Wer trägt das Risiko?
Änderung der allgemein anerkannten Regeln der TechnikDer Auftragnehmer schuldet die Einhaltung der allgemein anerkannten Regeln der Technik. Dies weiß jeder. Was aber gilt, wenn sich die allgemein anerkannten Regeln der Technik zwischen Vertragsschluss und Abnahme ändern? Mit einem solchen Fall hat sich nun der Bundesgerichtshof befasst (BGH, Urteil 14. November 2017, VII ZR 65/14).
Zum Fall
Die Klägerin verlangt von der Beklagten einen Vorschuss zur Mängelbeseitigung. Die Beklagte sollte zu einem Festpreis von 770.000 € netto mehrere Pultdachhallen in Stahlkonstruktion ausführen. Grundlage des Vertrages war neben der VOB/B (2006) ein Angebot der Beklagten aus März 2007. In der Gebäudebeschreibung ist für die Hallen eine Schneelast von 80 kg/m² angegeben. Dies entsprach der DIN 1055-5 (1975) und der im Jahr 2006 erteilten Baugenehmigung. Nach den technischen Vorgaben der geänderten DIN 1055-5 (2005), deren verbindliche bauaufsichtliche Einführung für Bauvorhaben erfolgte, deren Genehmigung nach dem 1. Januar 2007 beantragt wurde, ist für den Ort des Bauvorhabens eine Schneelast von 139 kg/m² anzusetzen. Die Beklagte errichtete die Hallen in der Zeit bis August 2007. Im Anschluss sollte das Dach eine Photovoltaikanlage erhalten; das mit der Montage dieser Anlage befasste Unternehmen meldete wegen der Durchbiegung der Dachkonstruktion Bedenken an. Die Klägerin verlangte von der Beklagten die Verstärkung der Dachkonstruktion.
Zur Entscheidung
Der Bundesgerichtshof teilt die Auffassung des Oberlandesgerichts nicht, die Beklagte schulde ohne Weiteres die Errichtung der Hallen unter Berücksichtigung einer Schneelast von 139 kg/ m². Das Oberlandesgericht habe – so der Bundesgerichtshof – bei der Vertragsauslegung gegen den Grundsatz der beiderseits interessengerechten Vertragsauslegung verstoßen. Zwar komme es auf die allgemein anerkannten Regeln der Technik zum Zeitpunkt der Abnahme an. Dies gelte im Regelfall auch bei einer Änderung der allgemein anerkannten Regeln der Technik zwischen Vertragsschluss und Abnahme. In einem solchen Fall habe der Auftragnehmer den Auftraggeber über die Änderung und die damit verbundenen Konsequenzen und Risiken für die Bauausführung zu informieren, es sei denn, diese seien dem Auftraggeber bekannt oder seien ohne Weiteres aus den Umständen ersichtlich. Ein nach beiden Seiten hin interessengerechtes Verständnis des Bauvertrags führe regelmäßig dazu, dass für den Auftraggeber zwei Optionen bestehen. Der Auftraggeber könne zum einen die Einhaltung der neuen allgemein anerkannten Regeln der Technik verlangen mit der Folge, dass ein aufwendigeres Verfahren zur Herstellung des Werks erforderlich werden kann, als im Zeitpunkt des Vertragsschlusses von den Parteien vorgesehen, oder dass ein bereits erstelltes Bauwerk für die Abnahme noch ertüchtigt werden muss. Der Auftragnehmer könne, soweit hierfür nicht von der Vergütungsvereinbarung erfasste Leistungen erforderlich werden, im Regelfall eine Vergütungsanpassung verlangen. Der Auftraggeber könne zum anderen von einer Einhaltung der neuen allgemein anerkannten Regeln der Technik und damit von einer etwaigen Verteuerung des Bauvorhabens absehen.
Diese Zusammenhänge habe das Berufungsgericht nicht hinreichend geprüft, weshalb die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen wurde. Das Berufungsgericht wird dann zu überprüfen haben, inwieweit der Anspruch der Klägerin unter dem Gesichtspunkt der Sowieso-Kosten zu kürzen ist; haben die Parteien neben dem Werkerfolg eine bestimmte Herstellungsart nach Vorgaben des Auftraggebers ausdrücklich vereinbart, so wird regelmäßig nur diese durch die Vergütungsvereinbarung abgegolten. Schuldet der Auftragnehmer zur Erreichung des vereinbarten Werkerfolgs zusätzlichen Herstellungsaufwand, der nicht von der Vergütung erfasst ist, ist das rechtsgeschäftlich festgelegte Äquivalenzverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung gestört. Dann könne – so der Bundesgerichtshof – der Auftraggeber den zur Erreichung des Werkerfolgs erforderlichen zusätzlichen Herstellungsaufwand anordnen. Dem Auftragnehmer steht hierfür eine Nachtragsvergütung zu, die sich nach § 2 Nr. 5 oder 6 VOB/B oder bei fehlender Anordnung nach § 2 Nr. 8 VOB/B bestimme.
Praxishinweis
Die Leistung eines Auftragnehmers ist zwar mangelhaft, wenn das Werk den allgemein anerkannten Regeln der Technik zum Zeitpunkt der Abnahme nicht entspricht. Dies gilt im Regelfall auch bei einer Änderung dieser Regeln zwischen Vertragsschluss und Abnahme, was bei jahrelang dauernden Großvorhaben durchaus vorkommen kann. In einem solchen Fall hat der Auftragnehmer Bedenken anzumelden, kann aber ggf. eine zusätzliche Vergütung verlangen, wenn der Auftraggeber eine Herstellung auf Grundlage der geänderten Regeln der Technik wünscht. Wenn der Auftraggeber schweigt, wird man ein Leistungsverweigerungsrecht des Auftragnehmers annehmen müssen. Der Auftraggeber muss sich im Rahmen der im Baurecht geltenden Kooperationspflicht festlegen, was er will. Wurde die vom Auftragnehmer geschuldete Leistung lediglich funktional beschrieben, trägt allein der Auftragnehmer das finanzielle Risiko einer Änderung der allgemein anerkannten Regeln der Technik. Auch dies muss man im Blick behalten.
Schlünder Rechtsanwälte Partnerschaft mbB
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