Die BACnet-„Praxis” im Fernen Osten
Welche Erkenntnisse kann man gewinnen, wenn man eine Woche in China zum Thema BACnet unterwegs ist? Was bedeuten diese für das Thema BACnet in Mitteleuropa? Eine Woche im Oktober 2010 in China zu verbringen und dabei einen Vortrag zum Thema „Mehr Peace of Mind bei der Anwendung von BACnet“ zu halten sowie mehrere Baustellen von (BACnet)-Bauprojekten zu besuchen, brachte mir den derzeitigen Stand von BACnet in China nahe.
Gebäudetechnik in China
Es sollen drei Hauptmerkmale herausgestellt werden, die sich deutlich von der Situation in Deutschland unterscheiden. Bei uns sind mehr als 80 % der Bauprojekte in „alten Liegenschaften“ mit Geschichte und abgelaufenem Lebenszyklus. In China sind mehr als 80 % Neuprojekte „auf der grünen“ Wiese. Altlasten in Punkto Technik oder etablierte Lieferanten spielen daher kaum eine Rolle.
Die Kurzfristigkeit des Denkens und Handelns ist dabei extrem ausgeprägt. Die Entscheider und das Personal wechseln sehr oft den Arbeitgeber. Probleme haben dann die Nachfolger. Ferner ist es üblich, dass Automation und MSR-Technik schon nach kurzen Betriebszeiten wieder im Hausmeisterbetrieb gefahren werden. Das dafür notwendige Personal ist billig und quasi im Überfluss vorhanden. Wie bei uns in Deutschland vor vielen Jahren haben die großen „alten“ Automationshersteller die Mehrzahl der Projekte als technische GU und FM-Unternehmen selbst in der Hand. Der Investor ist nicht daran interessiert, was letztendlich verbaut wird.
BACnet Forum 2010, BIG China und der Rest der Welt
Der Titel des BACnet Forums in Shanghai hatte den Schwerpunkt „Efficient System Integration for Greenbuilding“. Das Thema Energieeffizienz hat in China und in Asien inzwischen eine generell höhere reale Bedeutung als dies bei uns der Fall ist. Bei uns nennen nur 50 % der Betreiber Energieeinsparung als eine Top-Priorität bei ihren Entscheidungen. In Indien und China sind es jeweils über 80 %. In China werden lokal schon Energiequoten für Liegenschaften vergeben, nach deren Erreichen wird der Strom abgeschaltet. Ein Rechtsweg ist ausgeschlossen. Damit werden Dinge, die für uns „Nice to Have“ sind, zu einem „Muss“. Durch die völlige Durchgängigkeit über alle Ebenen und allen Gewerken wird BACnet als ein Schlüssel für mehr Energieeffizienz in Gebäuden angesehen.
Vergleich zwischen Asien, USA und Europa
Es zeigt sich für China, Südostasien und USA ein recht einheitliches Bild. Über die Vor- und Nachteile von BACnet wird dort nicht diskutiert; auch nicht über das „ob“ oder „ob nicht“. BACnet ist einfach eine faktische und normative Kraft in diesen Märkten, an denen niemand vorbeikommt.
Sieht man die hohe Motivation von großen Betreibern in Europa so kommt man zum Schluss, das BACnet sich weltweit durchsetzen wird. Der große Unterschied zwischen USA und Asien auf der einen Seite und Europa auf der anderen Seite liegt nicht darin, ob BACnet der Standard in der Gebäudeautomation ist oder nicht, sondern wie der Standard in der Praxis umgesetzt wird. Wird BACnet interoperabel und herstellerunabhängig genutzt oder nicht?
Der Unterschied liegt im Aufwand und der Komplexität bei der Planung, Inbetriebnahme und Betrieb. Die Chinesen und die US-Amerikaner werden sich die Zusatzmühe sparen. Die Deutschen werden eher danach streben, 100 % des Nutzenpotentials von BACnet auszuschöpfen. Darin spiegelt sich der Unterschied im technischen Ausbildungsniveau genauso wieder wie die eher langfristige Denkweise. Die Herausforderung, einen hohen, heterogenen Altbestand managen zu müssen, macht es ferner attraktiv auf Interoperabilität Wert zu legen.
Weltweit ist den Planern und Betreibern von Liegenschaften jedoch eines gemein: Sie wollen technische Geräte/Maschinen (z. B. Wärmepumpen, USV-Anlagen, Kältemaschinen etc.) sowie alle Gewerke in ihr Automationssystem und in die Leitebene einbinden können.
Den BACnet ist wie eine starke Medizin. Sie wirkt; hat jedoch auch Risiken und Nebenwirkungen. Die Sie in der Automation jedoch in keiner Packungsbeilage finden.
Es sind Entwicklungen im Gange die bei BACnet anspruchsvollen Aufgaben bei Abnahmen sowie laufenden Betriebsüberwachungen der Netze künftig „automatisiert“ und ohne Spezialwissen zu machen. Letztendlich muss und wird es möglich sein, BACnet auch interoperabel einfach und sicher im gesamten Lebenszyklus des Gebäudes zu beherrschen.
Jürgen Lauber, Geschäftsführer Saia-Burgess Controls