Das aktuelle Baurechtsurteil: Ingenieurhaftung
Ingenieurhaftung gegenüber GrundstückserwerbernWas passiert, wenn ein Bauherr die Augen vor einer offenkundigen Gefahrenlage und den ihm bekannten Risiken verschließt? Er verstößt gegen seine eigenen Interessen.
Zum Fall
Eine Stadt beauftragt für die Baumaßnahme „Baureifmachung eines Gewerbegebiets“ einen Projektsteuerer als Ansprechpartner für die beteiligten Ingenieure und Unternehmer und ein Ingenieurbüro mit der Planung und Überwachung von Bodenverbesserungsarbeiten. In Ausführung der ihm beauftragten Leistungen erstellt das Ingenieurbüro u. a. eine Ausführungsplanung, die eine Bodenverdichtung durch das Verfahren „dynamische Intensivverdichtung“ vorsieht. Noch vor Beginn der eigentlichen Bodenverbesserungsarbeiten erhebt das mit der Ausführung beauftragte Unternehmen Bedenken wegen des vorhandenen Bodens und warnt die Stadt ausdrücklich vor Setzungen. In Kenntnis vorgenannter Risiken besteht die Stadt indes auf der geplanten Ausführungsart. Es kommt zu den befürchteten Setzungen, wodurch auch Erschließungsanlagen (insbesondere Straßen und Leitungen) zu Schaden kommen. Der Grundstückserwerber verlangt vom planenden Ingenieurbüro Schadensersatz.
Landgericht und Oberlandesgericht geben dem Erwerber mit unterschiedlichen Begründungen dem Grunde nach zu 100 % Recht; das Berufungsgericht unter dem Gesichtspunkt eines Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter.
Zur Entscheidung
Der BGH – Urteil vom 12. März 2015, VII ZR 173/13 – hebt das Berufungsurteil auf und verweist die Sache zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurück. Nebenbei erteilt er jedoch wichtige rechtliche Hinweise für die weitere Behandlung (von Juristen gerne als „Segelanweisungen“ bezeichnet):
Die Rechte eines in die Schutzwirkung des Vertrags einbezogenen Dritten können nicht weiterreichen als die Rechte des Vertragspartners selbst. Daher muss sich der Dritte (hier: Grundstückserwerber) das Mitverschulden des Vertragspartners (hier: der Stadt) so wie ein eigenes Mitverschulden anrechnen lassen. Ein solches eigenes Mitverschulden der Stadt kommt hier vor allem deshalb in Betracht, weil sie den Bedenkenhinweis des ausführenden Unternehmens unbeachtet ließ und in Kenntnis der Risiken auf der unveränderten Ausführung des Verfahrens der „dynamischen Intensivverdichtung“ bestand. Nach Ansicht des BGH verstößt ein Bauherr, der die Augen vor der offenkundigen Gefahrenlage und den ihm bekannten Risiken verschließt, regelmäßig gegen seine eigenen Interessen, was im Ergebnis ein Mitverschulden nach § 254 Abs. 1 BGB ausmacht.
Kurz gesagt: Weil die Stadt vom Ingenieur selbst nicht 100 % Schadensersatz verlangen könnte, falls sie selbst geschädigt worden wäre, kann es auch ein Dritter nicht, der in den Schutzbereich des Vertrags einbezogen ist.
Praxishinweis
Der BGH befasst sich wegen der nur beschränkt eingelegten Revision im Rahmen seiner Entscheidung lediglich mit dem Mitverschulden der Stadt. Zu der spannenden Grundsatzfrage, ob der Erwerber wirklich Rechte aus dem für ihn fremden Vertragsverhältnis herleiten darf, äußert sich der BGH nicht. Dies dürfte in Wahrheit zweifelhaft sein, da sich der Grundstückserwerber regelmäßig direkt an den Verkäufer als seinen Vertragspartner wenden kann, so dass gar kein Bedürfnis für eine Inanspruchnahme des Planers besteht.
Kanzlei Schlünder Rechtsanwälte
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