Das Energiesystem der Zukunft?

Ein Interview zum Projekt „Smart Watts“

Das Förderprogramm „E-Energy“ der Bundesregierung entwickelt und erprobt in sechs Modellregionen neue Ansätze zur Optimierung der Energieversorgung durch den Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT). „Smart Watts“ ist eines der sechs geförderten Projekte. Unter dem Dach von „Smart Watts“ entwickelt ein Konsortium aus sechs Unternehmen zusammen mit Partnern ein Informations- und Steuerungsmodell für das Energiesystem der Zukunft. Die Ergebnisse sollen ab Ende 2010 in einem Feldversuch mit 500 Teilnehmern in Aachen demonstriert werden. Reinhard Goethe, Geschäftsführer der utilicount GmbH & Co. KG, Aachen, und Peter Kellendonk, Geschäftsführer von Kellendonk Elektronik, Köln, zwei der sechs Partner des Projektes stellten sich den Fragen der TAB-Redaktion.

TAB: Seit Dezember 2008 arbeiten sechs Unternehmen im Projekt „Smart Watts“ an innovativen IT- und Kommunikationslösungen für das Energiesystem der Zukunft. Warum wurde ein Projekt wie „Smart Watts“ notwendig?

 

Reinhard Goethe: Mit den gesetzlichen Rahmenbedingungen des liberalisierten Energiemarktes befinden wir uns in einer „neuen Welt“. Unser technisches Energiesystem dagegen ist, besonders was den Umgang mit Informationen angeht, noch weitgehend „alte Welt“ und unterstützt die neuen Marktmöglichkeiten nicht optimal. Als Folge der Liberalisierung ist die Zahl der Erzeuger, Händler und Lieferanten stark angestiegen. Die Zahl der Transaktionen und deren Komplexität sind enorm gewachsen. Gleichzeitig ist Energie immer kostbarer geworden. Es gibt also viele Gründe, warum wir neue Ansätze brauchen, das Energiesystem durch den Einsatz von Informationstechnik effizienter zu machen.

 

TAB: Was leistet „Smart Watts“ für die energiepolitischen Ziele, was das alte System so nicht leisten kann?

Reinhard Goethe: Energie soll bezahlbar bleiben. Bei einem Abbau von Überkapazitäten und gleichzeitig einer immer weiter steigenden Einspeisung fluktuierender Er­neuer­barer Energien gelingt das nur, wenn wir durch bessere Information und Steuerung da­für sorgen, dass nicht nur die Erzeugung dem Verbrauch zu fol­gen hat, sondern auch der Ver­brauch – so weit wie möglich – dem aktuellen Energieangebot folgt. Das steigert auch die Ver­sor­gungssicherheit. Das starre Hoch­ta­rif-/Niedertarifsystem der Ver­gan­gen­heit reicht künftig jeden­falls nicht mehr aus. Wenn wir die Auf­nahmefähigkeit des Energie­systems für Erneuerbare Energien verbessern, fördern wir zugleich das dritte Ziel – die Umweltverträglichkeit der Energieversorgung.

 

TAB: Worin besteht die Innovation, die besondere Idee?

 

Reinhard Goethe: Dem „Smart Watts“-Konzept liegt die Idee zugrunde, den Strom von der Erzeugung bis zum Verbraucher von Information begleiten zu lassen, und zwar vor allem über den aktuellen Preis, die Qualität und Herkunft des Stroms. Dadurch entsteht die „intelligente Kilowattstunde“. Ist sie gerade teuer, schalten sich dezentrale Kraftwärmekopplungsanlagen automatisch zu, und die intelligente Wärmepumpe heizt erst mal aus ihrem Speicher. Ist Strom gerade billig, werden alle wärme- und kältespeichernden Anlagen im Netz erst mal aufgeladen. Auf diese Weise entstehen schon auf der Ebene einzelner Händler und Lieferanten geschlossene Regelkreise, und man braucht weniger Regelenergie, um das ganze System in Balance zu halten…

Peter Kellendonk: …und dabei werden wir auf das Thema Unabhängigkeit achten. Unser gemeinsames Ziel ist es, eine Lösung zu finden, in der Geräte unterschiedlicher Hersteller einfach miteinander kommunizieren können. Durch dieses Kommunikationskonzept gewinnen wir eine breite Akzeptanz und damit die Möglichkeit einer nachhaltigen Realisierung der Ziele: Umweltschutz, Versorgungssicherheit, Wirt­schaftlichkeit. Das flexible Modell dezentraler Regelkreise wird dabei eine unkomplizierte und erweiterbare Basis ermöglichen.

 

TAB: Welchen Beitrag leisten Ihre Unternehmen zum Projekt?

Reinhard Goethe: Wir entwickeln eine neue „Smart Metering“-Technologie, mit der man preisvariable Tarife abrechnen kann, und bei der der Kunde nachvollziehen kann, wie die Rechnung zustande gekommen ist. Transparenz ist hier das Stichwort. Außerdem konzipieren wir die Zähler so, dass sie zugleich eine Gateway-Funktion übernehmen können – sie vernetzen das „intelligente“ Haus mit der „intelligenten“ Energieversorgung, und das schafft Chancen für interessante Mehrwerte.

 

Peter Kellendonk: Unser Hauptaugenmerk liegt in der Entwicklung einer „Intelligenz“, die es erlaubt, den Strombedarf aller Haushaltsgeräte auf Grundlage der Strompreise zu steuern. Hierzu werden wir sowohl unser Entwicklungs-Know-how als auch unsere Kontakte zu Herstellern nutzen und die verschiedenen Interessen übereinanderlegen. Ende 2010 werden wir dann in Aachen eine Vielzahl von Haushalten mit diesen Techniken ausstatten und die Leistungsfähigkeit dieses Systems nachweisen.

 

TAB: Wie können Erzeuger, Verbraucher und Dienstleister von diesem Projekt profitieren?

 

Reinhard Goethe: Wenn der Verbrauch in preisgünstigere Zeiten verschoben werden kann, haben beide etwas davon – der Verbraucher, aber auch der Lieferant. Wer sein BHKW gezielt in den teuren Stunden laufen lassen kann, freut sich über bessere Einnahmen. Und denken Sie an die vielen neuen Dienste, die möglich werden, wenn man einen Teil seines „Home Managements“ aus der Ferne betreiben oder an einen Service Provider delegieren kann.

 

Peter Kellendonk: Bisher war der Zeitpunkt des Stromverbrauchs egal. Jetzt wird ein Preis mit jeder kWh verschickt und die Haushaltsgeräte lassen sich auf Grundlage dieses Preises steuern. Für mein Gerät heißt das: ich warte, bis der Strom billig ist. Der Nutzer kann seinen Verbrauch beeinflussen und seine Kosten minimieren. Positiver Nebeneffekt: die Energie-
nachfrage lässt sich so entzerren.

 

TAB: Welche Auswirkungen könnte „Smart Watts“ auf die Planung von Gebäuden, insbesondere die Gebäudetechnik haben? Kön­nen in der Gebäudetechnik zukünftig bereits grundlegende Vor­aussetzungen im Sinne des Projekts geschaffen werden?

 

Reinhard Goethe: Grundsätzlich sind die Konzepte so ausgelegt, dass ein Einbau in den Bestand, also ohne größere Veränderungen in der Verkabelung, unterstützt werden soll. Natürlich ist eine örtliche Nähe von Telekommunikations- und Energieeinrichtungen wünschenswert.

 

Peter Kellendonk: Wir diskutieren mit­t­ler­weile mit den großen Pro­duzen­ten im Bereich der Ge­bäu­de­automatisierung, um deren Ansprüche und Visionen mit „Smart Watts“ in Einklang zu bringen – und gerade auch der Smart Watts Kongress Ende Mai soll dazu genutzt werden, hier Kontakte zu knüpfen und eine noch breitere Basis an Partnern zu schaffen.

 

TAB: Wieso ist Aachen die ideale Modellregion?

 

Reinhard Goethe: Im Umfeld der RWTH finden Sie eine Vielzahl von Instituten und Unternehmen, die sich mit Energiethemen beschäftigen. Diese sind im Energiecluster „Energy Hills“ miteinander vernetzt. Wegen der Hochschule und der vielen innovativen Unternehmen konzentriert sich in Aachen ein sehr technikfreundliches und umweltbewusstes Publikum – ideale Bedingungen für den Feld­versuch.

 

TAB: Wer kann sich am Feldversuch beteiligen?

 

Peter Kellendonk: Der Erfolg des Projektes hängt davon ab, möglichst viele unterschiedliche Partner mit im Boot und im Rahmen des Feldversuches in unser Projekt integriert zu haben. Wir möchten deshalb auch gar keinen ausschließen. Je mehr mitmachen, desto besser für das Projekt. Angesprochen sind Energieversorger, Gerätehersteller, Vertreter aus den Bereichen Haustechnik, Telekommunikation, Gebäudeautomation und aus der Elektrofahrzeugbranche.

 

TAB: Wie bringen Sie das Projekt in Folge weiter voran?

 

Peter Kellendonk: Natürlich wird unser Kontakt zu den Herstellern, Versorgern und Dienstleistern immer weiter intensiviert. Darüber hinaus hat sich das Konsortium entschieden, einen „Smart Watts“-Kongress (www.smartwatts2009.de) zu organisieren, bei dem auch der individuelle Kontakt zwischen den Akteuren aufgebaut werden kann. Wir versprechen uns hier vertiefende Diskussionen, und gleichzeitig kann sich jeder ein Bild darüber machen, wie tief wir schon in die Materie eingetaucht sind und vor allem – was die Potentiale sind. Denn über eines sind wir uns ja bewusst: Das Thema ist nicht nur in Deutschland ein absolutes Boomthema. Wer da nicht von vornherein mitmacht, für den wird es irgendwann mal ganz schwer werden sich auf dem Markt zu behaupten.

 

TAB: Herr Kellendonk, Herr Goethe, wir bedanken uns für das Interview.

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