Optimierte Hydraulik im Passivhaus-Klinikum
Frankfurt Höchst: Neubau des Varisano-Klinikums vereint moderne TGA mit niedrigem EnergieverbrauchUm in Krankenhäusern eine zuverlässige und hochwertige medizinische Versorgung gewährleisten zu können, sind beträchtliche Energieaufwände für die Bereitstellung von Wärme, Kälte und Strom notwendig. Gleichzeitig sehen sich Einrichtungen des Gesundheitswesens gefordert, ihre Energieeffizienz zu steigern. In Deutschland scheint die Entwicklung in die richtige Richtung zu gehen: Gemäß „Klinikreport Nachhaltigkeit 2024“ hat bereits jedes zweite Krankenhaus das Thema Nachhaltigkeit in seiner Unternehmensstrategie verankert. Die Maßnahmen der Umsetzung sind je nach Voraussetzungen und Rahmenbedingungen vielfältig. Der Varisano-Neubau in Frankfurt gilt als ein Leuchtturmprojekt für die Wärmewende im Gebäudesektor.
1991 markierte das erste Passivhaus Deutschlands – ein Darmstädter Wohnobjekt mit vier Wohneinheiten – einen Wendepunkt im Gebäudesektor: Es demonstrierte die Machbarkeit von Gebäuden mit extrem niedrigen Energieverbrauch und setzte damit einen neuen Baustandard, der eine weltweite Entwicklung weiterer Passivhäuser einleitete.
Rund 15 Jahre später legte die Stadt Frankfurt die Passivhausbauweise als Standard für alle öffentlichen Neubauten sowie für Bauten auf Grundstücken, die von ihr gepachtet oder gekauft werden, fest. Darauf folgte 2023 ein weiterer Meilenstein in der Realisierung effizienzmaximierter Objektlösungen: In der Mainmetropole wurde das weltweit erste passivhauszertifizierte Klinikgebäude eröffnet.
Passivhauszertifiziert – ein neuer Kurs in der Klinikplanung
Das zum Varisano-Verbund gehörende Klinikum ist ein Maximalversorgerkrankenhaus. Allein der Neubau bietet Platz für 675 Betten und 40 tagesklinische Plätze. Rund 1.600 Personen von insgesamt über 2.300 Mitarbeitenden sind hier in den Bereichen Medizin, Pflege und Administration beschäftigt. Der Gebäudekomplex weist eine Bruttogeschossfläche von rund 79.000 m2 bei einer Nutzfläche von etwa 34.450 m2 auf und bietet Raum für insgesamt zehn Operationssäle sowie einen Hybrid-OP. Gefördert wurde der 300 Mio. € teure Neubau von der Stadt Frankfurt am Main und dem Land Hessen. Im Mittelpunkt des neuen Baukonzepts stand die Reduzierung des Energiebedarfs und die weitgehende Substitution fossiler Rohstoffe bei der energetischen Objektversorgung. Auf diese Weise sollten sowohl die Betriebskosten gesenkt als auch die Unabhängigkeit von volatilen Energiemarktpreisen unterstützt werden. Gleichzeitig galt es, die Maximalanforderungen an Versorgungsstabilität und -präzision zu erfüllen. Vor allem aber sollte das Projekt ein Statement für den Klimaschutz im Gebäudesektor setzen und eine Vorreiter-Funktion für weitere Bauplanungen im Gesundheitswesen übernehmen.
Im Auftrag des Hessisches Ministeriums für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (HMUKLV) hatte das Passivhaus-Institut Darmstadt im Vorfeld eine Grundlagenstudie durchgeführt und darin die Voraussetzungen für die Umsetzung des Passivhausstandards in Krankenhäusern untersucht. Bis dato hatte es für ein so energieintensives Gebäude wie ein Klinikum der Maximalversorgung keine vergleichbaren Referenzbeispiele oder Vorgaben seitens des Passivhaus-Instituts gegeben. Die Entscheidung zugunsten eines Neubaus anstelle einer Bestandsanierung erfolgte auch mit Blick auf den prognostizierbaren zukünftigen Energieverbrauch, der im Falle einer Sanierung des Krankenhausgebäudes aus den 1960-er Jahren deutlich höher ausgefallen wäre. Bei der Realisierung des neuen Gebäudekomplexes wurde schließlich eine Vielzahl von Kriterien für den Passivhausbau berücksichtigt.
Systemhydraulik als „Effizienzhebel“
Zu den Maßnahmen, die zur Steigerung der Energieeffizienz und zur Reduzierung der Umweltauswirkungen beitragen sollen, zählen die Implementierung einer wärmebrückenfreien Gebäudehülle und eine optimierte Positionierung der Lüftungsanlagen zur Verbesserung der Ventilatorleistungen. Die Kälteerzeugung erfolgt durch Einsatz eines Rückkühlers und einer Kältemaschine, die im Freikühlbetrieb (300 kW) mit einem Thermosiphon arbeiten. Passive Kühlstrategien wie ein außenliegender Sonnenschutz zur Reduktion der Wärmebelastung im Gebäude und eine Beleuchtung mit geringeren Wärmeemissionen ergänzen diese Verfahren. Zusätzlich trägt eine verbesserte Wärmedämmung der warmen Trinkwasserleitungen zur Reduzierung der Wärmeeinträge bei. Eine zentrale Rolle spielt eine erdgasbetriebene Brennstoffzelle: Sie erzeugt 100 kW elektrische Leistung und deckt gut 40 % des Wärmebedarfs für die Trinkwarmwassererzeugung ab. Die sauerstoffarme Abluft der Brennstoffzelle wird in einem innovativen Verfahren für den Brandschutz in den Serverräumen verwendet. Der zusätzliche Heiz- und Trinkwarmwasserbedarf lässt sich durch Bereitstellung von drei Gaskesseln mit jeweils 510 kW sichern.
Thermische Verbundsysteme dieser Art weisen eine weitaus höhere Komplexität im Anlagenbetrieb auf als mono- oder bivalente Versorgungslösungen. Charakteristisch sind sehr heterogene Volumenströme mit unterschiedlichen Druck- und Temperaturverhältnissen. Diese müssen in eine gemeinsame Infrastruktur eingebunden werden, ohne dabei qualitative Leistungseinbußen oder Funktionsstörungen zu verursachen. Aus einem unzureichenden Zusammenschluss von Erzeugern und Verbrauchern entstehen Hydraulikprobleme, die einen effizienten Betrieb bei optimalen Arbeitstemperaturen oft unmöglich machen. Auch eine Einbindung von Niedertemperaturen aus den Vor- und Rückläufen ist dann kaum realisierbar. Darüber hinaus können hydraulische Defizite – insbesondere bei häufigen und hohen Lastwechseln – zu einer fehlerhaften Ansteuerung der Pumpen und zu dem sogenannten Aufschaukel-Effekt führen. Diese systemimmanenten Probleme sind die Ursache dafür, dass speziell regenerativ arbeitende Technologien zwar auf einem sehr hohen Entwicklungsstand verfügbar sind, diese in der Betriebspraxis ihr theoretisch mögliches Leistungspotenzial jedoch in solch einer Konstellation dann mitunter nicht ausschöpfen können.
Eine Lösung für dieses in Fachkreisen seit Langem bekannte Problem wurde bereits vor mehr als 30 Jahren im österreichischen Hohenems entwickelt und seitdem kontinuierlich an die sich verändernden technologischen Bedingungen in den Bereichen Energie-Infrastruktur und Technische Gebäudeausrüstung angepasst. Die sogenannte „Zortström“-Technologie von Zortea arbeitet als Schlüsselinstrument in der Hydraulik-Optimierung. Sie basiert auf einer zentralen Sammel-, (optional auch Speicher-) und Verteileinheit mit frei wählbaren Anschlüssen auf der Erzeuger- und auf der Abnehmerseite. In der „Zortström“-Anlage laufen alle Heiz- und Kühlströme des thermischen Versorgungssystems zusammen. Dabei werden parallel die grundlegenden Funktionen einer hydraulischen Weiche und eines Verteilers erfüllt. Die Funktionsprinzipien der hydraulischen Entkopplung und einer exakten Temperaturtrennung in beliebig viele Temperaturstufen innerhalb der Anlage sollen es ermöglichen, dass thermische Energie mit hoher Genauigkeit innerhalb sämtlicher Versorgungskreise bewegt wird. Die Vor- und Rückläufe der unterschiedlichen Heizkreise bedienen sich dabei bedarfsgerecht mit der benötigten Temperatur. Gleichzeitig kann die Energie von Rückläufen effizient genutzt werden. Die komplette Entkopplung aller ankommenden und abgehenden (regenerativen und/oder konventionellen) Volumenströme verhindert eine gegenseitige Beeinflussung und Überlagerung. Durch die Temperaturtrennung lassen sich Vermischungen – und so mitunter Effizienzeinbußen – verhindern.
Effizienz-Prozesse im energetischen Großprojekt
Für die thermische Versorgung des Klinikums in Frankfurt planten die Brendel Ingenieure AG und Zortea insgesamt 9 „Zortström“-Heizanlagen sowie 9 „Zortström“-Kühlanlagen mit einer Gesamtleistung von 3,5 MW (Heizung und Kühlung). Hydraulisch koordiniert werden die Erzeuger-/ Verbraucherkreisläufe durch die Ausführungen „Zortström Multi-K“ mit 2 bis 4 Temperaturstufen und „Zortström Multi-H“ mit 3 bis 4 Temperaturstufen. Die Heizanlagen (Speicher) weisen einen Durchmesser von 400 mm bei einem Inhalt von 87 l auf bis hin zu einem Durchmesser von 1.200 mm mit einem Inhalt von 2.860 l. Die Kühlanlagen (Speicher) haben Durchmesser zwischen 790 und 1.500 mm bei Fassungsvermögen zwischen 660 und 3400 l.
Das gemeinsam definierte Ziel der Hydraulik-Großlösung war eine maximal effiziente Primärenergienutzung unter sicheren, störungsfreien Betriebsbedingungen. Nach einem vorangegangenen Probelauf sind die Anlagen seit Spätherbst 2022 erfolgreich in Betrieb. Sie erzielen heute die prognostizierte Pumpenstromeinsparung zwischen 70 bis 90 %, ermöglichen eine maximale Brennwertnutzung und erzielen einen hohen EER (Energy Efficiency Ratio: Verhältnis zwischen Leistungsaufnahme und abgegebener Kälteleistung) der integrierten Kältemaschinen.
Die exakte Schichtung in den „Zortström“-Zentren sowie der stufenweise Temperaturabbau und die hydraulische Entkopplung ermöglichten eine einfache und vollautomatische Umsetzung ohne weiteres Nachjustieren. Die Anlage läuft strömungsgeräuschfrei und ohne wechselseitigen Hochschaukel-Effekt der Pumpen. Damit erzielt sie den im Klinikbetrieb gewünschten Komfortgrad. Gleichzeitig arbeiten die Anlagen so präzise, dass sich der Pumpenstromverbrauch auf ein Minimum reduziert und eine maximale Brennwertnutzung realisiert werden kann. Eine signifikante Effizienzsteigerung wurde auch auf der Kälteseite verzeichnet: Die Prozesse der hydraulischen Entkopplung und die exakte Temperaturvorhaltung ermöglichen es, dass die Verdampfer der Kältemaschinen gleichmäßig und temperaturstabil angeströmt werden – und so die Voraussetzung dafür schaffen, dass die Erzeuger mit einem hohen EER arbeiten können. Ein deutlicher Effizienzvorteil resultiert auch aus der dadurch optimierten Volumenstromführung: Durch die Wiederverwendung des Rücklaufs eines höher temperierten Heizkreises als Vorlauf für einen Niedertemperaturheizkreis kann der transportierte Massenstrom aus der Heizzentrale bei gleicher Energieübertragung teilweise halbiert werden.
Fazit
Großobjekte verfügen häufig über komplexe Heiz- und Kühlsysteme mit vielen unterschiedlichen Abnehmerkreisen und sind auf eine reibungslose Bereitstellung der benötigten Temperaturen für den Arbeitsbetrieb angewiesen. Die neue Energielösung im Varisano-Klinikum Frankfurt belegt mit ihrer energetischen Effizienz, der Sicherung von Versorgungsstabilität und gesenkten Betriebskosten die Wirksamkeit eines optimal ausbalancierten Sammel-, Speicher- und Verteilprinzips und trägt damit zu einer erfolgreichen Umsetzung des Passivhausstandards bei. Angesichts des zukünftig weiter zunehmenden Energiebedarfs in Einrichtungen des Gesundheitswesens lassen sich aus den gewonnenen Daten progressive Weiterentwicklungen für intelligent geplante Passivhauslösungen ableiten.