Erfolgreiche Sektorenkopplung mit Wasserstoff

Ein Interview zu den Potenzialen von H2

Ohne Wasserstoff sei die Energiewende nicht möglich, erklären Experten aus Technologie, Wirtschaft und Politik. Dennoch werden im öffentlichen Diskurs viele kritische Fragen gestellt, z. B. bezüglich der Effizienz, der Marktreife von Wasserstoff und den Einsatzmöglichkeiten in der Wärmeversorgung. Die tab-Redaktion hat dem Wasserstoffexperten Tino Krüger, Senior Product Manager bei H-TEC Systems, diese und weitere Fragen gestellt.   

tab: Es heißt, dass nur „grüner“ Wasserstoff zum Umweltschutz beiträgt. Können Sie das erläutern?

Tino Krüger: Bei der Verbrennung von Wasserstoff entsteht lediglich Wasserdampf und es werden keine umweltschädlichen Stoffe freigesetzt, deswegen gilt das Gas als klimafreundlich. Wenn die Energie zur Wasserstoffproduktion jedoch aus fossilen Brennstoffen kommt, dann trifft dieses Argument nur bedingt zu. In diesem Fall wird von „grauem“ Wasserstoff gesprochen. „Grüner“ Wasserstoff wird durch die Elektrolyse von Wasser hergestellt, wobei hier ausschließlich Strom aus erneuerbaren Energien eingesetzt wird. Die Produktion von „grünem“ Wasserstoff durch PEM-Elektrolyse (PEM = Proton Exchange Membrane) erfolgt daher komplett CO2-frei. Zudem eignet sich der „grüne“ Wasserstoff als Speichermedium für erneuerbare Energien und er lässt sich bspw. zum Ausgleich von Schwankungen im Stromnetz nutzen, da er sich komfortabel und über einen langen Zeitraum im Erdgasnetz oder in Tanks speichern lässt.

tab: Wie aufwändig ist die Wasserstoffproduktion bzw. wie hoch sind die Effizienzverluste?

Tino Krüger: Die Faustregel lautet, dass bis zu 25 % der Energie bei der Herstellung von Wasserstoff in Form von Wärme verloren geht. Je nach Verfahren ist dieser Prozentsatz heute bereits geringer. Wenn diese Wärme aufgefangen und in ein Wärmenetz eingespeist wird, kann der „Effizienzverlust“ als Energiequelle für andere Anwendungen nutzbar gemacht werden. Die nachhaltig gewonnene Energie kann z. B. ins Fernwärmenetz eingespeist oder direkt zum Beheizen von Wohn- und Geschäftsräumen genutzt werden. Unser PEM-Elektrolyseur „ME450“ erlaubt bspw. die Nutzung der Abwärme durch unsere optionale Wärmeauskopplung. So lassen sich weite Teile der Wärmeffizienzverluste abfangen und nutzbar machen, z. B. für Vorwärmprozesse in der Chemieindustrie. Dadurch steigert sich die Gesamteffizienz des Elektrolyseurs auf über 90 %. Der Aufwand bei diesem Gerät ist im Vergleich zu anderen Elektrolysetechnologien überschaubar. Da er als containerisierte Turn-Key-Lösung konzipiert ist, wird neben einem Bündel Stickstoff und einer Frischwasserzufuhr nur ein Transformator benötigt, der 1 MW in den Elektrolyseur einspeist.

tab: Wie hoch sind die Kosten für die Wasserstoffproduktion?

Tino Krüger: Da die Erzeugung von Wasserstoff mittlerweile sehr ausgereift und technologisch beherrschbar ist, kann die Produktion bei entsprechender Nachfrage zügig hochgefahren werden. Bei Technologien und Verfahren sinken die Preise immer deutlich, sobald die Produktionskapazitäten steigen. Die sinkenden Preise für regenerativen Strom verringern die Kosten zur Herstellung von „grünem“ Wasserstoff zusätzlich, da bis zu 75 % der entstehenden Kosten für die PEM-Elektrolyse auf den Strombedarf zurückzuführen sind. Investitions- und Wartungskosten stellen im Optimalfall hingegen lediglich ca. 25 % des finanziellen Bedarfs dar. Sinkt also der Strompreis, so sinken auch die Kosten für den „grünen“ Wasserstoff der PEM-Elektrolyse. Besonders in Hinblick auf die gestiegenen Gaspreise wird „grüner“ Wasserstoff lukrativer. Das Hydrogen Council, ein Verband von über 90 internationalen Unternehmen, erwartet bei vielen Wasserstoff-Anwendungen in den kommenden zehn Jahren eine Halbierung der Kosten. Damit wird die Wettbewerbsfähigkeit für noch mehr Anwendungsgebiete eröffnet.

tab: Sie haben erwähnt, dass die Erzeugung von Wasserstoff mittlerweile sehr ausgereift ist. Demnach wird „grüner“ Wasserstoff kurz- oder mittelfristig in ausreichenden Mengen zur Verfügung stehen?

Tino Krüger: Branchenveranstaltungen, bspw. die Hannover Messe oder die Husum Wind, zeigen bereits seit mehreren Jahren, dass selbst der neuere „grüne“ Wasserstoff keine Zukunftsvision mehr ist. Projekte aus der Praxis verdeutlichen dabei u. a., wie sich durch das Zusammenspiel von Bürgerwind- und Solarparks mit der Erzeugung von „grünem“ Wasserstoff eine erfolgreiche Sektorenkopplung umsetzen lässt. Durch die Sektorenkopplung, sprich die Vernetzung der drei Sektoren der Energiewirtschaft – Elektrizität, Wärmeversorgung und Mobilität –, werden Projekte deutlich nachhaltiger und wirtschaftlicher. Wasserstoff wird in diesem Zusammenhang bereits heute wirtschaftlich für grüne Mobilität, die Wärmeversorgung und die Einspeisung in regionale Energienetzte genutzt. So können aktuell bereits 10 % und mehr ins Erdgasnetz eingespeist und gespeichert werden.

tab: Sie sprechen an, dass Wasserstoff in verschiedenen Sektoren eingesetzt wird. Welche Rolle spielt dabei die Wärmeversorgung? Oder anders gefragt: Werden wir künftig unsere Gebäude mit Wasserstoff heizen, oder erhalten andere Bereiche den Vorzug?

Tino Krüger: Als Beimischung ins bestehende Gasnetz kann Wasserstoff einen soliden Anteil leisten, um die CO2-Bilanz im Bereich der Wärmeversorgung zu verbessern. Ein 1 MW PEM-Elektrolyseur „ME450“ produziert pro Tag bis zu 450 kg Wasserstoff. Wird dieser ins Erdgasnetz eingespeist, können damit jährlich 60 Einfamilienhäuser versorgt werden.  Wahrscheinlicher ist jedoch die Anwendung in energieintensiven Industriezweigen wie in der Chemie- oder Stahlindustrie. Auch der maritime Transportbereich wird von der Wasserstoffentwicklung profitieren. Bereits heute laufen Schiffsantriebsmotoren mit bis zu 20 % Wasserstoffbeimischung.

tab: H-TEC Systems entwickelt PEM-Elektrolyseure und Elektrolyse-Stacks für die „grüne“ Wasserstofferzeugung. In welchen Projekten werden diese eingesetzt?

Tino Krüger: Unsere PEM-Elektrolyse-Technologie ist speziell für die Herstellung von „grünem“ Wasserstoff und damit die Sektorenkopplung konzipiert. Somit können wir aus erster Hand die steigende Nachfrage aus Industrie und Kommunen bestätigen. Wir erweitern kontinuierlich unsere Produktionskapazitäten und werden Anfang 2024 eine hochmoderne Fabrik zur Serienfertigung von PEM-Stacks fertigstellen. Bereits heute sind unsere Elektrolyseure bei Projekten in ganz Europa im Einsatz, die zeigen, wie wirtschaftlich und nachhaltig „grüner“ Wasserstoff eingesetzt werden kann – ob es sich um ein Wasserstoff-Infrastrukturprojekt in Schleswig-Holstein, ein emissionsfreies Microgrid in Schweden oder die Gasnetzeinspeisung für weniger CO2 Emissionen in Norddeutschland handelt. 

Projektbeispiel „eFarm Nordfriesland“

Ob Mobilität, Industrie oder Wärme: Im größten deutschen Wasserstoff-Mobilitätsprojekt „eFarm“ zeigt H-TEC Systems, wie die Energiewende mit PEM-Elektrolyse gelingen kann. Das Wasserstoffverbundnetz „eFarm“ im Kreis Nordfriesland (Schleswig-Holstein) setzt insgesamt fünf „ME100“ Elektrolyseure des Herstellers ein, die aus Trinkwasser und Strom jeweils bis zu 100 kg Wasserstoff am Tag gewinnen können. Die Nominallast beträgt je Gerät 225 kW, die Energiequelle ist überschüssiger, regional erzeugter Strom aus Windkraftanlagen. Per PEM-Elektrolyse wird der Strom in Wasserstoff umgewandelt, vor Ort in Drucktanks gespeichert und regelmäßig durch ein Druck-Tankfahrzeug zu zwei Wasserstoff-Tankstellen transportiert. Dort steht der gewonnene Wasserstoff für Brennstoffzellen-Fahrzeuge im öffentlichen Nahverkehr sowie dem Individualverkehr zur Verfügung. Die Abwärme aus dem Prozess fließt in die regionale Wärmeversorgung von Industrie und privaten Haushalten. Damit erreichen die Elektrolyseure eine Effizienz von bis zu 90 % und mehr. Die jährliche CO2-Einsparung beträgt ca. 322 t/Bus (ÖPNV) plus weitere 800 t bei Nutzung der Prozesswärme.

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