Im Gespräch mit Michael Ossendorf
Mit der „Facility for Antiproton and Ion Research in Europe“, kurz FAIR, wird bis zur geplanten Vollinbetriebnahme im Jahr 2025 eines der größten Bauprojekte Europas mit einem Budget von rund einer Milliarde Euro realisiert. Das Projekt baut auf der GSI-Beschleunigeranlage auf, die in aufgerüsteter Form als Injektor und Vorbeschleuniger dienen wird. Die Forschungsliegenschaft in Darmstadt dient der Forschung mit Antiprotonen und Ionen und soll neue Erkenntnisse über den Aufbau der Materie und die Entwicklung des Universums vom Urknall bis heute liefern. Dazu werden Zustände der Materie im Labor erzeugt werden können, die sonst nur im Universum, wie z.B. in Sternexplosionen oder im Inneren von Planeten, auftreten.
tab: Das Projekt FAIR als internationale Teilchenbeschleunigeranlage bietet künftig jährlich etwa 3.000 Wissenschaftlern die Möglichkeit, Forschung an den kleinsten Teilchen des Universums zu betreiben. Welches sind die besonderen Herausforderungen bei der Planung, beim Bau und wohl später im Betrieb des FAIR?
Michael Ossendorf: Bedingt durch unterschiedlichste Forschungsschwerpunkte ist es die herausfordernde Aufgabe, einen technischen Systemverbund besonders im Bereich der Gewerke „Stromversorgung und Kältetechnische Versorgung“ verbunden mit extremen dynamischen Lastschwankungen zu realisieren. Ergänzend sind sehr hohe Anforderungen im Bereich der Baustellenlogistik durch die gleichzeitige Montage der TGA- und der Maschinentechnik zu erwarten.
tab: Derzeit existiert allerdings erst einmal eine riesige Baustelle, bei der man vor allem die gewaltigen Erdbewegungen gut erkennen kann. Wie ist der aktuelle Projektstand?
Michael Ossendorf: Die Tief- und Rohbauarbeiten für den Anlagenbereich „Nord“ verlaufen termingerecht. Seit Anfang August 2018 wird die Bodenplatte des Ringbeschleunigers betoniert.
tab: 2022 soll die Anlage in den vorläufigen und 2025 in den kompletten Betrieb gehen. Das sieht nach einem straffen Terminplan aus und nach einer guten Organisation. Wie koordinieren Sie das komplexe Projekt?
Michael Ossendorf: In einer integrierten Gesamtplanung sind der Hoch- und Tiefbau, die Beschleunigerentwicklung und der Beschleunigerbau sowie die wissenschaftlichen Experimente eng aufeinander abgestimmt. Die bauliche Komplexität wird in marktgerechte Lose konfektioniert. Einer der größten Bereiche ist die „Technische Gebäudeausrüstung“ (TGA), die u.a. Heizung, Klima, Lüftung und Stromversorgung umfasst. Besonderes Augenmerk haben wir der Koordination der einzelnen technischen Gewerke untereinander zu widmen.
Das Team des Bauherrn besteht aus vielen Experten der Gewerke Rohbau und „Technische
Gebäudeausrüstung. Im Team werden schnelle und kompetente Entscheidungen zeitnah
getroffen und in die Planungsteams getragen.
tab: Wird dabei bereits auf Building Information Modeling (BIM) gesetzt?
Michael Ossendorf: Ein wesentlicher Bestandteil des Planungsprozesses ist die Definition der Arbeitspakete zur Realisierung der Bauwerke sowie der Maschinentechnik mit Hilfe von Lean Construction Management. Die TGA Planung wird auf Grundlage der bewährten FAIR-CAFM-Richtlinien
erstellt.
tab: Von welchen Größenordnungen kann man bei diesem Projekt ausgehen? Nennen Sie bitte ein paar Beispiele aus der TGA. Dort kennen sich unsere Leser am besten aus.
Michael Ossendorf: Ich gebe das am einfachsten in Stichpunkten wieder:
Lufttechnische Anlagen:
95 Lüftungsanlagen mit ca. 520 Lüftungs-, Klima, Rauschschutz – Spüllüftungsanlagen
Gesamtluftmenge: 2,1 Mio m³/h
Kühlleistung:
12 MW Umluftkühlung
WRG-Leistung: 3 MW
Kälteversorgung:
7,4 MW Klimakälte
12 MW Umluftkühlung
Mess- und Regelungstechnik/Gebäudeautomation
Datenpunkte physikalisch:
70 MW Kälte/Maschinenkühlung
ca. 55.000 DP
Datenpunkte kommunikativ: ca. 10.000 DP
Stromversorgung:
4 x 110/20kV-Umspanner
17 Mittelspannungsschaltanlagen mit 259 x 20-kV-Schaltfeldern
132 Transformatoren 20/0,4kV
78 Niederspannungsschaltanlagen mit 611 x 0,4-kV-Schaltfeldern
4.400 m Hochstromschienenverbindungen
10.000 m Energiekabel
1.300.000 m Installationskabel
2 Notstromaggregate à 2 MVA
tab: Das waren gerade einmal die Gewerke Elektro- und Klimatechnik, die in dieser Größenordnung wohl keine alltäglichen Aufgaben für den Anlagenbau sind. Wie finden Sie die passenden Unternehmen, die ein so umfangreiches Projekt realisieren können?
Michael Ossendorf: Seit dem Jahr 2016 präsentieren wir unser FAIR-Projekt auf Fachmessen wie der ISH und der Expo Real. Dort finden bilaterale und fachtechnische Informationsgespräche statt. Darüber hinaus legen wir einen besonderen Wert auf qualitativ hochwertige Ausschreibungsunterlagen.
tab: Im Betrieb müssen die Anlagen ständig im Blick behalten werden. Wie sehen Ihre Planungen diesbezüglich aus? Werden die Anlagen auf eine einzige Leitstelle aufgeschaltet?
Michael Ossendorf: Im Rahmen der Campusentwicklung ist vorgesehen, die komplette technische Infrastruktur sowie die gesamte Beschleuniger-Experimentaltechnik zentral über eine Leitwarte, dem Fair-Control-Center, zu bedienen.
tab: Welches sind die nächsten Projektschritte?
Michael Ossendorf: Die TGA-Vergabeeinheiten werden noch in diesem Jahr veröffentlicht.
tab: Wie sieht das Vergabeverfahren aus? Braucht ein Anlagenbauunternehmen aus der TGA eine gewisse Größe, um Erfolgsaussichten zu haben?
Michael Ossendorf: Es wird angestrebt, die Vergabeeinheiten der TGA-Gewerke in sogenannten Verhandlungsverfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb durchzuführen.
Durch den strategischen Ansatz der Einzelvergaben erwarten wir ein großes Interesse der Marktteilnehmer.
tab: Herr Ossendorf, weiterhin viel Erfolg mit diesem außergewöhnlichen Projekt. Wir freuen uns, wenn Sie uns weiterhin auf dem Laufenden halten.
Messebesucher und potentielle Auftragnehmer können sich in München über das FAIR-Bauvorhaben und eine mögliche Beteiligung am Bau eingehend informieren. Auf der Expo Real ist das FAIR-Projekt mit seinem Messe-Auftritt eingebunden in den Stand der Wissenschaftsstadt Darmstadt (C1 331). Zudem wird der Technische Geschäftsführer von FAIR und GSI, Jörg Blaurock, bei der FAIR-Veranstaltung am 4. Oktober um 13:45 Uhr in der Metropolarena der Expo Real unter dem Titel „Megaprojekt in der Realisierung – Der Forschungsbeschleuniger FAIR in Darmstadt“ über die aktuellen Entwicklungen und nächsten Schritte informieren.