Entwicklung eines kalten Nahwärmenetzes für größtes Universitätsklinikum Europas
27.11.2024Die Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR Berlin) und die Charité CFM Facility Management GmbH (CFM) wollen gemeinsam ein kaltes Nahwärmenetz für Europas größtes Universitätsklinikum entwickeln und unterzeichneten eine entsprechende Absichtserklärung. Im Zuge des vom Land Berlin ausgeschriebenen Förderprogramms „Wertschöpfung durch Innovation im Quartier“ soll ein wirtschaftsorientiertes Reallabor entstehen, das in der Praxis erprobt, wie Energie- und Wärmeversorgung mittels kalter Nahwärme klimaverträglich gestaltet werden kann.
Die Umstellung auf kalte Nahwärme ist komplex – technische, organisatorische und regulatorische wie auch finanzielle Hürden müssen überwunden sowie Akzeptanz für die innovative Technologie geschaffen werden. Hinzu kommt, dass viele der über das Stadtgebiet verteilten Charité-Gebäude mit ihren insgesamt 45.000 Räumen und einer Fläche von einer Million m² unter Denkmalschutz stehen. Beide Projektpartner sind überzeugt, dass sich Aufwand und Investition in das Vorhaben mit dem Titel „Kalte Nahwärmenetzte für Autarkie im Quartier“, kurz KWArtier, lohnen.
Energiekreislauf für warme Räume
„Durch die Implementierung solcher Systeme könnte die Charité nicht nur ihre Energiekosten weiter senken, sondern auch einen bedeutenden Beitrag zum Klimaschutz leisten, indem sie ihre CO2-Emissionen weiter reduziert“, sagt Simon Batt-Nauerz, Geschäftsführer der CFM. Die Charité würde in dem kalten Nahwärmenetz die im Sommer durch Kühlung anfallende Abwärme im Erdboden speichern, statt sie an die Umgebungsluft abzugeben. Das reduziert den sogenannten Hitzeinseleffekt in städtischen Quartieren, der dadurch entsteht, dass die vielen versiegelten Flächen Sonnenstrahlung absorbieren und die Umgebung aufheizen. Die gespeicherte Wärme wird im Winter für die Heizung der angeschlossenen Räume genutzt.
Prof. Dr. Jens Hermsdorf, Präsident der HWR Berlin (vorn links), und Simon Batt-Nauerz, CFM-Geschäftsführer und Leitung Geschäftsbereich Infrastruktur und Nachhaltigkeitsmanagement Charité (vorn rechts), unterzeichnen die Absichtserklärung über gemeinsame Entwicklung eines kalten Nahwärmenetzes für das größte Universitätsklinikum Europas.
Bild: Sylke Schumann / HWR Berlin
Das für die Abwärmespeicherung geplante Erdsondenfeld – ein Feld mit geothermischen Bohrungen bis 100 m Tiefe – ermöglicht außer der Kühlung von Computerserverzentren z. B. auch die passende Temperierung von Patientenzimmern in heißen Sommern. Denn die Auswirkungen des Klimawandels sind auch in Berlin schon heute zu spüren und belasten Patienten wie auch das Personal in den Kliniken, heißt es vom HWR Berlin. Die Hitzebekämpfung sieht Batt-Nauerz als eine der größten Herausforderungen in der Infrastrukturentwicklung an und hält das angewandte Forschungsprojekt für einen vielversprechenden Lösungsansatz.
Eine Machbarkeitsprüfung der Deckenheizung und -kühlung für Patientenzimmer, die im Zuge des Projektantrags am Charité Campus Virchow-Klinikum durchgeführt wurde, ergab, dass der Deckungsanteil der Heizung bei 96 % und der Kühlung bei 90 % liegen würden. Mit einer Ausweitung des Projektes auf den gesamten Campus könnte die aktuell erreichbare Reduktion von jährlich 110 t CO2-Emmissionen auf 806 t pro Jahr gesteigert werden. Die Stadt würde durch notwendige Kühlung nicht weiter aufgeheizt.
Wegweisendes Reallabor
Sollte die HWR Berlin den Zuschlag für das Vorhaben vom Land Berlin bekommen, würde es im April 2025 mit der detaillierten Planung losgehen. KWArtier soll demnach zu einem Leuchtturmprojekt werden. Bisher fehlen Umsetzungsbeispiele für kalte Nahwärmenetze in Bestandsquartieren, führen die Forschungsprojektleiterinnen Prof. Dr. Andrea Pelzeter und Prof. Dr. Silke Bustamante an. Die Wissenschaftlerinnen der HWR Berlin wollen gemeinsam mit ihrem Praxispartner vorführen, wie regenerative Wärme- und Kältequellen nutzbar gemacht werden können. Dafür soll ein modulares System getestet werden, das je nach Bedarf in anderen Quartieren angewendet und erweitert werden kann. Außerdem sollen neue Geschäftsmodelle rund um kalte Nahwärmenetze erarbeitet werden – damit geht es in diesem Reallabor zum ersten Mal weit über technische Überlegungen hinaus, wirtschaftliche, regulatorische und soziale Komponenten finden ebenfalls Berücksichtigung.
„Unser Plan ist es, in dem Reallabor an der Charité einen Prototyp zu schaffen, der zeigt, wie ein kaltes Nahwärmesystem schnell, standardisiert und möglichst minimalinvasiv implementiert werden kann – im laufenden Betrieb. Und wenn das in einem so komplexen Gefüge wie einer großen Klinik funktioniert, dann lässt sich das auch auf Büro- und Verwaltungsgebäude, Pflegeheime und Schulen übertragen“, sagt Prof. Dr. Andrea Pelzeter.