Wo liegt die Grenze
der Übertragung von Urlaub?

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) und das BAG haben Anfang des Jahres 2009 entschieden, dass der so genannte „Alt-Urlaub“ nur dann zu einem bestimmten Stichtag – in der Regel im Folgejahr – verfallen darf, wenn der Arbeitnehmer auch tatsächlich die Möglichkeit hatte, diesen Urlaub zu nehmen. Wenn der Arbeitnehmer während des gesamten Jahres oder eines Teils davon krankgeschrieben ist und die Arbeitsunfähigkeit an dem Tag im Folgejahr, in dem der Urlaub normalerweise verfällt (Stichtag), fortbesteht, war danach ein Verfall des Urlaubs nicht mit der europäischen Arbeitszeitrichtlinie vereinbar. Seit diesen Entscheidungen herrscht Unsicherheit darüber, ob bzw. wo es eine Grenze für die Übertragung von Urlaub gibt.

Das LAG Hamm hat durch Vorlagebeschluss vom 15. April 2010 – 16 Sa 1176/09 Zweifel geäußert, ob die Ansammlung von Urlaub über Jahre hinweg gerechtfertigt ist, ohne dass ein Verfall eintritt.

In diesem Verfahren liegt zwischenzeitlich der Schlussantrag der Generalanwältin vor, wobei anzumerken ist, dass der EuGH im Regelfall einem Schlussantrag folgt. Die General­anwältin geht nunmehr davon aus, dass die europäische Richtlinie zwar sicherstellen will, dass der dem Arbeitnehmer zustehende Erholungsurlaub durch eine Langzeit-erkrankung nicht verloren geht, dieser Schutz des Arbeitnehmers jedoch zeitlich begrenzt werden könnte. Nach Abwägung aller für oder gegen eine zeitliche Begrenzung sprechenden Argumente kommt die Generalanwältin zu dem Schluss, dass der mit dem Urlaub angestrebte Erholungszweck es nicht gebiete, dass Urlaubs­ansprüche unbegrenzt kumuliert werden müssten. Die Generalanwältin geht davon aus, dass ein Verfall lediglich innerhalb der ersten 18 Monate nicht erfolgen solle. Wie lange ein Verfall nun konkret zu verhindern sei, obliege nach ihrer Auffassung jedoch nicht dem Europarecht, sondern dem nationalen Gesetzgeber. Die Generalanwältin legt sich nur insoweit fest, dass eine Übertragungsmöglichkeit von lediglich sechs Monaten nicht ausreichen solle, dagegen 18 Monate durchaus akzeptabel sein könnten.

Zwischenzeitlich hat sich auch der EuGH mit einer möglichen Begrenzung des Übertragungszeitraums für Urlaubsabgeltungsansprüche befasst (Urteil vom 22. November 2011 – Az.: C 214/10). Die Entscheidung des EuGH betrifft zwar allein die tarifliche Begrenzung des Übertragungszeitraumes auf 15 Monate. Unabhängig davon hat er jedoch festgestellt, dass eine unbegrenzte Übertragung über mehrere Jahre nicht geboten und eine Begrenzung von 15 Monaten als angemessen anzusehen ist und lässt dadurch erkennen, dass eine Grenze für die Urlaubsübertragung auch außerhalb des Tarifrechts geboten ist.

Sowohl die Schlussanträge der Generalanwältin als auch die Neuentscheidung des EuGH lassen erkennen, dass sich die unbegrenzte Übertragung von Urlaubsansprüchen rechtlich wohl nicht durchsetzen wird. Es ist daher empfehlenswert, zunächst Alturlaubsansprüche von Langzeiterkrankten jedenfalls für nicht mehr als 18 Monate rückwirkend anzuerkennen und im Übrigen die weitere Entwicklung der Rechtsprechung abzuwarten.

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