Integrale Planung von Industriebauten
Basis und Ergebnisse einer umfassenden digitalen VernetzungParallel zum stetig höheren Anspruch der Gebäudewirtschaft in puncto Effizienz, Komfort und Vernetzung wandelt sich auch der Planungsprozess deutlich. Gefragt ist eine integrale Vorgehensweise. Wie diese aussehen kann und warum dazu alle am Bau beteiligten Akteure frühzeitig eng zusammenarbeiten müssen, zeigt ein Blick in die Praxis.
Gebäude sind heute weit mehr als das sprichwörtliche Dach über dem Kopf: Diese Aussage wird durch eine Vielzahl von Funktionen belegt, die im Rahmen einer Sektorenkopplung über die bekannten Aufgaben wie Leben, Arbeiten, Produzieren und Lagern hinausgehen. Bei der Sektorenkopplung innerhalb einer All Electric Society sind zukünftig immer mehr Gebäude mit regenerativen Energieerzeugungsanlagen, Ladesäulen, Fertigungsmaschinen sowie elektrischen Speichersystemen verbunden. Ziel ist es, grüne elektrische Energie überall dort zuverlässig zur Verfügung zu stellen, wo sie gerade benötigt wird. Eine entsprechende Vernetzung unterschiedlicher Aufgaben und Sektoren erfordert zur Umsetzung in der Regel eine integrale Planung.
Alle Baubeteiligten frühzeitig einbeziehen
Für Architekt Florian Brandstetter bildet die ganzheitliche Betrachtung von ökonomischen, ökologischen, gestalterischen und soziokulturellen Zielsetzungen den Kern der integralen Planung. Um diese realisieren zu können, verlässt der auf Industriegebäude spezialisierte Architekt aus Bad Pyrmont „die chronologisch geprägte konventionelle Planung“. Stattdessen spricht sich Brandstetter für einen Planungsprozess aus, „der von Beginn an möglichst sämtliche Baubeteiligten an einen Tisch bringt“. „Das unterscheidet die neue Herangehensweise ganz klar von der bisherigen Zusammenarbeit auf der Baustelle“, so der Architekt. Ein Kompetenzgerangel hat er in seinem Tätigkeitsbereich bislang nicht feststellen können, wohl aber eine veränderte Rolle seines eigenen Berufsbilds. „Der Architekt hat weiterhin die Verpflichtung, ein Bauprojekt zu koordinieren. Gleichzeitig erhält er immer mehr Stellräder, an denen er bei dessen Umsetzung drehen kann“, erläutert Brandstetter und ergänzt: „Wir müssen mehr wissen, damit wir als Architekt auf Augenhöhe der verschiedenen Fachdisziplinen mitdiskutieren können.“ Dabei geht es vor allem um die technische Gebäudeausstattung (TGA), die bei nachhaltig konzipierten Hochbauten einen stetig größeren Stellenwert einnimmt. Für viele Architekten stellt dies ohne Frage eine neue interessante Herausforderung dar.
Dies spiegelt sich z. B. auch bei dem derzeitigen Industrieneubau von Phoenix Contact an seinem Hauptsitz im lippischen Blomberg wider. Das Unternehmen investiert hier rund 30 Mio. Euro in ein neues Produktionsgebäude inklusive Logistikflächen und Kantine. Im als „G60“ bezeichneten Bauwerk soll eine Nutzfläche von etwa 18.500 m² Raum für 400 Arbeitsplätze bieten und im Jahr 2023 einen Meilenstein in Bezug auf Nachhaltigkeit setzen.
Modulare Planung spart Zeit und Geld
Die frühzeitige enge Kooperation der Baubeteiligten verändert auch die Arbeit der TGA-Experten. „Wir warten nicht mehr, bis wir einen fertigen Grundriss vom Architekten bekommen“, erklärt Matthias Harland, Projektverantwortlicher bei der Elplan GmbH. Das Unternehmen aus Minden erhielt von Phoenix Contact den Auftrag für die TGA-Konzeption des neuen Gebäudes G60. Die geänderte Herangehensweise ermöglicht zudem eine modulare Planung, was unter dem Strich Zeit und folglich Geld einspart. Als Beispiel nennt Harland die von der Gebäudearchitektur entkoppelte Planung des Energieerzeugungssystems. „Wir konnten zeitig mit der Bewertung starten, welche Technik hier für G60 am besten geeignet ist.“ Zuerst dachten die TGA-Experten von Elplan über Geothermie nach, haben sich jedoch für eine Kombination aus Wärmepumpe und Eisspeicher entschieden.
„Wenn ich ein energieeffizientes, intelligentes Gebäude errichten will, funktioniert das lediglich mit einer integralen Planung“, betont Matthias Unruhe ebenfalls, der die Sicht des Bauherrn vertritt. „Daher muss das Zusammenspiel zwischen Architektur und Technik einfach passen.“
Die am Projekt Beteiligten treffen sich regelmäßig, um die Planungsstände zu besprechen und sich auszutauschen. Je nach Baufortschritt werden die Zeitintervalle kürzer: in der Konzeptionsphase einmal pro Monat, während der Entwurfsphase alle zwei Wochen und im Zuge der Umsetzung wöchentlich. In den Meetings erörtern und verteilen die Teilnehmenden die Aufgabenpakete, die in der folgenden Zusammenkunft vorgestellt und diskutiert werden.
Der im Blomberger Facility Management tätige Engineering-Spezialist berichtet ferner, dass Phoenix Contact bei der Integration über die Technik hinaus noch einen Schritt weiter gegangen ist: Das Unternehmen hat die späteren Nutzer aktiv in die Planung einbezogen. „Wir haben die Wünsche der Mitarbeitenden abgefragt, und es kamen wirklich gute Ideen zu Tage, die jetzt realisiert werden. Dazu gehört die Information, welche Besprechungsräume frei sind oder wieviel Fahrräder für die Servicemonteure bereitstehen. Das war ein sehr interessanter Prozess“, stellt Unruhe fest. Unter dem Motto „New Work“ hat Phoenix Contact zum ersten Mal eine solche Befragung durchgeführt.
Wichtige Rückschlüsse aus den Daten ziehen
Die Bündelung unterschiedlicher Einzeldisziplinen in einer gemeinsamen Planung führt dazu, dass Gebäude nachhaltig, flexibel und intelligent sind. Doch was steckt im Detail hinter smarten Lösungen? Welcher greifbare Nutzen lässt sich durch die Digitalisierung erzielen, damit der Ansatz nicht zu einer abstrakten Worthülse verkommt? Matthias Unruhe verweist in G60 auf die Anbindung sämtlicher Sanitärarmaturen an die Gebäudeleittechnik. Ein solches Beispiel mag auf den ersten Blick speziell erscheinen, zeigt aber bei einer genaueren Betrachtung, was Sensorik und Steuerungsfähigkeit in der Gebäudewirtschaft leisten können. Zunächst liefern die Armaturen nur Daten über Wasserverbräuche und Spülzeiten. Die Informationen sollen keine Rückschlüsse darüber geben, wie häufig die Mitarbeitenden die Sanitärräume benutzen. Aus den Daten lässt sich allerdings ableiten, welche Sanitärräume in welcher Frequenz aufgesucht werden. „Dieses Wissen erweist sich für uns als wertvoll, unter anderem im Hinblick auf die Hygiene im Versorgungsnetz“, erläutert Matthias Unruhe. „Das Facility Management sieht, wo ausreichend Wasser gezapft wird, und wo sich Probleme aufgrund von stehenden Wassersträngen ergeben können.“ Darüber hinaus lässt sich das Reinigungspersonal besser einteilen, denn warum zweimal täglich säubern, wenn die Toiletten lediglich selten in Betrieb sind.
Spätere Umnutzung von Räumlichkeiten
In eine ähnliche Richtung gehen die Ziele bei den geplanten Besprechungsräumen. Nach Auskunft von Matthias Unruhe lässt sich durch die Auswertung der entsprechenden Sensordaten genau ermitteln, ob gebuchte Räume später tatsächlich verwendet worden sind, und welcher der Räume besonders gerne von den Mitarbeitenden frequentiert wird. Dabei kann bereits die Nähe zu einer Kaffeeküche oder zum Empfangsbereich für die Besuchenden ausschlaggebend sein. Sind geeignete Daten durch die Digitalisierung des Gebäudes vorhanden, hat das Facility Management die Möglichkeit, daraus Informationen zum Nutzungsverhalten zu ziehen und unter Umständen steuernd einzugreifen. Nach dem Bezug von G60 könnten bei einer ersten Umstrukturierung wenig gebuchte Räume einer Umnutzung unterzogen werden. Auf diese Weise sind die Gebäudebetreiber in der Lage, den verfügbaren Raum effizienter und nutzerorientierter einzusetzen.
Neben den Möglichkeiten, die die Digitalisierung generell bietet, muss das Gebäude baulich-konstruktiv flexibel sein, sodass bei Nutzungsänderungen keine gravierenden und somit kostspieligen Komplettumbauten notwendig werden. Die Weichen dafür sind im neuen Produktionsgebäude in Blomberg gestellt, auch wenn Phoenix Contact sich erst einmal auf dessen Einweihung im Sommer 2023 vorbereitet – und sich damit selbst ein Geschenk zum 100-jährigen Bestehen des Unternehmens macht.
Einfache Übertragung auf zukünftige Bauwerke
Als weiteres Ziel arbeitet das Facility Management daran, G60 über die äußere Hülle hinaus innerhalb der gesamten Liegenschaft in Blomberg zu vernetzen. So lassen sich beispielsweise Energieflüsse übergreifend harmonisieren und bilanzieren. An dieser Stelle greift ein weiteres Mal das Ziel der All Electric Society, die Phoenix Contact mit Blick auf die Nachhaltigkeit zum Unternehmenszweck erklärt hat. Es geht darum, einen Meilenstein in der Gebäudetechnik im Hinblick auf Energieeffizienz zu setzen. Gleichzeitig soll Raum geschaffen werden, in dem das Arbeiten Spaß macht und sich nachhaltige Technik hautnah erleben lässt. Für Phoenix Contact stellt Gebäude 60 deshalb einen wichtigen Blueprint dar, also ein reales Gebäude, dessen Vorteile einfach auf zukünftige Bauwerke übertragen werden können.
Ausreichend bezahlbare Energie mit der All Electric Society
Das Zukunftsbild der All Electric Society beschreibt eine Welt, in der Energie aus erneuerbaren Ressourcen in ausreichendem Maße sowie bezahlbar zur Verfügung steht. Neben der konsequenten Erzeugung und Nutzung regenerativer Energie sind die Senkung des primären Energiebedarfs durch Effizienzmaßnahmen sowie die Schaffung von intelligenten, vernetzten Systemen der Schlüssel für eine nachhaltige Zukunft. Um die regenerativ erzeugte Energie bedarfsgerecht einzusetzen, werden Technologien und Lösungen zur Elektrifizierung, Vernetzung und Automatisierung benötigt, damit sich die einzelnen Sektoren – Gebäude, Energie, Infrastruktur, Mobilität und Industrie – miteinander koppeln lassen.
Die Sektorenkopplung betrachtet die Energieerzeugung, -verteilung, -speicherung und den -verbrauch als ganzheitliches System. Einzelne Sektoren tauschen untereinander Energie aus, sodass diese dort in der richtigen Form bereitsteht, wo sie gerade erforderlich ist. Die dafür notwendigen Produkte, Lösungen und Dienstleistungen bietet z. B. Phoenix Contact an. Weitere Infos unter: www.phoenixcontact.de/gebaeude