestätigt Nicolai Breden. „Mittlerweile hat jeder Fahrdienstleiter einen Button, um die bevorzugte Monitoranordnung anzuzeigen und die Lieblingsversion des AlarmLight einzustellen.“

Im Gegensatz zur Situation im alten Stellwerk müssen die Mitarbeiter der neuen Betriebszentrale nicht mehr alle Quellen eigenständig überwachen. Sie können dafür auf die JST-Technik zurückgreifen: „Die Software ,PixelDetection‘ kann bestimmte Texte oder Farben in Bildschirmen erkennen. Sie lässt sich zum Beispiel so konfigurieren, dass sie beim Aufleuchten oder Blinken der voreingestellten Farbe einen Alarm auslöst“, so Lüders. Das Programm prüft dann einen Monitor permanent dahingehend, ob die Farbe auftaucht und meldet sich im Ereignisfall sofort beim Mitarbeiter, der damit einen besseren Überblick über alle Prozesse behält und noch schneller reagieren kann. „Dieses Feature wird in der evb-Betriebszentrale besonders in den Übergabebereichen zu den anderen Eisenbahnen genutzt, um ankommende Züge anzukündigen“, erklärt Nicolai Breden. „PixelDetection stellt sicher, dass der Fahrdienstleiter die Züge rechtzeitig bemerkt.“

Redundantes System sorgt für Ausfallsicherheit

Entscheidend war für die evb außerdem, dass das System ausfallsicher ist. Eine möglichst hohe Verfügbarkeit zählte zu den zentralen Anforderungen. Daher ist die gesamte Lösung in der Betriebszentrale darauf ausgelegt, auch in kritischen Situationen eine sichere Koordination der Züge zu gewährleisten: „Bei der evb ist unser MultiConsoling-System mit einer Vollredundanz im Einsatz“, erklärt Kontrollraumexperte Dirk Lüders. „Die Anlage ist so ausgelegt, dass bei einem Ausfall innerhalb weniger Sekunden ein Ersatz-System übernimmt. Dieses befindet sich permanent im Hot Standby, läuft also jederzeit parallel mit.“ Zusätzlich sind für alle Signalquellen und -ausgänge redundante Komponenten vorhanden. „Wenn ein Kanal ausfällt, passiert nichts. Die redundanten Körper sorgen dafür, dass die Kommunikation aufrechterhalten wird“, so Dirk Lüders.

Die neue Betriebszentrale der evb in Bremervörde ist seit Oktober 2019 erfolgreich im Einsatz. „Die Mitarbeiter haben nicht nur einen ergonomischen Arbeitsplatz erhalten, sondern auch alle Anwendungen durch die JST-Technik sofort griffbereit und damit einen besseren Überblick“, fasst Nicolai Breden die Situation zusammen. „Die Belastung des Personals konnte verringert werden, die Zufriedenheit ist gestiegen.“ Mit den neuen Räumlichkeiten und Systemen ist die evb nun für die Zukunft des Schienenverkehrs gut gerüstet: „Bereits 2019 gab es im Auftrag der Landesnahverkehrsgesellschaft Niedersachsen auf unserem Streckennetz einen Probebetrieb mit zwei wasserstoffangetriebenen Zügen“, so Nicolai Breden. „Der Test mit diesen Prototypen verlief so problemlos, dass derzeit in Bremervörde die weltweit erste Wasserstofftankstelle für Züge gebaut wird.“ Ab 2022 sollen alle Dieseltriebwagen der evb durch Wasserstofftriebwagen ersetzt werden. Die Infrastruktur, auf der diese Triebwagen unterwegs sein werden, wird von der Fahrdienstleitung in der neuen Betriebszentrale gesteuert.

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