Schallbaukasten – SBK
Erste Schritte für eine akustische AnlagenkonzeptionZeit- und Kostendruck nehmen in der Baubranche ständig zu. Bereits vor einer evtl. Beauftragung und Durchführung einer belastbaren Detailuntersuchung sollen verlässliche Angaben z.B. bzgl. der schalltechnischen Realisierbarkeit und der zu erwartenden Beratungskosten gemacht werden können. Um dem gerecht zu werden, wird häufig ohne Garantie einer Kostenübernahme mit der Erstellung eines detailgetreuen 3D-Modells zur Berechnung der Schallausbreitung begonnen. Dieser Beitrag beschreibt am Beispiel eines prinzipiellen Blockheizkraftwerkes (BHKW), wie auch Fachfremde mit dem „Schallbaukasten“ (SBK) schon in der Angebotsphase die Realisierbarkeit und den später erforderlichen Detaillierungsgrad für einzelne Schallquellen und damit den Bearbeitungsaufwand realistisch abschätzen können.
Grundbegriffe zum Verständnis des Schallbaukastens
Um die folgenden Sachverhalte richtig einordnen zu können, steht umfangreiche Fachliteratur zur Verfügung (z.B. auch der tab-Artikel [1]). In diesem Zusammenhang hat das Institut für Umweltschutz und Bauphysik der Obermeyer Infrastruktur GmbH & Co. KG (Obermeyer) damit begonnen, auf YouTube (unter Obermeyer Group) frei verfügbare Tutorials zu den Grundlagen der Technischen Akustik bereitzustellen [2]. Die Begriffe „Schallleistungspegel“ und „Schalldruckpegel“ sind essenziell – im Tutorial T-A6 wird in Analogie zu einem Leuchtmittel der Unterschied zwischen einem gemessenen Schalldruckpegel und einem Schallleistungspegel plakativ erläutert (Bild 1).
In dem o.g. Tutorial T-A6 wird mit Bezug auf die Tutorials T-A2, T-A5 auch erklärt, wie basierend auf dem Messflächen-Schalldruckpegel (definiert nach der DIN EN ISO 3744 [3]) der Schallleistungspegel einer Punktschallquelle bestimmt wird (Bild 2).
Die Begriffe der Schallemission und Schallimmission sind in Bild 3 zusammengefasst (s. auch Tutorial T-A6).
Immissionsschutznachweis mit Bezug auf die TA Lärm
Eine Voraussetzung für die Betriebsgenehmigung ist u.a. der schalltechnische Immissionsschutznachweis. Anhand von Immissionsmessungen oder -berechnungen wird überprüft, ob die Einhaltung des zulässigen Schalldruckpegels am Immissionsort gewährleistet ist. Bei Industrieanlagen erfolgt die Beurteilung nach der Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA Lärm) [4]. Die Höhe des zulässigen Immissionspegels richtet sich nach den Immissionsrichtwerten (IRW, s. Tabelle 1) und der nach TA Lärm definierten Vorbelastung. Der hier vorgestellte SBK bezieht sich auf diese IRW.
Der Schallbaukasten
Im tab-Artikel 7-8/2019 „Schall im BIM“ [5] wird u.a. die Konzeption eines maximal zulässigen Gesamt-Schallleistungspegels erläutert. Darauf aufbauend wurde von den Autoren eine Excel-Applikation entwickelt. Die Grundidee besteht darin, die Summe der Schallleis-tungspegel aller Einzelschallquellen einer geplanten Anlage in einer punktförmigen Ersatzschallquelle (ESQ) zusammenzufassen und die ESQ mit Bezug auf den maßgeblichen Immissionsort (IO) zu beurteilen. Damit wird für eine erste Abwägung kein detailliertes 3D-Modell zur Berechnung der Schallausbreitung benötigt. Bild 4 zeigt zur Veranschaulichung ein mit dem Programm „CadnaA“ der DataKustik GmbH [6] erstelltes prinzipielles BHKW-Modell, die i.d.R. maßgeblichen Einzelschallquellen sowie die ESQ, angeordnet im Bereich des Kaminfuchses.
Der SBK ist in fünf Kapitel bzw. Arbeitsschritte aufgeteilt (s. Tutorial T-B0 [7]):
Insbesondere für Fachfremde beinhaltet der SBK Eingabehilfen in Form von grafischen Zellnotizen. Ergänzend werden weitere Grundlagen (z.B. Summation und Subtraktion von Pegelgrößen) in den Tutorials erklärt. Im SBK sind Eingabefelder blau umrandet – Werte sind direkt einzutragen bzw. können aus hinterlegten Datenbanken ausgewählt werden. Die Datenbanken können vom Anwender beliebig erweitert werden. Nachfolgend wird weitgehend auf die Beschreibung der Excel-Funktionalität verzichtet – im Vordergrund stehen die schalltechnischen Zusammenhänge.
Step 1: Konzeption Immission und gesamte Emission
Eine Anlage ist i.d.R. von Immissionsorten umgeben. Nach TA Lärm ist die Beurteilung für den maßgeblichen IO vorzunehmen – dieser wird vorrangig bestimmt durch die Gebietsausweisung und die Entfernung zur Anlage.
Entsprechend der Gebietsausweisung ist ein IRW für den Tag- und Nachtzeitraum definiert (Tabelle 1). Im nachfolgenden Beispiel wird von einem Dauerbetrieb der geplanten Anlage ausgegangen – insofern ist für die Beurteilung der Nachtzeitraum maßgeblich.
Da die IRW für die Gesamtbelas-tung gelten, ist für eine geplante Anlage abhängig von der Vorbelastung nur ein z.T. erheblich reduzierter Pegel, der sog. Immissionsrichtwertanteil (IRWA), zulässig. Zur IRWA-Berechnung wird die Vorbelastung vom IRW subtrahiert (s. Tabellenzeile 3 in Bild 5). Wird keine Vorbelastung eingegeben bzw. liegt der IRWA weniger als 6 dB unter dem IRW, wird – wie in der Beratungspraxis üblich – der IRWA 6 dB unter dem IRW angesetzt.
Unter akustischen Freifeldbedingungen und Abständen zwischen Anlage und Immissionsort bis i.d.R. ca. 100 m kann die Pegelabnahme auf dem Ausbreitungsweg abhängig von dem Abstand näherungsweise mit 10 x log (Abstand² x Pi x 2) berechnet werden (Tabellenzeile 5 in Bild 5).
Der maximal zulässige ESQ-Schallleistungspegel resultiert aus der Summe IRWA plus o.g. Pegelabnahme (Tabellenzeile 6 Bild 5). Dieser ESQ-Schallleis-tungspegel wird auf die Einzelschallquellen aufgeteilt (Bilder 9 und 10). Im SBK sind die Einheiten in eckige Klammern gesetzt.
Step 2: Raumkorrektur
Vergleichbar mit dem Ansatz einer virtuellen ESQ, die unmittelbar ins Freie emittiert, werden alle relevanten Einzelschallquellen, welche sich im Gebäude (u.U. auch in verschiedenen Räumen) befinden, in einem einzigen virtuellen Raum verortet. Der Unterschied zwischen dem mittleren Schalldruckpegel in diesem Raum und dem Pegel der Schallleistung, der in diesen Raum eingestrahlt wird (im SBK als Raumkorrektur RK bezeichnet), berechnet sich wie folgt:
mit
S Raumoberfläche in m²
S0 Bezugsfläche 1 m²
a mittlerer Schallabsorptionsgrad im Raum
Im SBK wird die RK in Abhängigkeit der o.g. Parameter berechnet – der mittlere Absorptionsgrad kann aus einer Liste ausgewählt werden (Bild 6).
Step 3: Konzeption Raum
Die im Gebäude bzw. im virtuellen Raum befindlichen, schalltechnisch maßgeblichen Anlagenkomponenten werden in einer weiteren SBK-Tabelle gelistet (Bild 7). Die Schallleistungspegel der Komponenten resultieren aus gelisteten Herstellerangaben und auszuwählenden Schallschutzmaßnahmen (Beispiel erste vier Tabellenzeilen) oder können direkt eingegeben werden.
Für den mittleren Schalldruckpegel im virtuellen Raum werden –
entsprechend der Beratungspraxis – drei Fälle unterschieden:
Das Beispiel in Bild 7 zeigt, dass der mittlere Schalldruckpegel deutlich über 90 dB(A) liegen würde – ein sog. Schallbunker wäre erforderlich. Mit schalltechnisch hochwirksamen BHKW-Einhausungen können die BHKW-Schallleistungspegel deutlich reduziert werden – der mittlere Schalldruckpegel im virtuellen Raum liegt dann knapp über 80 dB(A) (Bild 8).
Step 4: Konzeption Emission
Die unmittelbar ins Freie emittierenden, schalltechnisch maßgeblichen Einzelschallquellen werden in der SBK-Tabelle „Konzeption Emission“ gelistet (Beispiel in Bild 9). In den Bildern 13 und 14 werden zwei Betrachtungsweisen gegenübergestellt:
Aufteilung ESQ-Schallleistungspegel
Mit Betrachtung des ESQ-Schallleistungspegels erfolgt eine Betrachtung „vom Immissionsort zur Anlage“. In Bild 9 ist die SBK-Tabelle zur Aufteilung des ESQ-Schallleistungspegels dargestellt. Der Anwender kann beliebig viele Spalten mit Minderungsmaßnahmen zur Aufteilung des ESQ-Schallleistungspegels einfügen und damit auch beliebig viele Anlagenvarianten definieren. So wird auch der fachfremde Anwender, anfangs evtl. durch einen schalltechnischen Berater unterstützt, sehr schnell eigene Erfahrungen umsetzen können.
In der SBK-Tabelle „Konzeption Emission“ wird die gewünschte Variante aktiviert – der ESQ-Schallleistungspegel (81,1 dB(A) in unserem Beispiel) wird entsprechend aufgeteilt.
Zur Kontrolle wird die Pegelsumme der Einzelschallquellen gebildet und mit dem ESQ-Schallleistungspegel verglichen. Eine evtl. vorhandene Überschreitung wird angezeigt – in diesem Fall muss die Pegel-aufteilung angepasst werden. Zur besseren Veranschaulichung wird die Pegelverteilung im SBK auch als Kreisdiagramm grafisch dargestellt (Bild 10).
Herstellerangaben und geplante Bauausführung
Bei der Betrachtung „von Innen nach Außen“ werden die einzelnen Schallleistungspegel wie folgt abgeleitet (Bild 11):
a) [...] aus gelisteten Herstellerangaben, der Anzahl gleichartiger Schallquellen und auszuwählenden Schallschutzmaßnahmen,
b) [...] aus dem Schalldämm-Maß (z.B. für ein Tor) bzw. dem Einfügungsdämpfungsmaß (z.B. für eine Zuluftöffnung) und der Abstrahlfläche,
c) [...] aus der Übernahme von Herstellerangaben (z.B. für einen Transformator).
Die im SBK hinterlegten Datenbanken wachsen automatisch, wenn nach Inbetriebnahme entsprechende Messungen durchgeführt werden.
Gegenüberstellung
In derselben SBK-Tabelle (den entsprechenden Ausschnitt zeigt Bild 12) erfolgt ein grafischer Abgleich zwischen den o.g. Betrachtungsweisen. Die rot formatierten Zellen zeigen an, bei welchen Einzelschallquellen die Schallschutzmaßnahmen ertüchtigt werden müssen – u.U. muss sogar die anregende Anlagenkomponente ausgewechselt werden.
Step 5: Variationen
Im SBK können grundsätzlich die Eingaben in allen blau umrandeten Zellen variiert werden – die Auswirkungen werden in allen SBK-Tabellen online angezeigt. Nachfolgend zwei Beispiele.
Anpassung Schallschutzmaßnahmen bei gleichem Abstand
In unserem Beispiel wird allein durch Anpassung der Schalldämpfer und Austausch des Tores erreicht, dass die konzipierten Einzel-Schallleistungspegel nicht überschritten und generell möglichst ausgeschöpft werden (Bild 13).
Abstandshalbierung
Die Ergebnisse bei einer Halbierung des Abstands zwischen der Anlage und dem IO fasst Bild 14 zusammen:
Fazit
Aufgrund der Vorschriften und Regelwerke, z.B. in Genehmigungsverfahren, ist die schalltechnische Beurteilung komplex. Soll man ohne Detailinformationen zu dem Vorhaben z.B. seine Realisierbarkeit und den damit verbundenen Beratungsaufwand abschätzen, reicht heute ein Taschenrechner nicht mehr aus. Hingegen ist jedoch die Erstellung eines 3D-Modells zur Berechnung der Schallausbreitung verfrüht, weil zu Projektbeginn Details und i.d.R. die Bestätigung des Bearbeitungsaufwandes fehlen.
Mit dem Schallbaukasten (SBK) können auch Fachfremde u.a. ihre Erfahrungen aus früheren Projekten archivieren, damit den SBK fortlaufend validieren und dann neue Projekte ohne Detailinformationen überschlägig beurteilen.
Die behördlich angeordnete Abnahme bezieht sich idealerweise nur auf die Schallimmission. Wenn z.B. im Rahmen dieser Abnahme zugleich die Schallleistungspegel der im Freien und im Gebäude befindlichen Anlagenkomponenten messtechnisch ermittelt werden, wachsen die im SBK hinterlegten Datenbanken. Mit derartigen Messungen wird zugleich die Einhaltung von schalltechnisch eindeutig formulierten Lieferspezifikationen überprüft, sodass die Lieferanten entlassen werden können.
Anhand des Beispiels eines BHKW wurden mögliche SBK-Anwendungen vorgestellt. In gleicher Weise kann der SBK z.B. bei Umspannwerken oder Gleisfeldkonzentratoren der Bahn sowie bei Lüftungs- bzw. Klimazentralen verwendet werden.
Es obliegt dem schalltechnischen Berater, in „Excel“ die SBK-Struktur für eine Produktreihe (wie z.B. BHKW-Anlagen) anzulegen und die Mitarbeiter des Unternehmens zu schulen, sodass diese die integrierten Datenbanken autark pflegen und beispielsweise um die Angabe von Investitions- und Betriebskosten erweitern können.
Literaturverzeichnis
[1] Dipl.-Ing. (FH) Klaus Goldemund: „Auf dem Weg zum guten Schallschutz – Konzeptionen in der technischen Akustik“, Artikel Zeitschrift tab, Ausgabe 6/2014 [2] Dipl.-Ing. (FH) Klaus Goldemund: Tutorials zu den Grundlagen der Technischen Akustik, Stand 12/2020, YouTube-Channel „Obermeyer Group“ [3] DIN EN ISO 3744, Akustik – Bestimmung der Schallleistungs- und Schallenergiepegel von Geräuschquellen aus Schalldruckmessungen, Ausgabe Februar 2011 [4] TA Lärm, Sechste Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Bundes-Immissionsschutzgesetz (Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm) vom 26. August 1998 (GMBI Nr. 26/1998 S. 503) mit Änderung von Juni 2017 [5] Dipl.-Ing. (FH) Klaus Goldemund: „Schall im BIM“, Artikel Zeitschrift tab, Ausgabe 7-8/2019 [6] „CadnaA für Windows“, EDV-Programm zur Berechnung und Beurteilung von Lärmimmissionen im Freien, Version 2020 MR 2, DataKustik GmbH, Gilching [7] Dipl.-Ing. (FH) Klaus Goldemund: Tutorial zur Anwendung eines Schallbaukastens, Stand 12/2020, YouTube-Channel „Obermeyer Group“Abkürzungsverzeichnis
BauNVO – Baunutzungsverordnung
BHKW – Blockheizkraftwerk
BImSchG – Bundes-Immissionsschutzgesetz
dB(A) – Dezibel, A bewerteter Schallpegel
ESQ – Ersatzschallquelle
IO – Immissionsort
IRW – Immissionsrichtwert
IRWA – Immissionsrichtwertanteil
Obermeyer – Obermeyer Infrastruktur GmbH & Co. KG
TA Lärm – Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm
Der Schallbaukasten wird auch im Rahmen der Vortragsreihe der Fachmesse acoustex 2021, die am 9. und 10. Juni 2021 in den Westfalenhallen Dortmund veranstaltet wird, vorgestellt.