Das aktuelle Baurechtsurteil
Widerrufsrecht beim FernabsatzvertragProblemdarstellung
Der subjektive Anwendungsbereich von sog. Verbraucherverträgen zwischen Bauunternehmern und Verbrauchern ist weiter als man meinen könnte: Unternehmer in diesem Sinne sind nämlich jede Art von Unternehmern, also z. B. Handwerker, Architekten, Ingenieure, auch Rechtsanwälte. Verbraucher wiederum sind nicht nur private „Häusle-Bauer“, sondern können auch Bauherren einer Industriehalle sein, die mit Eigenmitteln errichtet und dann vermietet wird.
Objektiv kommt es für den Fernabsatzvertrag darauf an, dass (1.) etwaig vorhergehende Vertragsverhandlungen und (2.) der Vertragsabschluss (3.) ausschließlich mit Fernkommunikationsmitteln erfolgt und (4.) der Unternehmer ein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebssystem unterhält.
Liegen diese Voraussetzungen vor, handelt es sich um einen Fernabsatzvertrag, was übrigens nicht der Wertung der Vertragsparteien unterliegt. In diesen Fällen muss der Unternehmer den Verbraucher über sein 14-tägiges Widerrufsrecht in der gesetzlich vorgeschriebenen Form belehren. Unterbleibt eine solche Belehrung, verlängert sich die Widerrufsfrist auf 1 Jahr und 14 Tage. Dies wiederum kann schwerwiegende Folgen für den Unternehmer haben, sollte in Unkenntnis des Vertragscharakters der Verbraucher nicht belehrt worden sein, aber der Unternehmer bereits geleistet haben und der Verbraucher schließlich sein Widerrufsrecht ausüben: Der Unternehmer ginge dann komplett leer aus! Wegen des Verbraucherschutzes sieht das Gesetz hier keine Vergütung oder Entschädigung des Unternehmers vor.
Mit den Voraussetzungen eines Fernabsatzvertrags hatte sich kürzlich auch das OLG Schleswig zu befassen.
Sachverhalt
Die Klägerin beabsichtigte die Umgestaltung des Außenbereichs ihres Grundstücks und wendete sich hierzu an den Beklagten, mit dem sie einen Ortstermin durchführte zur Eruierung möglicher Konzepte. Bei der Gelegenheit nahm der Beklagte auch gleich ein Aufmaß. Erst drei Wochen später kamen die Parteien wieder in telefonischen Kontakt miteinander und die Klägerin beauftragte die gewünschten Außenbereichsarbeiten. Nach Fertigstellung berechnete der Beklagte einen Werklohn von 28.829,80 €, den die Klägerin zahlte; Mängel wurden nicht gerügt.
Aus nicht näher bekannten Gründen widerrief die Klägerin nach einigen Wochen ihre auf den Vertragsabschluss gerichtete Willenserklärung und klagte schließlich auf Rückzahlung des Werklohns. Hierzu hat sie die Ansicht vertreten, zwischen den Parteien bestehe ein Fernabsatzvertag verbunden mit einem entsprechenden Verbraucherwiderrufsrecht, über das der Beklagte nicht belehrt habe. Der vorhergehende Ortstermin sei rein informatorischer Natur gewesen und stehe weder in einem zeitlichen noch in einem inhaltlichen Zusammenhang mit dem späteren Vertragsschluss, es handele sich daher nicht um Vertragsverhandlungen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, hiergegen wendet sich die Klägerin mit der Berufung.
Urteil OLG Schleswig vom 15.10.2021 – 1 U 122/20
Doch das Oberlandesgericht Schleswig hat die klägerische Berufung zurückgewiesen. Nach Auffassung des Gerichts handele es sich nicht um einen Fernabsatzvertrag, weil der vor Vertragsschluss durchgeführte Ortstermin eine Verhandlung des später geschlossenen Vertrags dargestellt habe. Denn der Begriff der „Vertragsverhandlungen“ im Sinne des § 312c Abs. 1 BGB (Fernabsatzvertrag) sei auslegungsbedürftig unter Berücksichtigung der diesem zugrundeliegenden EU-Richtlinie. Danach sei von einem Fernabsatzvertrag zwar dann auszugehen, wenn der Verbraucher sich zunächst nur in den Geschäftsräumen des Unternehmers informiert hatte und Verhandlungen/Vertragsschluss erst im Anschluss daran aus der Ferne erfolgten. Die Abgrenzung zwischen bloßer „Information“ und „Verhandlung“ sei aber anhand der Qualität des persönlichen Kontakts in der Phase der Vertragsanbahnung vorzunehmen, wobei auch der zeitliche Zusammenhang zwischen persönlichem Kontakt und fernkommunikativem Vertragsabschluss berücksichtigt werden müsse.
Demnach sei es im vorliegenden Ortstermin nicht um allgemeine Informationen gegangen, vielmehr habe die Klägerin dort bereits ihre Wünsche geschildert, mit deren Inhalt sich der Beklagte auseinandergesetzt und auch ein Aufmaß genommen habe. Die Klägerin habe also ausreichend Gelegenheit gehabt, sich im persönlichen Gespräch mit dem Beklagten über den Inhalt des beabsichtigten Vertrages auszutauschen und sei daher nicht mehr schutzbedürftig, weil die das Widerrufsrecht rechtfertigende Schutzbedürftigkeit des Verbrauchers dann entfalle, wenn die Situation der „Unsichtbarkeit des Vertragspartners und des Produkts“ beseitigt ist. Auch der zeitliche Zusammenhang zum späteren Vertragsschluss sei nach drei Wochen noch gewahrt, zumal die Erstellung des Angebots mit einem gewissen Aufwand verbunden gewesen sei. Schließlich unterhalte der Beklagte auch kein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebssystem, weil ein Garten-/Landschaftsbau-Betrieb im Regelfall eine Besichtigung vor Ort erfordere und Verträge typischerweise nicht ausschließlich im Wege des Fernabsatzes geschlossen würden.
Praxishinweis
Zwar hat das Oberlandesgericht letztlich zugunsten des Unternehmers entschieden, allerdings zeigt die Entscheidung auch die Gratwanderung zwischen zwei Vertragsformen. Hätte im vorliegenden Fall der Beklagte vor Ort z. B. kein Aufmaß genommen oder wäre der Vertragsschluss erst nach einem Monat erfolgt, hätte das Gericht wohl von einem Vertragsschluss im Fernabsatz ausgehen müssen. Dann wiederum hätte sich nach der Rechtsprechung die Beweislast für das Vorliegen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebssystems umgekehrt und der Beklagte hätte dessen Fehlen beweisen müssen.
Im Zweifel empfiehlt sich daher nicht nur aus technischen, sondern auch aus rechtlichen Gründen die Durchführung eines Ortstermins vor Vertragsschluss oder alternativ die Erteilung einer Widerrufsbelehrung bei Vertragsschluss.
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