Rechtliche Gedanken zur Corona-Krise

Mögliche Auswirkungen auf Termine

„Alle reden von Corona – wir reden vom Wetter“. Das tun wir gleich wirklich mehrfach – aber es ist eine Finte: wir erklären damit Corona-Fragen. Sie müssen sich also keine Sorgen machen, dass Ihre Autoren den Zug der Zeit nicht erkannt hätten.

In der Tat werden wir recht regelmäßig gefragt, welche Auswirkungen die Corona-Krise denn nun auf Termine hätte. Dabei machen sich nicht nur Auftragnehmer Sorgen, wie sie Termine einhalten können, sondern durchaus auch Auftraggeber, die befürchten, die beauftragte Installationsfirma werde nun im Zweifelsfall bevorzugt andere Baustellen bedienen. 

Weil die Frage alle umtreibt, können Sie bei Bedarf bei fast jeder Kammer oder jedem Verband dazu etwas lesen. Da heißt es von hüben, vereinbarte Termine könnten in der Pandemie nicht mehr gelten, von drüben hören wir, der Auftragnehmer müsse das volle Risiko tragen, weil er eben die Ausführung übernommen hätte. Dazwischen zum Glück auch Zeichen, das Leute es schaffen, vernünftig und ehrlich miteinander zu reden und eine individuelle Lösung zu finden.

Was Sie jetzt gleich lesen, sind in besonderem Maße „nur Gedanken“ und nicht „die Rechtslage“. Über Corona steht nämlich bisher nichts im Gesetz, und da es eine solche Situation seit Bestehen der Bundesrepublik noch nicht gab, sind auch die Vorbilder aus der Rechtsprechung rar. Wer nun behauptet, derzeit die Rechtslage sicher darstellen zu können, dem sollte man mit gehöriger Vorsicht begegnen. Aber völlig ratlos sind die Juristen auch wieder nicht.


1. Überlegungen zur VOB/B

Eine relativ ausführliche Regelung zu Terminen findet sich in der VOB/B. Bei Umständen, welche die Termine beeinflussen, muss der Auftragnehmer schon im Ablauf Behinderung anmelden (§ 6 Absatz 1 VOB/B). Dies gilt nur dann nicht, wenn die Tatsache und die hindernde Wirkung dem Auftraggeber zweifelsfrei bekannt waren. Letzteres ist im Augenblick (noch) nicht der Fall, denn die Erbringung von Arbeiten ist per heute ja nicht verboten. 

Es handelt sich also jeweils um Einzelfälle, die mit Behinderungsanzeige zu melden sind. Diese können auch durchaus unterschiedlich aussehen. So können Kolonnen oder manchmal ganze Belegschaften in Quarantäne kommen, weil ein nachgewiesener Fall vorliegt (oder für kürzere Zeit, wann ein Verdachtsfall vorliegt, bei dem erst getestet werden muss). Wir sehen auch Fälle, in denen z.B. feste polnische Kolonnen vor dem Wochenende nach Polen zurückgereist sind und nun wegen der Reisebeschränkungen überhaupt nicht mehr einreisen können. Dann ist niemand krank, aber die Kolonne fällt trotzdem aus. Außerdem könnte Materialknappheit eintreten, wenn in deutschen Fabriken nicht gearbeitet oder aus dem Ausland nicht geliefert wird. Bestimmte Teile mögen über Wochen hinweg nicht lieferbar sein. Das alles weiß der AG nicht, nur weil „Corona“ ist, sondern das muss man ihm sagen.

Ausführungsfristen werden verlängert, soweit die Behinderung u.a. durch höhere Gewalt (§ 6 Abs. 2 Nr. 1c VOB/B) verursacht ist. Dies ist bei Corona zunächst einmal durchgehend der Fall, wenn Betriebe so betroffen sind, dass sie nicht arbeiten können. – Ähnlich wie beim Wetter, wo man im Winter in vielen Gewerken einkalkulieren muss, dass es „Schlechtwettertage“ gibt, an denen man nicht arbeiten kann, wird man allerdings sagen müssen, dass auch ein bestimmter Krankenstand während der Wintermonate als normal einkalkuliert werden muss. Es ist schließlich egal, ob ein Mitarbeiter wegen des Corona-Virus oder wegen einer simplen fiebrigen Erkältung nicht arbeiten kann.

Der AG kann zwar zumutbare Anstrengungen verlangen, z.B. über einen Nachunternehmer noch klarzukommen. Wo aber zuletzt ohnehin hohe Auslastung herrschte und jetzt auch andere Betriebe eher zu wenig Personal haben, stößt das an Grenzen. Auch beim Material würden wir nicht den Vorwurf erheben, man hätte sich für solche Fälle bevorraten müssen. So etwas sieht man nicht kommen.

Die Schilderung des Einzelfalls und der Nachweis der Hinderung durch höhere Gewalt obliegt dabei dem Auftragnehmer.

 

2. BGB-Verträge

Längst nicht in alle Bau- und Werkverträge ist die VOB/B einbezogen. Auf der Planungsseite bei den Ingenieurbüros geht das gar nicht. Wie sieht es also nach den gesetzlichen Vorgaben im BGB aus?

Für vereinbarte Zwischen- und Endtermine gilt der § 286 BGB (Verzug). Sinngemäß heißt es dort, dass der Auftragnehmer in Verzug kommt, wenn er die Leistung nicht zum vertraglich bestimmten Endtermin fertiggestellt hat. In § 286 Abs. 4 BGB heißt es dann:

„Der Schuldner [= AN] kommt nicht in Verzug, solange die Leistung infolge eines Umstands unterbleibt, den er nicht zu vertreten hat.“

Dies bedeutet zweierlei: Auch nach dem BGB hat der Auftragnehmer keine Verzugsfolgen zu befürchten, wenn er deswegen die Leistung nicht fristgerecht erbringen kann, weil seine Leute krank oder sonstwie durch Corona betroffen sind. Gleichzeitig bedeutet die Formulierung des Passus, dass die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass er die Verspätung nicht verschuldet hat, beim AN liegt. Die gesetzliche Vermutung geht zunächst dahin, dass er den Verzug vertreten muss.

Für eine Entlastung wird der AN ähnliche Darstellungen benötigen wie oben bei der VOB/B schon skizziert. Es genügt eben nicht zu sagen, dass zwölf Leute krank sind. Es muss dargestellt werden, dass mehr Leute krank sind als sonst üblicherweise in dieser Zeit und dass dadurch die Termine nicht eingehalten werden können. Hinzu kommt die berechtigte Frage, wie die verbleibenden Mitarbeiter auf die Projekte verteilt werden. 

Das gilt im Ansatz nicht nur für ausführende Unternehmen, sondern auch für Planer und Bauleiter. Planungstätigkeit und Koordination hat für sich, dass etliches auch zu Hause am Telefon oder am Rechner erledigt werden kann. Ein Dach deckt sich so nicht, aber auch Bauüberwachung kann nur vor Ort stattfinden. 

Es stimmt nach unserer Auffassung nicht, dass die Auftragnehmer das alleinige Risiko übernommen hätten, trotz Corona die Termine zu halten. Wohl aber haben sie die Pflicht, überzeugend darzustellen, dass sie von den Auswirkungen so schwer betroffen sind, dass sie die Termine nicht halten können. 

Wer jetzt noch – mitten in der Krise – termingebundene Aufträge annimmt, sollte bei den Terminen einen Vorbehalt machen („Erschwernisse durch die Corona-Pandemie sind ausdrücklich nicht berücksichtigt“). Manche meinen nämlich, wer jetzt noch Termine fest zusage, der müsse ja wissen, dass es knüppeldick kommen kann, und der sei folglich auch verantwortlich – wie derjenige, der im Winter baut und das schlechte Wetter zu seiner Normalität macht.

 

3. Welche Baustelle muss zuerst bedient werden?

Zu dieser Sondersituation findet man kaum Urteile. Die Frage stellt sich aber in der Tat, ob der AN im Mangelfall nun bestimmen kann, welche Baustelle er bei hohem Personalausfall leider stilllegen muss und welche er weiterbetreibt – oder ob er die verbleibenden Kräfte im Verhältnis auf die einzelnen Baustellen zu verteilen hat. Meines Erachtens muss der AN nach Treu und Glauben („Fairness“) die Belastung im Ansatz gerecht verteilen und grundsätzlich „alle vier Baustellen leicht verzögert abliefern statt drei pünktlich und eine monatelang unterbrochen“. Wir bewegen uns natürlich in einem Bereich, der stark von Einzelwertungen abhängt. Was ist fair? D.h., der AN kann im Einzelfall auch einleuchtende Gründe dafür haben, warum er ausnahmsweise anders verfährt.

 

Zur Illustration:

Was gilt, wenn der AN alle Kräfte einsetzt, um eine dringend benötigte neue Intensivstation fertigzustellen und dabei die Reihenhäuser einfach später errichtet? – Was gilt, wenn der AN alle Kräfte bündelt, um bei einem Großprojekt eine dringend benötigte Abschlagszahlung zu sichern und seine Liquidität zu erhalten, um nicht Insolvenz anmelden zu müssen?  

 

Hier geht es am Ende gar nicht mehr um juristische Fragen, sondern im Kern um die Frage, ob sich der AN in Abwägung der Interessen fair verhält oder ob er sich unfair verhält. Man kann durchaus versuchen, den Einzelfall mit dem eigenen Sachverstand zu beurteilen, wenn man sich in beide Seiten hineinversetzt. Am Ende hilft Reden wahrscheinlich mehr als auf eine vermeintliche Rechtslage zu pochen.


4. Fazit

Mein Bauchgefühl sagt mir, dass Gerichte später grundsätzlich mit Auftragnehmern relativ großzügig bzw. milde umgehen werden. Schließlich hat jeder die Folgen des Corona-Virus persönlich gespürt, so dass es an Verständnis nicht mangeln sollte. Voraussetzung wird jedoch sein, dass die Situation, in der man Termine nicht mehr einhalten konnte, für den eigenen Betrieb plastisch schildern kann und nicht nur mit einem „es war ja Corona“ den Terminverzug begründet.

In diesem Sinne wünsche ich uns allen gute Besserung, und bleiben Sie auch im Beruf solidarisch und gesprächsbereit.

Info

Schlünder Rechtsanwälte Partnerschaft mbB

Mit 19 Rechtsanwälten, davon sechs Fachanwälten für Bau- und Architektenrecht, berät und vertritt die Sozietät Mandanten aus verschiedenen Branchen auf allen wichtigen Rechtsgebieten bundesweit. Die Sozietät hat sich auf das Bau- und Architektenrecht spezialisiert und vertritt Architekten und Ingenieure, ausführende Unternehmen und Bauherren in allen Fragen dieses Rechtsgebiets.

www.schluender.info

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