Unwirksame Kündigung nach VOB/B wegen Mängeln vor der Abnahme

Das aktuelle Baurechtsurteil

Die Pflicht zur Mängelbeseitigung schon vor der Abnahme (§ 4 Abs. 7 VOB/B) ist ein Markenzeichen der VOB/B. Eine Kündigung aus wichtigem Grund, gestützt auf solche Mängel vor der Abnahme, hat der BGH jedoch in einem aktuellen Urteil gekippt, wenn die VOB/B nicht ohne Änderung vereinbart worden ist. Dann verstößt §§ 8 Abs. 3 VOB/B in Verbindung mit § 4 Abs. 7 VOB/B gegen AGB-Recht und ist unwirksam, wenn der Auftraggeber den Vertrag gestellt hat.

Sachverhalt

Die Klägerin wird mit Straßen- und Tiefbauarbeiten beim Ausbau einer Stadtbahnlinie von der Beklagten beauftragt. Die Auftragssumme beläuft sich auf ca. 3 Mio. € netto.

Dr. Harald Scholz, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht, Hamm.
Bild: medlay, Jörg Kersten

Dr. Harald Scholz, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht, Hamm.
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Während der Ausführung entsteht eine Meinungsverschiedenheit darüber, ob der eingebaute Beton an einem bestimmten Straßenabschnitt eine ausreichende Qualität hat. Die Klägerin beseitigt diesen Mangel – der mit einem Aufwand von rund 6.000 € in 2 bis 3 Arbeitstagen zu erledigen war – nicht. Denn sie versteht die vertraglichen Vorgaben anders.

Nach Fristsetzung und Kündigungsandrohung gemäß § 4 Abs. 7, 8 Abs. 3 VOB/B spricht die Beklagte die Kündigung des gesamten restlichen Vertrages aus.

Die Beklagte verlangt nun Schadensersatz für die Mehrkosten der restlichen Ausführung in Höhe von rund 4 Mio. €, die Klägerin steht auf dem Standpunkt, dass es sich um eine freie Kündigung handelt und verlangt Restwerklohn von 2,4 Mio. €.

Im Laufe des Rechtsstreits wird festgestellt, dass im Prinzip ein Mangel vorgelegen hat und dieser innerhalb der Fristsetzung mit Kündigungsandrohung nicht beseitigt wurde. Was die rechtliche Frage einer berechtigten Kündigung aus wichtigem Grund angeht, entscheiden die Instanzen unterschiedlich.

Entscheidung

Der BGH hat mit seinem Urteil vom 19.01.2023 (AZ.: VII ZR 34/20) die Weichen zugunsten der Auftragnehmerin (Klägerin) gestellt. Eine abschließende Entscheidung war nicht möglich, der BGH stellt aber fest, dass sich die ausgesprochene Kündigung nicht auf § 4 Abs. 7, 8 Abs. 3 VOB/B als wichtigen Grund stützen konnte. Dies funktioniert aus rechtlichen Gründen nicht.

Die VOB/B ist zwar auf Anweisung des Gesetzgebers dem Zugriff des AGB-Rechts entzogen. Dies gilt aber nur dann, wenn sie als Gesamtpaket ohne Änderungen vereinbart ist (vgl. § 310 Abs. 1 Satz 3 BGB). So war ebenfalls die Rechtsprechung des BGH seit etwa 20 Jahren.

Die Voraussetzungen liegen hier nicht vor. In den Vertrag sind besondere Vertragsbedingungen des Hauptauftraggebers einbezogen worden. Diese enthalten teilweise Abweichungen von den Regelungen der VOB/B.

Das AGB-Recht findet daher Anwendung. Der BGH hat für den Augenblick zu unterstellen, dass der Auftraggeber Verwender der Vertragsbedingungen gewesen ist und prüft die Klauseln unter diesem Blickwinkel.

Danach ist die Kündigungsklausel wegen Mängeln vor Abnahme unwirksam. Denn der Wortlaut von §§ 4 Abs. 7, 8 Abs. 3 VOB/B schließt nicht aus, dass auch schon wegen kleiner, unwesentlicher Mängel eine Kündigung des Gesamtvertrages ausgesprochen wird. Darin liegt eine unangemessene Benachteiligung des Auftragnehmers nach AGB-Recht (§ 307 BGB).

Die weiteren offenen Fragen wird nun das wieder zuständige Oberlandesgericht zu klären haben.

Praxishinweis

Wahnsinn! Durch die Konfrontation der Vertragsparteien, gemischt mit rechtlichen Feinheiten, entsteht ein explosiver Cocktail, aus einem kleineren Mangel wird ein Millionenschaden. Wie konnte es so weit kommen?

Die Parteien waren äußerst risikobereit. Wegen eines Streits um Mängel im Wert von 6.000 € eine Kündigung eines umfangreichen Vertrages mitten in der Vertragsdurchführung zu riskieren, ist absolut waghalsig. Vielleicht kennen wir auch nicht die ganze Geschichte.

Diese Risikobereitschaft traf auf eine gefährliche Rechtslage. Ein paar aufgefundene – für den Fall völlig unwichtige – Zusatzklauseln haben den Fall entschieden. Die Privilegierung der VOB/B durch den Gesetzgeber endet eben, wenn die Parteien die VOB/B nicht als Paket nehmen, sondern daraus einen eigenen Vertrag „stricken“. Und dann setzt eben die Kontrolle des AGB-Rechts auf unfaire Klauseln ein.

Lösung 1 ist nun, die VOB/B wirklich ohne jede Abweichung zu vereinbaren. Der Fall deutet aber an, dass das im Wust der Dokumente manchmal gar nicht so leicht ist und von irgendwoher Zusatzbedingungen „hineinrutschen“ können.

Lösung 2 ist es, die VOB/B in der nächsten Fassung von Klauseln zu befreien, die für sich betrachtet einen der Vertragspartner unfair benachteiligen. Mir leuchtet jedenfalls nicht ein, warum die VOB/B nur funktioniert, wenn man unfaire Einzelregelungen einbaut.

Bis dahin steht die Praxis vor echten Problemen: Können ausgesprochene Kündigungen wegen Mängeln vor Abnahme eventuell nach BGB gerettet werden? Und wie kann man jetzt noch einen Anspruch auf Mangelbeseitigung vor Abnahme durchsetzen? Die Kosten der Beseitigung sollten nach bisheriger Rechtslage nur über eine (Teil-) Kündigung beim Auftragnehmer geltend gemacht werden können. Die Baujuristen müssen nachdenken…

Schlünder Rechtsanwälte Partnerschaft mbB

Mit 20 Rechtsanwälten, davon sieben Fachanwälten für Bau- und Architektenrecht, berät und vertritt die Sozietät Mandanten aus verschiedenen Branchen auf allen wichtigen Rechtsgebieten bundesweit. Die Sozietät hat sich auf das Bau- und Architektenrecht spezialisiert und vertritt Architekten und Ingenieure, ausführende Unternehmen und Bauherren in allen Fragen dieses Rechtsgebiets.

www.schluender.info

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