Bivalente Wärmeversorgung

Effizienzschub für das Kongresszentrum Davos

Jedes Jahr aufs Neue schaut die Welt ins schweizerische Städtchen Davos, wenn sich dort bekannte internationale Namen aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft zum „World Economic Forum“ (WEF) – dem Weltwirtschaftsforum einfinden. Nach einer pandemiebedingen Absage im vergangenen Jahr soll das 52. Jahrestreffen 2022 ggf. wieder in Graubünden stattfinden und dann erneut eine Vielzahl renommierter Persönlichkeiten nebst Presseaufgebot und Zaungästen begrüßen.

Außenaufnahmen des Kongresszentrums sind immer wieder Teil einer breiten medialen Berichterstattung – kaum bekannt hingegen ist, wie der Betriebsalltag hinter den Kulissen des 1969 eröffneten und später mehrfach umgebauten und erweiterten Gebäudes abläuft.

Insbesondere die energetische Versorgung des Standorts ist aufgrund seiner Größe, seiner Objekteigenschaften und der hohen Anzahl unterschiedlicher Abnehmer anspruchsvoll: Insgesamt drei autonom führbare Hausteile, ein Plenarsaal für 1.800 Teilnehmer und zahlreiche Räume für Tagungen, Workshops und Kongresse müssen ganzjährig energetisch bewirtschaftet werden. Hinzu kommt der Betrieb des angegliederten Wellness- und Erlebnisbads „Eau-là-là“ mit seinem hohen Bedarf an Raumwärme und Trinkwarmwasser.

Gleichzeitig positioniert sich Davos bereits seit vielen Jahren als besonders umwelt- und klimaschutzorientierte Gemeinde: Zahlreiche kommunalpolitische Maßnahmen, Initiativen und Vereinsaktivitäten zeugen von einer auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Entwicklung. Auch das WEF selbst setzte sich im vergangenen Jahr bereits zum vierten Mal das Ziel, klimaneutral organisiert zu sein – bis hin zum Angebot von alternativem Kerosin für Geschäftsflieger.

Abwärmenutzung ermöglicht deutliche Heizöleinsparung

Als einem der zentralen Dreh- und Angelpunkte der Energiewende kommt der thermischen Gebäudebewirtschaftung in Davos damit ebenfalls eine wichtige Funktion zu. Neben der Neuplanung von (Hoch-)Effizienz-Objekten zeigt die energietechnologische Sanierung von Bestandsbauten einen so signifikanten Einfluss auf den Energieverbrauch und die Emissionsgrößen auf, dass auch bivalente Systeme – also regenerativ und fossil betrieben – als wirtschaftlich sinnvolle und ökologisch wirksame Versorgungslösung eingestuft werden können. Für ein solches Energiekonzept entschieden sich die Fachplaner der Amstein + Walthert AG aus Chur und ebneten damit den Weg für eine kombinierte Strategie aus Abwärmenutzung und signifikant reduzierter, Öl-basierter Wärmebereitstellung.

Bereits in den vergangenen Jahren wurden an den Gebäuden des Kongressstandorts verschiedene technische Optimierungen vorgenommen, um den Multifunktionsbetrieb aus Tagungsgebäuden, Wellnessbad und Eishalle mit seiner immensen thermischen Grundlast und den hohen Anforderungen an die Versorgungsstabilität sicher führen zu können. Hierzu zählten unter anderem die Installation einer Solaranlage, Gebäudehüllenverbesserungen und die Umstellung auf eine energiesparende Beleuchtung. Die Implementierung einer fünfstufigen „Zortström“-Anlage des Gebäudetechnik-Spezialisten Zortea erzielte schließlich einen besonders deutlichen Effizienz-Schub. Die heute mehr als 5.500-mal verbaute Hydraulik-Technologie ermöglichte es, die Abwärme-Niedertemperaturen aus dem gesamten Gebäude sowie aus der Kälteerzeugung der angegliederten Eissporthalle hocheffizient in das Wärmenetz des Gebäudekomplexes einzubinden.

Das Unternehmen aus Hohenems/Vorarlberg beschäftigt sich schon seit Jahrzehnten mit den Ursachen einer gestörten Netz-Hydraulik und der Optimierung von energetischen Sammel-, Speicher- und Verteilprozessen. Mit der Zortström-Technologie entwickelten die Energieexperten eine Lösung, die einen reibungsfreien, laufzeitoptimierten Anlagenbetrieb, eine hocheffiziente Speicherleistung und eine bedarfskonforme Bewegung von thermischer Energie gewährleistet.

Schlüsselfunktion für die Energieversorgung

Das „Zortström“-Prinzip vereint die Funktionen einer hydraulischen Weiche, eines Puffers sowie eines Verteilers mit exakter Temperaturtrennung. An den bedarfsgerecht ausgelegten „Zortström“ – ein einfach zu installierender zylindrischer Behälter – lassen sich sämtliche Wärmeerzeuger sowie alle Verbraucherkreise eines Versorgungssystems unabhängig voneinander anschließen und mit optimaler Arbeitstemperatur (Erzeugerseite) bzw. individuell definierten Soll-Vorlauftemperaturen (Verbraucherseite) ansteuern. Dabei werden alle ankommenden und abgehenden Volumenströme komplett voneinander entkoppelt, sodass sich diese auch bei hohen Druck- und Temperaturdifferenzen ohne wechselseitige Beeinflussung bewegen lassen. Im Speicherzentrum des Zortström können beliebig viele Temperaturstufen präzise voneinander getrennt vorgehalten werden – dabei bleibt die Temperatur in jeder Stufe zu jeder Zeit stabil.

Das Verfahren der hydraulischen Entkopplung und einer präzisen Temperaturtrennung ermöglicht es, Energie aus beliebig vielen Wärme- oder Kältequellen mit unterschiedlichen Leistungsklassen in einem gemeinsamen System zusammenzuführen und dabei einem bevorzugten Erzeuger Vorrang einzuräumen, ohne dass es zu hydraulischen Störungen kommt. Auch Abwärmekapazitäten – wie die aus der Eisproduktion der Eisporthalle und dem Gebäudekomplex – lassen sich so direkt einbinden und hocheffizient zur Versorgung des Kongresszentrums und des Wellnessbads nutzen: In Davos liegt die thermische Leistung bei rund 365 kW Hochtemperaturabwärme aus der benachbarten Eishalle und ca. 150 kW Niedertemperaturabwärme aus dem Gebäude selbst. Hinzu kommen 2 x 1,0 MW, die durch die Ölkessel für Hochtemperatur-Anforderung und zur Spitzenlastdeckung bereitgestellt. Die fünfstufige „Zortström“-Lösung mit Temperaturstufen zwischen 45 und 75 °C regelt die Energieflüsse aus der Abwärmenutzung sogar von Kleinkälteerzeugern (etwa Kühlschränke) und den Ölkesseln und versorgt auf der Verbraucherseite sämtliche Abnehmer mit individuell festgelegten Wassertemperaturen. 

 

Präzises Engineering mit optimalem Resultat

Die korrekte Zuordnung der Temperaturen in Abstimmung mit den einzelnen Leistungen in der richtigen Stufe erforderte ein differenziertes Know-how und Erfahrung, um einen optimierten Betrieb sicherstellen zu können. Die Schichtungsqualität – also die exakte Trennung der Temperaturstufen – spielte dabei eine wesentliche Rolle. Anderenfalls hätte die Ansteuerung der Abwärmenutzung nicht brauchbar funktionieren können und die hohen Effizienzpotentiale des Gesamtsystems wären verschenkt worden.

Auf Grundlage vergleichbarer gemeinsamer Projekte gelang es den Planern von Amstein + Walthert und den Ingenieuren von Zortea eine Präzisionslösung zu entwickeln und diese im laufenden Betrieb des Kongresszentrums zu installieren. Deren Funktionalität und Effizienzleistung lässt sich anhand einer eindrucksvollen neuen Verbrauchsbilanz untermauern: Allein durch die heute mögliche Einbindung der Abwärme in die thermische Versorgungsstruktur vor Ort wird eine Primärenergieeinsparung von 180.000 l Heizöl pro Jahr erzielt. Dies entspricht 478,8 t CO2.

Ergänzt um den Einsatz der großflächigen Solaranlage liegt die Gesamteinsparung am Gebäude sogar bei 200.000 l Heizöl pro Jahr. Der vorherige Gesamtbedarf lag bei jährlich 500.000 l Heizöl.

x

Thematisch passende Artikel:

Ausgabe 05/2024

Konzepte zur Abwärmenutzung

Potenziale und Hürden der Nutzung von Rechenzentrumsabwärme

Rechenzentren sind ein wesentlicher Bestandteil der heutigen digitalen Welt. Sie erzeugen Abwärme, die bislang kaum genutzt wird. Doch nun müssen die Betreiber aktiv werden. Möglichkeiten zur...

mehr
Ausgabe 09/2024

Optimierte Hydraulik im Passivhaus-Klinikum

Frankfurt Höchst: Neubau des Varisano-Klinikums vereint moderne TGA mit niedrigem Energieverbrauch

1991 markierte das erste Passivhaus Deutschlands – ein Darmstädter Wohnobjekt mit vier Wohneinheiten – einen Wendepunkt im Gebäudesektor: Es demonstrierte die Machbarkeit von Gebäuden mit extrem...

mehr
Ausgabe 7-8/2009

Wärmepumpenmodul für Abwärmenutzung

Im Zuge einer sinnvollen energetischen Gebäudeausrichtung bietet es sich vor allem in gewerblichen Bauten an, vorhandene Abwärme für die Haustechnik nutzbar zu machen. Doch gerade in mittelgroßen...

mehr
Ausgabe 10/2024

Wann ist Abwärme anrechenbar?

Berücksichtigung von Abwärmenutzung/Wärmeverschiebungen nach neuer DIN/TS 18599-7 im Kontext des GEG

Neben der Nutzung von regenerativer Energie ist die Nutzung von Abwärme ein zentrales Element in der zukünftigen Energieversorgung für Gebäude. Zwei Aspekte engen die effiziente Nutzung von...

mehr
Ausgabe 10/2015

Ein wohltemperiertes Möbelhaus

Wärmeverteilung im Einkaufszentrum

Heizen mit erneuerbaren Energien ist auch für große Gewerbeobjekte keine Ausnahme mehr – nur die Di­men­sionen machen den Unterschied. Das Möbelhaus Höffner in Hamburg-Eidelstedt wird mit...

mehr