Wind- und Solaranlagen im Post-EEG-Betrieb

Power-to-Heat Vorzeigeprojekt Bosbüll

Über ein durchdachtes Power-to-Heat-Konzept, das elektrische Energie aus Wind- und Solaranlagen in thermische Energie wandelt, bezieht die 250-Seelen-Gemeinde Bosbüll nachhaltige Wärme aus dem eigenen Fernwärmenetz. Grüne Wasserstoffproduktion macht die Kopplung der Sektoren Energie, Mobilität und Gebäude zum energietechnologischen Leuchtturmprojekt.

Das über das Förderprogramm „Wärmenetzsysteme 4.0“ des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa) bezuschusste Projekt verdeutlicht eindrucksvoll Perspektive, Strategie und Technologie einer nachhaltigen Sektorenkopplung.

Ausgangslage

Die Bosbüller Bürgerwind- und Solarparks trugen lange Zeit zur ökonomischen Stabilität der kleinen Gemeinde in Schleswig-Holstein bei. Als Ende 2021 die EEG-Förderung für zwei der Windenergieanlagen auslief, schienen finanzielle Einbußen zunächst unvermeidlich. Weitere Anlagen werden in den kommenden Jahren, der Freiflächensolarpark Ende des Jahrzehnts aus dem Förderrahmen fallen. Mit Umsetzung einer umfassenden Sektorenkopplung sind die Ü20-Energieerzeuger heute wirtschaftlich im „Post-EEG-Einsatz“ und präsentieren eine ökologische, weitestgehend fossilfreie Versorgungslösung. Allein durch ihre Power-to-Heat-Anlage spart die nordfriesische Gemeinde jährlich 180.000 l Heizöl. Zudem bringt die lokale Energiebezugslösung den Vorteil einer weitgehenden Marktunabhängigkeit, sowohl hinsichtlich der Versorgungssicherheit als auch dem Schutz vor Preisvolatilität.

In Zeiten geforderter Energietransformation hin zur Klimaneutralität besitzt das Modell Bosbüll mehr als nur Signalwirkung. Entsprechend soll das Projekt im Rahmen des 7. Energieforschungsprogramms der Bundesregierung als Wegbereiter und Wegweiser für den Energiesektor aufbereitet werden. Das interdisziplinäre Verbundvorhaben „OptiNetz“ (Projektmitglieder sind u. a. die GP Joule und Yados GmbH) hat zum Ziel, die Erfahrungen und das Wissen aus der Bosbüller Sektorenkopplung in KI-basierte, anwendungsorientierte und übertragbare Betriebsstrategien für nachhaltige Wärmenetze zu überführen. Ein abschließender Leitfaden soll Energieversorger und Netzbetreiber künftig dabei unterstützen, die zügige Dekarbonisierung des Wärmesektors und Stabilisierung des lokalen Strommarktes weiter voranzutreiben.

Beteiligte Partner

Die Konzeption, Planung und Umsetzung des Bosbüller Gesamtprojektes übernahm GP Joule mit Sitz in Schleswig-Holstein. Das Unternehmen, spezialisiert auf Erneuerbare-Energie-Projekte und intelligente Speichertechnologien, zählt zu den Pionieren der Sektorenkopplung. Die Zusammenarbeit mit der Gemeinde Bosbüll besteht seit 2009. Damals projektierte und realisierte GP Joule den örtlichen Solarpark und ist seitdem für die technische Betriebsführung zuständig.

Gemeinsam mit dem „Windpark Bosbüll“ ist das Unternehmen Gesellschafter der Bosbüll Energie GmbH sowie Initiator des „eFarm“ Verbundprojektes, Deutschlands größtem nachhaltigen Wasserstoff-Mobilitätsprojekt für eine modular erweiterbare H2-Infrastruktur im Kreisgebiet Nordfriesland. Das Projekt beschreibt die komplette Power-to-X-Wertschöpfungskette von der Stromerzeugung durch erneuerbare Energiequellen über die Gewinnung von CO2-neutralen Wasserstoff bis hin zu dessen Nutzung als Kraftstoff.

Die technische Ausführung der Power-to-Heat-Lösung stammt von Yados aus Hoyerswerda. Die vom Unternehmen entworfene und gefertigte Energiezentrale mit einer Yados-Hydraulikstation zur Wärmeverteilung und einem „Hoval Max-3“ (500 kW | 110 MWh) Gasheizkessel zur Spitzenlastabdeckung bildet den Ausgangspunkt der Wärmenetzführung. Die Spezialisten für objektbezogene Anlagenplanung und Fertigung von Wärmenetz-Systemkomponenten lieferten und installierten darüber hinaus das integrierte Leit- und Kommunikationssystem „Yado|Link“ zur Steuerung der Energiezentrale und des Fernwärmenetzes sowie Smart-Home-fähige Wärmeübergabestationen, die das Fernwärmenetz mit den Gebäudeheizungsanlagen verbinden.

Wärmeversorgungskonzept

Drei vorlaufgeregelte Luft-Wärme-Pumpen mit einer Gesamtleistung von 240 kW sowie ein Wärmespeicher mit integriertem 750 kW Elektroheizeinsatz sorgen in Bosbüll für Power-to-Heat. Durchschnittlich 820 MWh Wärmeenergie stellen die Wärmepumpen aus Wind- und Solarstrom für das Wärmenetz zur Verfügung. Der Elektroheizstab generiert aus der erneuerbaren elektrischen Energie ca. 370 MWh thermische Energie, die zur Erwärmung eines 14 m hohen Wärmespeichers (84 m3) genutzt wird. Bis zu vier Wochen kann die Wärmenergie zwischengespeichert werden. An das bislang knapp 3 km lange Fernwärmenetz sind aktuell 25 Bosbüller Haushalte mit jährlich rund 500 MWhtherm sowie ein landwirtschaftlicher Großbetrieb zur Muttersauenzucht mit etwa 600 MWhtherm thermischem Energiebedarf angeschlossen.

Schlüsselrolle der Hydraulikstation

Damit das thermische Gesamtenergiesystem sein technisch mögliches Potenzial ausschöpfen kann gilt es, die aufeinander abgestimmten Erzeuger und Verbraucher möglichst nah an ihrem jeweiligen Wirkungsgradoptimum zu betreiben. Die Hydraulikstation übernimmt das ausbalancierte Zusammenwirken von Energieerzeuger, Wärmeerzeuger, Wärmespeicher und Wärmeverteiler und stellt sicher, dass die thermische Energie unter Verwendung möglichst geringer Antriebsenergie zur richtigen Zeit in der richtigen Menge am richtigen Ort zur Verfügung steht. Gleichzeitig verbessert die Station die Temperaturschichtung im Wärmespeicher und bindet diesen hydraulisch so ein, dass nur Lade- und Entladevolumenströme durch den Speicher fließen.

Überdies bewirken niedrige Rücklauftemperaturen einen stabilen und wirtschaftlichen Fernwärmenetzbetrieb. Sie beeinflussen nicht nur die Volumenströme, die Übertragungskapazität und den elektrischen Pumpenaufwand, sondern minimieren gleichzeitig Strömungs- und Wärmeverluste. In Bosbüll unterstützen Vorlauftemperaturen von 70 bis 85 °C und Rücklauftemperaturen von rund 50 bis 55 °C den effizienten Netzbetrieb.

Blick auf die Wärmeübergabe

Auch die eingesetzte Wärmeübergabetechnologie hat Auswirkungen auf den Netzbetrieb. Je exakter eine Wärmeübergabestation arbeitet, desto effizienter und bedarfsgerechter gestaltet sich die Netzführung. Als ­regulierende Verbindungseinheit zwischen der Versorgerseite und der hydraulisch durch einen Platten-Wärmeübertrager getrennte Verbraucherseite leiten die Übergabestationen das Wärmemedium je nach aktueller Abnahmeanforderung, Temperatur und Druck weiter. Integrierte Direct-Digital-Control-Regelungen (DDC) berechnen dabei die erforderlichen Vorlauftemperaturen unter Einbezug aller relevanten, externen und individuell definierten Parameter wie Witterungsverhältnisse oder Zeit- und Komfortvorgaben der Nutzer.

Effiziente Elektrolyse

Insgesamt fünf Polymer-Elektrolyt-Membran-Elektrolyseure (PEM) sind mittlerweile über vier Standorte in Nordfriesland verteilt. Zwei davon stehen in Bosbüll. Die im Wärmenetz integrierten Systeme der Augsburger H-Tec Systems, ehemals Tochterunternehmen der GP Joule, produzieren mit einer Gesamtleistung von 450 kW täglich insgesamt etwa 200 kg Wasserstoff (H2) aus dem regional erzeugten Solar- und Windstrom. Das modulare Konzept kann jederzeit erweitert werden, um bei Bedarf die Produktionskapazität zu erhöhen. Die Elektrolyseure kommen auf einen Wirkungsgrad von bis zu 95 %. Das gelingt auch, weil die Abwärme der Wasserstoff-Erzeugung dem Wärmenetz zugeführt bzw. im Wärmespeicher zwischengepuffert wird.

Der grüne Wasserstoff geht an zwei H2-Tankstellen in Niebüll und Husum. Dort sorgt eine Verdichtungsanlage für die notwendigen Betankungsdrücke von 350 bar für Busbetankungen und weitere Nutzfahrzeuge mit 350-bar-Tanks sowie 700 bar für Pkw und leichte Nutzfahrzeuge.

Komplexe Leittechnik

Das exakte Zusammenspiel von Komponenten spielt eine Schlüsselrolle wenn es darum geht, gekoppelte regenerative Energiesysteme auf ein hohes Effizienzniveau zu heben. Dafür sorgen intelligente Leit- und Kommunikationssysteme, die mit anforderungsspezifisch zugeschnittener Mess-, Steuerungs- und Regelungstechnologie (MSR) in der Lage sind, komplexe übergeordnete Steuer- und Regelungsaufgaben zu lösen. Dadurch können sämtliche Energieströme, -erzeuger und -verbraucher in die multidimensionalen Gesamtenergiesysteme integriert und präzise abgestimmt betrieben werden.

In Bosbüll koordiniert, steuert, regelt und visualisiert die übergeordnete Leittechnik „Yado|Link“ die Erzeugungs-, Verteil- und Übergabeprozesse der eingebundenen Erzeuger und Wärmeübergabestationen inkl. DDC-Reglern. Vernetzte Sensoren, Aktoren und modulare Regelungseinheiten erfassen und verarbeiten anlagenrelevante Daten wie Temperaturen, Massenströme oder Leistungen. Kommt es zu Abweichungen auf Erzeuger- oder Verbraucherseite, greift eine Regelungsfunktion und passt den Betrieb der betreffenden Komponenten an. Im akuten Bedarfsfall kann automatisiert oder manuell in laufende Produktions-, Speicher- oder Verteilvorgänge eingegriffen werden.

Eine kontinuierliche Auswertung von systemeigenen Soll- und Ist-Daten erlaubt es, die Anlagenführung reaktiv zu korrigieren und weiter zu optimieren, indem aus den gewonnenen Daten wiederkehrende Trends oder langfristige Prognosen abgeleitet werden. Erfahrungsgemäß können über die datenbasierte Überwachung und Steuerung der Anlagenfahrweise und exakt ausgeregelte Rücklauftemperaturen durchschnittlich 8 bis 10 %, in nutzungsintensiven Einsatzbereichen bis zu 30 % Primärenergie eingespart werden.

Lösung mit Perspektive

Die Speicherung großer Mengen erneuerbarer Energien über einen längeren Zeitraum gilt weiterhin als schwierig, wenn nicht gar als Stolperstein der Energiewende. Entsprechend greifen bei volatilen Lastspitzen, die zur Überlastung der Übertragungsnetze führen können, weiterhin umfassende Netz- und Systemsicherheitsmaßnahmen wie das Einspeisemanagement nach § 14 EEG 2021. Die Erneuerbaren werden abgeriegelt und die grüne Energie verpufft. So betrug das Volumen für Netzengpassmanagement in der ersten Hälfte des vergangenen Jahres insgesamt 20,8 TWh. Das entspricht einem Anstieg von 69 % im Vergleich zu 2021, davon entfielen etwa 5,4 TWh auf erneuerbare Energien.

Eine nachhaltige Dekarbonisierung durch verstärkten Einsatz erneuerbarer Energiequellen setzt also nicht nur den Ausbau von Windkraft- und Solaranlagen voraus, sondern erfordert gleichzeitig und vor allem die Flexibilisierung des Stromnetzes, um die volatilen und höheren Stromerträge aus Wind und Sonnenkraft über den aktuellen Bedarf hinaus nutzen bzw. in die Energiesysteme einbinden zu können. Eine gangbare Alternative ist die Umwandlung überschüssiger regenerativer Energie in Wärme bzw. thermische Last oder andere Energieträger. Das Bosbüller Power-to-X nutzt ganz gezielt die Überschusserträge aus den Wind- und Solarparks und es wird zu keiner Zeit elektrische Leistung aus dem öffentlichen Netz bezogen. Auf diese Weise arbeitet die Anlage außerordentlich wirtschaftlich und klimaschonend.

Für Kommunen, Gemeinden und Betreiber von Ü20-Anlagen bieten ausgereifte Power-to-X Lösungen eine ökonomisch und ökologisch attraktive Möglichkeit, überschüssige elektrische Energie aus Erneuerbare-Energien-Anlagen nachhaltig zu nutzen - insbesondere, wenn Planungs-, System- und Fertigungskompetenz das technisch mögliche Potenzial und die Synergieeffekte einer Sektorenkopplung wie in Bosbüll umfassend ausschöpfen. Auch für die auf der Zielgerade befindliche gesetzliche Verpflichtung zur kommunalen Wärmeplanung, die den Umbau von Wärmeerzeugung, Wärme- und Heizinfrastruktur hin zu einer klimaneutralen Wärmeversorgung fordert, kann Power-to-X zukunftsfeste Konzepte liefern.

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