Gibt es ungeschriebene anerkannte Regeln der Technik?
Bei der Ausführung von Werkleistungen spielen die anerkannten Regeln der Technik eine wesentliche Rolle. Entspricht das vom Auftragnehmer hergestellte Werk nicht den anerkannten Regeln der Technik, so ist die Leistung mangelhaft.
Als anerkannte Regeln der Technik gelten dabei sämtliche Vorschriften und Bestimmungen, die sich in der Theorie als richtig erwiesen und in der Praxis bewährt haben. Im Baubereich gehören zu den anerkannten Regeln der Technik in erster Linie die DIN-Vorschriften, welche nach der obergerichtlichen Rechtsprechung die Vermutung für sich haben, die anerkannten Regeln der Technik wiederzugeben.
Auftragnehmer, welche den Rechtsweg beschreiten mussten, haben oftmals festgestellt, dass Bauprozesse nicht nur hohe Kosten verursachen, sondern auch eine geraume Zeit in Anspruch nehmen. In vielen Fällen ist das Prozessergebnis von der Begutachtung durch Sachverständige abhängig. Ein Urteil des BGH vom 21. November 2013, Az.: VII ZR 275/12, könnte dazu führen, dass Bauverfahren, soweit es um die Beurteilung von Mängeln der Werkleistungen geht, noch zeitaufwendiger und kostenintensiver werden.
In dem vom BGH entschiedenen Rechtsstreit ging es u. a. um die von dem Auftraggeber gerügte fehlende Ausbildung eines Gefälles eines Epoxidharzbelages einer Hof- und Zugangsfläche. Der vom Gericht bestellte Sachverständige hatte festgestellt, dass auf dem Belag Pfützen stehen, die auch zu größeren Verschmutzungen führen. Der BGH hat hervorgehoben, dass geklärt werden müsste, ob die Ausführung ohne Gefälle den anerkannten Regeln der Technik entspricht. Hierüber gebe das Gutachten des Sachverständigen keine Auskunft. Der Sachverständige habe lediglich festgestellt, dass keine normgemäßen Angaben bzw. keine Regelwerke vorliegen würden, welche ein Gefälle vorsehen. Nach Auffassung des BGH würden die Ausführungen des Sachverständigen nicht die Frage beantworten, ob es eine ungeschriebene anerkannte Regel der Technik gebe, die das Gefälle fordert. Diese wäre ebenso maßgeblich, wie eine geschriebene Regel.
Nach dem Urteil des BGH sind somit auch ungeschriebene anerkannte Regeln der Technik zu beachten. Für die Sachverständigen stellt sich die Frage, wie anerkannte Regeln der Technik festgestellt werden sollen, welche nicht schriftlich niedergelegt worden sind. Neben einem fachlichen Erfahrungsaustausch in Sachverständigen-Netzwerken könnten eventuell auch Befragungen von Fachleuten stattfinden. Die Feststellung von nicht in schriftlichen Regelwerken enthaltenen anerkannten Regeln der Technik ist für die Sachverständigen äußerst schwierig und arbeitsaufwendig. Darüber hinaus erscheint es wenig plausibel, dass sich Vorschriften und Bestimmungen in der Theorie zwar als richtig erwiesen und in der Praxis bewährt haben, die betroffenen Fachkreise diese Regelwerke jedoch nicht schriftlich niedergelegt haben.
Das Urteil des BGH wird nicht dazu führen, dass Bauverfahren zukünftig vor Gericht mit überschaubareren Kosten sowie einem geringeren Zeitaufwand geführt werden können, soweit es um die Beurteilung von Mängeln der Werkleistung des Auftragnehmers geht.