Konzepte zur Abwärmenutzung
Potenziale und Hürden der Nutzung von RechenzentrumsabwärmeDas neue Energieeffizienzgesetz in Deutschland setzt auch auf die Nutzung der Abwärme von Rechenzentren. Das ist in mehrfacher Hinsicht sinnvoll, denn derzeit wird die Abwärme in den meisten Fällen ungenutzt an die Umgebung abgegeben. Mit intelligenten Nutzungskonzepten kann aus einem vermeintlichen Abfallprodukt eine wertvolle Ressource werden.
Rechenzentren sind ein wesentlicher Bestandteil der heutigen digitalen Welt. Sie erzeugen Abwärme, die bislang kaum genutzt wird. Doch nun müssen die Betreiber aktiv werden. Möglichkeiten zur Nutzung gibt es bereits. Eine ist etwa die Einspeisung der Wärme in Nah- und Fernwärmenetze.
Einspeisung in Wärmenetze
Eine vielversprechende Nutzung der Abwärme von Rechenzentren besteht in der Einspeisung in vorhandene Nah- und Fernwärmenetze. Auf diese Weise kann thermische Energie für Warmwasser und Heizwärme in ganzen Quartieren bereitgestellt werden. Die Voraussetzung für die Abwärmenutzung ist jedoch das Vorhandensein solcher Netze. Der Aufbau neuer Netze allein für diesen Zweck ist zwar kostspielig und zeitaufwendig. Doch in Deutschland gibt es bereits rund 1.400 Fernwärmenetze. Nordische Länder haben bereits Erfahrung mit Fernwärme aus Rechenzentren. Stockholm etwa hat über 30 angeschlossene Rechenzentren.
Blick in den Markt
Innovationen in der Abwärmenutzung haben zur Erprobung von Geschäftsmodellen geführt, bei denen dezentrale Computersysteme als Wärmeerzeuger dienen. Im Gegensatz zu großen Rechenzentren werden hierbei kleine Computeranlagen verwendet, um bspw. Wasser in Häusern oder Schwimmbädern zu erwärmen. Unternehmen wie Cloud & Heat aus Dresden, Deepgreen Energy und Heata aus Großbritannien haben bereits erfolgreiche Projekte realisiert und zeigen damit das Potenzial dieser innovativen Ansätze auf. Für IT-Verantwortliche lohnt es sich, diese Entwicklungen im Auge zu behalten und zu prüfen, ob solche Lösungen auch für ihre spezifischen Anforderungen geeignet sind.
Nutzung in Gebäuden und Nachbarschaft
Eine weitere Möglichkeit, die in Betracht gezogen werden kann, ist die Abwärmenutzung in eigenen oder direkt angrenzenden Gebäuden. Eine genaue Bestandsaufnahme ist dabei der erste Schritt. Dabei müssen grundlegende Fragen beantwortet werden: Wo wird im Gebäude Wärme benötigt und wie hoch ist der Bedarf? Gibt es möglicherweise auch in der Nachbarschaft Verwendungsmöglichkeiten? Welche Temperaturen sind für die verschiedenen Anwendungen erforderlich? Darüber hinaus ist es wichtig, das Abwärmeaufkommen und die Temperatur aus dem Rechenzentrum zu quantifizieren. Die Herausforderung besteht darin, die Abwärme so abzukoppeln und weiterzuverwenden, dass die Verfügbarkeit des Rechenzentrums nicht beeinträchtigt wird.
Die Abwärme kann für frostfreie Rampen oder Heizungssysteme genutzt werden. Ebenso können Lüftungsanlagen mit Abwärme ergänzt werden. In manchen Fällen kann die warme Abluft aus dem Rechenzentrum angrenzende Räume erwärmen. Zudem lässt sich aus Abwärme Kälte erzeugen, die zur Kühlung des Rechenzentrums oder angrenzender Gebäude, z. B. Produktions- oder Lagerhallen, genutzt werden kann.
Einsatz von Eisspeichern
Die Abwärmenutzung kann auch mit Eisspeichern kombiniert werden, um die Effizienz weiter zu steigern. Prior1 hat bereits Erfahrungen mit Eisspeichern am eigenen Standort gesammelt und ein Konzept zur Kombination von Abwärmenutzung aus dem Rechenzentrum mit einem Eisspeicher für ein Quartiersprojekt in einer Großstadt entwickelt. Unternehmen sollten für ihre Abwärmeprojekte auf die Erfahrung von Experten setzen, um die wirtschaftlichste Lösung zu finden und eine möglichst effiziente Wärmeverwendung zu gewährleisten.
Effizienzsteigerung durch Wasserkühlung
Eine für alle drei genannten Nutzungsarten geeignete Möglichkeit der Effizienzsteigerung ist die Wasserkühlung. Wasserkühlung hat das Potenzial, die Leistung und Energieeffizienz von Computern im Rechenzentrum erheblich zu verbessern. Im High-End-PC-Bereich ist die Verwendung von Flüssigkeitskühlung bereits bekannt und beliebt. Eine weiterführende Methode, um die Effizienz der Wärmeübertragung zu steigern, ist die direkte On-chip-Kühlung, bei der das Wasser direkt auf den Chips eingesetzt wird. Trotz der Vorteile der Wasserkühlung gibt es bisher nur begrenzte Anwendungsfälle im professionellen Bereich. Dies liegt vor allem an den üblichen Bedenken bezüglich Wasserkühlung, wie dem Risiko von Leckagen, den höheren Kosten im Vergleich zur Luftkühlung und der erhöhten Komplexität bei der Wartung. Zusätzlich besteht ein Mangel an standardisierten Prozessen, was die Einführung erschwert.
Zukunftsweisende Lösung Heißwasserkühlung
Ein vielversprechendes Beispiel für die Weiterentwicklung der Abwärmenutzung ist das Projekt HotFlAd. Hier wird die von der Thomas Krenn AG entwickelte Hot-Fluid Computing-Technologie eingesetzt, um die Wärme von Servern an Wasser abzugeben. Das Wasser kann dann mit Temperaturen von über 55 °C an anderer Stelle genutzt werden. Die Verwendung von Heißwasserkühlung erleichtert die Integration in Fernwärmenetze und minimiert den Bedarf an Wärmepumpen oder erhöht deren Effizienz erheblich.
Ebenfalls vielversprechend ist die Immersionskühlung. Dabei werden die Komponenten in eine nicht leitende Flüssigkeit eingetaucht, ähnlich wie bei der bekannten Ölkühlung im PC-Enthusiast-Bereich. Diese Methode bietet eine effiziente und sichere Möglichkeit, die Wärme abzuführen und gleichzeitig die Leistungsfähigkeit der Systeme zu verbessern.
Praxisbeispiel Baustoffhersteller
Ein mittelständisches deutsches Unternehmen in der Baustoffindustrie betreibt ein eigenes Rechenzentrum, das 2017 in Betrieb genommen wurde. Um die Potenziale zur Nutzung von Abwärme auf allen Ebenen zu erkunden, beauftragte das Unternehmen Prior1 mit einem Abwärmecheck. Das Rechenzentrum umfasst 44 Serverracks und verwendet eine indirekte freie Kühlung. Die aufgenommene Leistung der Server wird nahezu komplett in Wärme umgewandelt und durch ein Kaltwassersystem abgeführt. Insgesamt beträgt die Abwärme des Rechenzentrums konstant 65 kW und muss dauerhaft abgeführt werden.
Die Nutzung dieser Abwärme bietet dem Unternehmen erhebliche wirtschaftliche Vorteile. Unter der Annahme, dass ein Viertel der Wärme zurückgewonnen werden kann, würde das Unternehmen selbst bei einem konservativen Energiepreis von 6 ct/kWh Wärmeenergie jährlich rund 10.500 € einsparen. Für Unternehmen, die höhere Preise für Wärmeenergie zahlen müssen, sieht die Rechnung noch besser aus. Angesichts steigender Energiekosten, insbesondere durch eine zu erwartende hohe CO2-Bepreisung, wird die Nutzung von Abwärme auch in Zukunft immer attraktiver.
Das Unternehmen hat verschiedene Möglichkeiten, die Abwärme effizient zu nutzen. Prior1 empfiehlt die Einbindung der Abwärme in die vorhandenen Lüftungsanlagen. Dabei könnten die drei Lüftungsanlagen in unmittelbarer Nähe des Rechenzentrums von der Wärme profitieren. Eine Wärmepumpe könnte die Abwärme in den Anlagen nutzen und somit deren Heizleistung reduzieren. Dies würde zu erheblichen Einsparungen bei der Wärmeenergie führen.
Neben der Verwendung der Abwärme auf dem eigenen Gelände bestehen auch Möglichkeiten zur Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen in der Nachbarschaft. Bspw. könnte die Abwärme zur Beheizung von Schwimmbädern oder zur Unterstützung von Gewächshäusern für Vertical Farming genutzt werden. Es gibt bereits erfolgreiche Beispiele, bei denen Unternehmen ihre Abwärme für die Produktion von Blaualgen oder die Aufrechterhaltung der Wassertemperatur in Hummer- und Fischfarmen einsetzen.
Fazit: Erste Schritte sind gemacht
Nicht nur das Beispiel zeigt, dass die Nutzung der Abwärme aus Rechenzentren erhebliche finanzielle Vorteile bieten kann. Unternehmen können ihre Energiekosten reduzieren und außerdem in Zusammenarbeit mit anderen Branchen innovative Lösungen für die Nutzung der Abwärme finden. Die Einbindung der Abwärme in bestehende Systeme und die Zusammenarbeit mit Nachbarunternehmen sind Schritte in Richtung einer nachhaltigen und wirtschaftlich sinnvollen Nutzung von Ressourcen.
Details zur Wirtschaftlichkeitsberechnung und zu diesem Thema bietet das Whitepaper „Abwärmecheck und Konzepte zur Abwärmenutzung im Data Center“ im kostenlosen Download unter www.t1p.de/tab-05-24-Rechenzentrum.
tab fragt nach:
Seit November 2023 stellt das neue Energieeffiziengesetz (EnEfG) neue Anforderungen an den Betrieb von Rechenzentren in Deutschland, welche für viele Betreiber und Planer Fragen sowie Unsicherheiten aufwerfen. Hierzu Antworten von Martin Weber, Berater Rechenzentren bei Prior1, auf unser „tab fragt nach“.
tab: Für welche Rechenzentren gilt das EnEfG?
Martin Weber: Der Geltungsbereich des EnEfG erstreckt sich auf Rechenzentren, welche eine nicht-redundante elektrische Nennanschlussleistung ab 300 kW besitzen. Leider hat der Gesetzgeber damit ein Kriterium gewählt, welches bisher nicht genauer z. B. in der europäischen Rechenzentrumsnorm EN 50600 normativ definiert wurde. Unter „nicht-redundante Nennanschlussleistung eines RZ“ verstehen wir das Ergebnis einer Leistungsbilanz, welche initial im Rahmen einer RZ-Planung erstellt wird bzw. wurde. Es handelt sich um die konzeptionelle max. Leistungsaufnahme des gesamten RZ (IT-Komponenten und alle weiteren Systeme der versorgenden RZ-Infrastruktur) bei Vollausbau. Da laut Gesetz nur die „nicht-redundante Nennanschlussleistung“ maßgeblich ist, werden etwaige Redundanzen hierbei nicht berücksichtigt und nur ein Versorgungspfad des RZ betrachtet.
tab: Was sind die Hauptanforderungen an Rechenzentren, die sich aus dem EnEfG ergeben?
Martin Weber: Das EnEfG beinhaltet für neu errichtete und Bestands-Rechenzentren hohe Anforderungen an die Energieeffizienz der RZ-Infrastruktur. Gemessen wird diese durch die seit vielen Jahren etablierte Kennzahl PUE (Power Usage Effectiveness). Darüber hinaus müssen alle unter das Gesetz fallenden Rechenzentren seit 1. 1. 2024 ihren elektrischen Energiebedarf zu mindestens 50 % durch Strom aus erneuerbaren Energien decken. Diese Anforderung verschärft sich dann ab 1. 1. 2027 auf eine vollständige Versorgung mit sogenanntem Ökostrom. Ab Mitte des Jahres 2026 neu errichtete Rechenzentren müssen zudem die eingesetzte Energie zu bestimmten Mindestanteilen einer Wiederverwendung in Form von Abwärmenutzung zuführen.
tab: Welche Herausforderungen resultieren hieraus für RZ-Betreiber?
Martin Weber: Für bestehende Rechenzentren müssen Maßnahmen ergriffen werden, um die Energieeffizienz zu steigern und somit die hohen Effektivitätskriterien bis zu den im Gesetz festgelegten Stichtagen zu erfüllen. Dies kann nach der Ermittlung und Analyse der aktuellen Effizienzkennwerte eine Änderung der angestrebten Umgebungsbedingungen im RZ und auch Umbauten oder sogar einen vollständigen Austausch der Klimatechnik erfordern. Darüber hinaus kann je nach Ausgangslage zunächst die initiale Einrichtung oder Erweiterung eines bestehenden Energiemonitoringsystems notwendig sein, um die geforderten Effizienzkennzahlen (z. B. PUE-Wert) überhaupt ermitteln zu können.
tab: Welche Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz werden im Bestand empfohlen?
Martin Weber: Zunächst ist sicherzustellen, dass ein umfassendes Energiemonitoring vorhanden ist. Nur auf diese Weise ist die Bestimmung des energetischen Ist-Zustandes möglich. Im nächsten Schritt sollten im Rahmen einer strukturierten Energieeffizienzanalyse Potentiale und sinnvolle Effizienzsteigerungsmaßnahmen erkannt und abgeleitet werden. Dies beinhaltet selbstverständlich immer auch eine Wirtschaftlichkeitsbetrachtung. Da die Kühlung eines Rechenzentrums, nach den IT-Systemen selbst, in der Regel den größten Energieverbrauch im RZ aufweist, wird häufig an dieser Stelle angesetzt, um die Effizienz zu steigern. Es sollte überprüft werden, welche Auswirkungen durch die Erhöhung der Zulufttemperatur im Rahmen der Verbands-Empfehlungen der ASHRAE erzielt werden können. Außerdem besteht im Bestand häufig noch Potential zur Optimierung der Luftführung und -verteilung im Rechenzentrum. Beinhaltet die Kälteerzeugung bisher noch keine Möglichkeit der freien Kühlung, ist es in der Regel nicht möglich, die hohen Effizienzanforderungen einzuhalten und in vielen Fällen ergibt sich hieraus die Notwendigkeit der Investition in neue und deutlich effizientere Kühlsysteme und -konzepte, die dem heutigen Stand der Technik entsprechen.
tab: Kann rückgewonnene Wärme im PUE-Wert berücksichtigt werden?
Martin Weber: Die Kennzahl Power Usage Effectiveness (PUE) ist ein zentraler Indikator im Energieeffizienzgesetz, der die Effizienz der versorgenden Infrastruktur des Rechenzentrums darstellt. Die PUE-Berechnung basiert auf dem Verhältnis von RZ-Gesamtenergieverbrauch zur durch die IT-Systeme aufgenommen Energie. Rückgewonnene Wärme darf nicht bei der Ermittlung des Power Usage Effectiveness-Wert eines Rechenzentrums berücksichtig werden, um diesen zu verbessern. Die Nutzung rückgewonnener Wärme ist aber dennoch in vielen Fällen als ökologisch und ökonomisch sinnvoll zu erachten. Außerdem ist Abwärmenutzung gemäß EnEfG für neue Rechenzentren, die ab 1. Juli 2026 in Betrieb gehen, verpflichtend. Zur Abbildung des Grades der Abwärmenutzung existiert die Kennzahl Energy Reuse Factor (ERF).
tab: Wohin müssen jährlich Informationen und Energieverbrauchsdaten gemeldet werden?
Martin Weber: Rechenzentrumsbetreiber müssen zukünftig jährlich bis zum 31. März Daten über ihr RZ für das vorherige Jahr veröffentlichen und an den Bund senden. Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA), speziell die Bundesstelle für Energieeffizienz, ist für die Verwaltung des Energieeffizienzregisters für Rechenzentren (RZReg) zuständig. Das RZReg ist unter der Domain rechenzentrums-register.de erreichbar. Auf dieser Webseite werden Fragen in Form von FAQs beantwortet sowie die Kontoeröffnung und Identifikation mittels ELSTER-Unternehmenszertifikat beschrieben. Seit April 2024 besteht die Möglichkeit, Informationen und Daten zu Rechenzentren zu erfassen.
tab: Welches Vorgehen wird RZ-Betreibern zur Erfüllung der EnEfG-Anforderungen empfohlen?
Martin Weber: Im ersten Schritt sollte untersucht werden, ob eigenbetriebene Rechenzentren aufgrund ihrer Nennanschlussleistung in den Geltungsbereich des EnEfG fallen. Daraufhin ist im Rahmen einer Gap-Analyse zu prüfen, ob die im Gesetz definierten unterschiedlichen Anforderungen erfüllt werden. Zur Unterstützung dieses Prozesses wurde das Beratungsprodukt „EnEfG-Datacenter-Assessment“ entwickelt. Das Assessment hilft RZ-Betreibern, ihren aktuellen Status hinsichtlich des Energieeffizienzgesetzes zu bewerten, klärt über notwendige Schritte auf und benennt konkrete Maßnahmen.