Modernes Einwanderungsrecht – Heilmittel gegen den Fachkräftemangel?
Der branchenübergreifende Fachkräftemangel ist allgegenwärtig und wird in absehbarer Zeit nicht einfach verschwinden – im Gegenteil: Mit dem bevorstehenden Renteneintritt der geburtenstarken Jahrgänge wird er noch deutlich zunehmen. Aktuell stellt er das größte Risiko für die geschäftliche Entwicklung von Unternehmen dar und rangiert sogar noch vor den hohen Energie- und Rohstoffpreisen. Es fehlen aber nicht nur hochqualifizierte Fachkräfte, sondern Arbeitskräfte generell. Hier müssen Lösungen gefunden werden, will Deutschland seine Wirtschaftskraft und seinen Wohlstand erhalten.
RA Britta Brass, Justiziarin des BTGA e.V.
Bild: BTGA
Abhilfe kann das Beschäftigen ausländischer Arbeitskräfte schaffen – wenn es richtig gemacht wird. Um die Attraktivität des Standorts Deutschland für Fachkräfte aus Drittstaaten zu erhöhen, braucht es ein modernes Einwanderungsrecht. Dabei darf nicht nur auf eine weitere Liberalisierung des ohnehin bereits sehr liberalen Zuwanderungsrechts gesetzt werden, sondern es müssen in erster Linie die Abläufe vereinfacht und schneller umgesetzt werden.
Nicht zuletzt aufgrund der aktuell steigenden Anzahl an Flüchtlingen stoßen die zuständigen Behörden schon jetzt an ihre Grenzen. Eine stärkere Zuwanderung – sollte sie tatsächlich erreicht werden – wird daher kaum zu bewältigen sein. Neben komplizierten Verwaltungsverfahren und der Umsetzung sich ständig ändernder Rechtsvorschriften fehlt es an der nötigen digitalen und personellen Infrastruktur. Verfahren dauern in Deutschland viel zu lang und hemmen die Einwanderungsreform – und damit die Fachkräfteeinwanderung.
Deutschland muss schneller werden
Deutschland steht mit anderen Einwanderungsländern beim Anwerben qualifizierter Fachkräfte im Wettbewerb. Dennoch werden viele Monate durch lange Warte- und Bearbeitungszeiten „vergeudet“. Dass potenzielle Fachkräfte in Länder mit kürzeren und unkomplizierteren Verfahren abwandern, kann nur auf einem Weg verhindert werden: Deutschland muss schneller werden!
Soll die avisierte Maximaldauer von drei Monaten, von der Beantragung bis zur Ausstellung eines Visums, erreicht werden, ist die längst überfällige Digitalisierung der Verwaltungsprozesse unumgänglich. Sie wird aber nicht ausreichen: Die Verwaltungsprozesse müssen insgesamt „schlanker“ werden. Mögliche Ansatzpunkte gibt es genug, beispielsweise die Zentralisierung der Visumvergabe oder die Spezialisierung der Anerkennungsbehörden auf Herkunftsstaaten und Berufe. Auch erscheint es sinnvoll, den Unternehmen einen größeren Ermessensspielraum hinsichtlich der Eignung von Arbeitskräften einzuräumen.
Potenziale im eigenen Land nutzen
Unabhängig von den dargestellten Umsetzungsproblemen wird die Fachkräfteeinwanderung allein das Problem des Fachkräfte- und Arbeitskräftemangels aber nicht lösen. Zielführend kann nur ein umfassender Ansatz sein, der neben Arbeitswilligen aus dem Ausland auch Potenziale im eigenen Land erkennt und nutzt: Die große Anzahl langzeitarbeitsloser Menschen sollte für den Arbeitsmarkt ertüchtigt werden. Und die nach wie vor bei Frauen stark verbreitete Teilzeitbeschäftigung sollte durch eine umfassende und verlässliche Unterstützung bei der Kinderbetreuung, durch flexible Arbeitszeitkonzepte und durch Homeoffice-Möglichkeiten abgebaut werden. Auch der so genannten stillen Reserve sollte mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden. Dazu zählen insbesondere Menschen, die grundsätzlich bereit wären, zu arbeiten, aber aktuell nicht (mehr) im Beruf stehen und nicht arbeitslos gemeldet sind. Ihnen sollte der Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglicht werden, zumal sie häufig über ein mittleres bis hohes Qualifikationsniveau und einen großen Erfahrungs- und Wissensschatz verfügen.
Die eine Patentlösung gibt es nicht, um den Fachkräftemangel zu lösen. Es gibt aber eine Vielzahl von Möglichkeiten, die es zu nutzen gilt – bevor andere es tun.
Der Kommentar gibt die Meinung der Autorin wieder.